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Brief (Transkript)

Karl Linder an seine Eltern am 22.01.1915 (3.2009.0497)

 

Courelles, 22. Jan. ab. 8 h 1915.



Liebste Eltern!

Ich wünschte Euch, Ihr könntet jetzt einige Augenblicke bei mir sein, um zu sehen, wie wir es haben u. wie es hier zugeht. Ihr könnt es Euch wohl nicht vorstellen, ich hatte es auch nicht gekonnt. Meine Karte von heute vorm. habt Ihr wohl erhalten? Gottlob, daß wir aus dem Stall hinauskommen, da war\'s recht ungemütlich u. nasskalt, die Ratten sprangen uns übern Bauch. Jetzt sind wir ganz in der Nähe in einem wirklichen Wohnhaus, da ist es fast sehr gut: Stube u. Schlafzimmer für 10 Mann u. 1 Unteroffz, welcher recht gut ist u. schon das Eiserne Kreuz hat. Das Schlafzimmer ist fast klein für uns, doch gut eingerichtet, Britschen mit Stroh bedeckt (aber keine Strohsäcke, solche bekommen vielleicht noch) und für jeden eine wollene Decke. Die Wohnstube mit offenem Kamin (franz. Sitte), aber auch ein niedriger, eiserner Herdofen sehr praktisch zum Kaffeekochen u. Konserven wärmen. Bekommen als Mittagsmahl vorläufig unsere mitgebrachten Konserven. Außerdem ist im Zimmer Unteroffiziersbett, Tisch (rund), Bank u. 6 Stühle mit Strohgeflecht, ein Wandtischchen, ein Vogelkäfig, Gewehrständer, einige Holzleisten mit Nägeln an den Wänden zum Aufhängen der Leibriemen, Mäntel, Brett zum Auflegen der Helme, auf dem runden Tische, an dem gerade 6 Leute, darunter ich sitzen, ein Leuchter mit selbstgekaufter Kerze (27 ₰)
Die Zimmer der Bauernhäuser hier sind niedrig, nur 1 Fenster, also auch unsere beiden, vollständig tapeziert, Decke nicht schön mit Latten u. Querbalken, der Ofen macht warm, leider raucht er stark. Im Hofe, der sehr schmutzig ist, befindet sich ein völlig zusammengeschossene Hütte und ein Ziehbrunnen. Im Hause (niedrig und langgestreckt) wohnen neben uns, im 3. Zimmer ein älteres Franzosenpaar, nämlich die Besitzer des Hauses und noch etliche ältere Soldaten. Die Leute sind freundlich.(?) Weiter unten in nächster Nähe unseres Quartiers ist eine Fabrik, in der die meisten untergebracht sind, die übrigen haben Quartiere wie wir od. leere Ställe, die nun auch wohnlich eingerichtet wurden mit Strohsäcken, Decken, roh zusammengenagelten Tischen u. Bänken.
Die Gegend sieht gerade so aus, wie manche Gegenden bei uns, flache lang gestreckte Hügel mit grünen Wiesen ein bisschen Wald darauf, ziemlich leer u. eintönig, wenigstens jetzt.
Vom Krieg sieht man eigentlich wenig Spuren, obwohl hier schon schwer gekämpft wurde. An einem Massengrabe sind wir vorbeigekommen.
Die Straßen hier sind gut. Das flache Tal ähnelt der Donaugegend. Altwasser mit lichtem Sumpfwald. -
Was wir vom Kriege od. vielmehr der Schlachtfront vor uns sehen können, ist eigentlich nicht viel, doch genügt es um einen genaueren Begriff davon zu bekommen, als wir ihn zuvor hatten.
Auto u. Proviantkolonnen fahren sehr viel durch, der Zugverkehr ist ständig, aber nur für militärische Zwecke. Täglich können wir Flieger beobachten, manchmal 4-5 zu gleicher Zeit. (Zwischen Coblenz u. Cöln haben wir einen Zeppelin gesehen, während der Fahrt; sehr schön und rasch gefahren) Im großen Ganzen geht es hier sehr friedlich zu. Der Dienst ist wie in der Kaserne, man fängt sogar von vorne an, zur Begrüßung sagte uns der Hauptmann, daß wir bis jetzt noch nichts gelernt hätten. Zum Glück ist der Dienst kürzer u. auch nicht strenger.
Heute ist Sonntag, ich hatte mich schon auf gründliches Ausschlafen gefreut, es war kein Dienst angesagt, habe auch zum 1. mal sehr gut u. warm geschlafen, da wurden wir um 4h geweckt und mußten alles zusammenpacken, sogar die wollene Decke mußten wir rollen u aufschnallen, dann wurde um 7h abmarschiert nach Doingt u. drüber hinaus, dann wurde gehalten, Ulmer (12) Lindauer (20) u. Augsburger (3.), alles in Linie aufgestellt, mit angepflanztem Gewehr Parade gestanden. Alle, die kein Gewehr hatten (darunter auch auch standen im 2. Glied das ist doch schön; Soldat ohne Gewehr im Feindesland; werden aber bald welches haben). Bis ½ 11h standen wir da u. erwarteten - - den Kaiser u. er kam mit großem Gefolge im Auto; ganz langsam fuhr es an uns vorüber, 3 x Hurra, dann begrüßte uns der Kaiser mit „Guten Morgen Kameraden“. Habe ihn leider nur ganz kurz gesehen, blaß u. ernst, schon etwas grau. - Danach wurde heimmarschiert.
selbst zuhause Rind- und Hammelfleisch gesotten u. Reissuppe gemacht, sehr gut, aber umständlich.
Heute habe ich zum erstenmal meine Hände wieder ordentlich gewaschen. Hemd lasse ich 14 Tg an, 3 hab ich im ganzen, 2 Unterhosen, 6 Paar Socken. - .
Gestern nachm. war ich auch Gelegenheitsarbeiter, wir mußten 3 ½ Std schaufeln u. hacken; es wird nämlich ein Schießplatz eingerichtet. Wie lange wir hier bleiben dürfen ist ganz ungewiß, wahrscheinlich 4-6 Wochen.
Das Wetter hier ist fast milder als zuhause, kein Schnee, nur Regen, jetzt gerade schön Wetter, etwas kalt. Der Boden ebenso schmutzig wie in Neu-Ulm u. ganz kalkig.
Nun zur Hauptsache für mich: Schicken dürft Ihr mir soviel Ihr wollt an kleinen Paketen, Zigarren u. Zigaretten, Schokol. Pfefferminz, Landjäger, Thee, Zucker, kl. Fläschchen Likör, auch einen kurzen Zigarrenspitz, später vielleicht mein kl. Pfeifchen u. Tabak. Schickt nur öfters Feldpostbriefe. Wenn Ihr an Reti schreibt, so grüßt sie in meinem Auftrag u. berichtet Ihr von mir, meine bayer. Marken kann ich hier nicht verwenden, vielleicht kann ich später Reichsmarken bekommen, damit ich Ihr selber schreiben kann. Schickt mir wieder einige Bogen Briefpapier, ohne Kuvert. Immer werde ich jedoch so lange Briefe nicht schreiben.
Indem, daß es mir gut geht, wenn auch das lb. Bier u. die Kantine fehlt,
grüße ich
Euch herzl.
Euer Karl.
Adr. : I. bayer. Armeek.
2. Division
12. Feldinf. Rgt.
Rekrutendepot 7.

1x hat es schon Bier gegeben, Münchener Lt x50₰
Vorgestern erhielten wir die 1. Kriegslöhnung 5 M 30 ₰.
Herz. Grüße an alle Nachbarn
an Fr. Mages, Lehrer Reiser, Frau Drexel.

 

 



Ansicht des Briefes

 

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