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Brief (Transkript)

Karl Linder an seine Eltern und Schwestern am 23.07.1917 (3.2009.0497)

 

Argonnenstellung 23.7.17.



Meine Lieben!

Lang, lang ist\'s wieder her, daß ich willenstark war; aber es ist noch nicht gefehlt; denn es kommt doch immer wieder ein Lebenszeichen von mir, und hoffentlich bleibts dabei. Gerade vor 1 Std (abends 9°°) trugen sie einen zurück, zwar noch lebend, aber bewußtlos und sehr fraglich, ob er diese armselige Welt nochmals erkennt. Die unseren fingen an, einige Minen zu schießen, die Franzosen gaben gleich doppelte Antwort mit Minen und Gewehrgranaten, aber meist über uns hinweg. Ich habe den schweren Minen in ihrem Fluge zugeschaut und ging dabei in den vorderen Graben vor, als ich plötzlich einen rücklings mit schwerer Kopfwunde am Boden liegen sah. Ich holte sofort meine Krankenträger, aber zu helfen war da nicht viel, als verbinden und zurücktragen. Es ist ein Untffz. meiner Komp., an der Aisne befördert und seit Anfang im Feld. Lautlos muß er zusammengebrochen sein, da nicht einmal die Posten in 5 m Nähe davon wussten, ich kam zufällig u. als erster hinzu. ¼ Std. zuvor hatte ich ihn noch gesprochen und ermahnt, seinen Stahlhelm aufzusetzen, aber er hielt es nicht für nötig. Der Splitter drang ungehindert durch die Mütze in die Stirne.
Es ist halt überall wo wir sind gefährlich und es darf schon gar nicht anders sein. Kürzlich kamen durch Entschärfen eigener alter Handgranaten 1 Vzfw. 1 Uoffz u. 1 Mann ums Leben, jedoch bei einer andern Komp. Aber mit diesem Thema will ich jetzt aufhören es passt nicht in einen Brief, doch sind einem solche Vorfälle Denksteine fürs ganze Leben.
Mir geht es immer gut, bin noch den ganzen Monat Komp. Führer um dann wahrscheinlich gleich eine andere Komp. zu bekommen; aber ich denke, daß auch der Urlaub nahe rückt. Arbeit hab ich manchmal genügend, aber auch viel Zeit zum Nichtstun dazwischen, doch zu schreiben gelingt mir immer schlechter. Es ist fast wie eine Krankheit,
II.
darum will ich den Brief etwas länger machen, da es doch bis zum nächsten wieder geraume Zeit ansteht.
Ich denke ja so oft an Euch und male mir vor dem Einschlafen oft die schönsten Bilder vor, aber was einen bewegt und was man in tiefstem Herzen fühlt, kann man nicht schreiben und will\'s nicht gern. Es ist die Sehnsucht und die Liebe nach Freiheit, Heimat und Friede. Und doch ist alles Hoffen noch umsonst, nirgends eine Friedensinsel. So wird Leben und Sterben, Gut u. Blut entwertet, man schickt sich drein und geht in Stumpfsinn u. Gleichgültigkeit über alles hinweg, solange man nicht selbst an der Reihe ist. 3 Jahre sind nun dahin, welchen Nutzen und Segen hätten sie so vielen bringen können und wieviel haben sie uns geraubt? Und noch immer hält man sich die Augen verbunden und die Sehenden werden mitgezerrt ins uferlose Elend! Wann werden sie endlich so stark sein, sich zu befreien und der Menschheit den Frieden zu erzwingen?
Hoffen wir, daß es bald geschieht!
Herzl Gruß Euer Karl.

 

 



Ansicht des Briefes

 

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