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Brief (Transkript)

Karl Linder an seine Eltern am 04.02.1915 (3.2009.0497)

 

Courcelles, 4. Febr. 1915


Mittags ½ 2 -3 h

Liebste Eltern u. Schwester!

Habe gestern abend Euren Brief, der sehr kurz ist, erhalten, besten Dank, das Briefpapier reicht mir lange Zeit. Das kleine Paket Nr. 1 habe ich noch nicht erhalten, doch wird es bald da sein, vielleicht schon heute Nachmittag.
Liebesgaben-Pakete brauchen nämlich etwas länger. Den Brief von Frau Mages habe ich schon gleichzeitig erhalten und auch die Karte von Retti, welche sie mir nach Ulm geschickt hat, und zwar ist es nur eine, denn sie muss mir 2 auf einmal geschickt haben weil sie auf der zweiten Karte gleich weiter geschrieben hat. Vielleicht bekomme ich die andere Karte noch bald. Bin sehr erfreut, dass Ihr mir schon ein Paket geschickt habt; denn obwohl wir nicht Hunger haben, so freut mich uns doch jede Nascherei und Schleckerei, wenn man ein bisschen Zeit hat, Thee braucht Ihr mir jedoch nicht mehr schicken, wenn ich es auch zuerst geschrieben habe, denn Kaffe und Thee gibt es nun jeden Tag und zwar gezuckert, Zucker zu schicken, schadet jedoch nicht, könnt Ihr vielleicht auch gepreßte Milch erhalten, denn sie ist sehr gut in schwarzem Kaffee, doch möchte ich inzwischen damit aufhören, allzu viel ist ungesund. (Zitronensaft ist auch sehr gut und Thee-Rum. Konzentriertes Theeextrakt mit Wasser)
Drexel Michael hat mir auf meine Karte schon geantwortet. Er befindet sich in nächster Nähe von Peronne, doch können wir uns nicht besuchen, weil wir nicht vor dürfen. Wir haben inzwischen Dienst wie in der Kaserne, fortwährend nur Übungen mit Gewehr beim Scharfschießen, ich kann alles ganz gut machen, doch muss ich sagen, dass es nun strenger ist als in Neu-Ulm. Unser Unteroffizier ist sehr genau und wenig freundlich (hat geglaubt, daß er besser sei) Daheim muss alles sehr sauber geputzt werden, Kleidung, Gewehr und Strümpfe. In den letzten Tagen gab es also nichts zu tun, denn am Sonntag hat es geschneit und der Schnee ist am Montag geschmolzen und es ist darum sehr schmutzig gewesen. Heute ist es sehr warm, wie im Mai, vormittags war der Boden noch gefroren. Der letzte Sonntag ist übrigens ein sehr schöner Tag gewesen, 7 h sind wir aufgestanden, um ¾ 11 h ging es dann in die Kirche nach Cartigny, wo es auch sehr erhebend und schön ist, nachmittags brauten wir uns Kaffee, der mir das Bier nun vorerst ersetzt, und machten einen Tarok und so haben wir gespielt bis abends und in der Stunde nach Dienst ist Apell, da wird die Post verteilt und man freut sich da immer, wenn man etwas bekommt, darum schreibt weiter Karten und auch manchmal einen Brief, wie ich es auch tun werde. Vom Kriegsschauplatz weiß ich sehr wenig, wir hören nur täglich starkes Schießen und sehen manchmal die kleinen Wölkchen der Schrappnells, in der Nacht auch hin und wieder Leuchtkugeln. Es gerade stark gekämpft werden, 2 Std. vor uns, denn es geht zu, wie wenn ein Gewitter in Anzug ist.
9.II. 8h abends. Brief wurde unterbrochen, habe Euch inzwischen eine Karte abgesandt, habt Ihr sie erhalten, am 5. abends schickte ich Euch noch 15 M, könnt sie aufheben oder mir in Gestalt von Liebesgaben wieder schicken. Wenn ich wieder genügend Geld auf der Seite habe schick ich es Euch. Heute Nachmittag habe ich das Paket Nr. 2 erhalten. Es freut mich sehr. Das Geräucherte habe ich schon verzehrt. Will Euch nun erzählen, wie es mir im Lauf des Tages ergangen ist, wenn es auch nicht von großer Bedeutung ist. Am 5. nachmittags war Übung im Parademarsch mit Musik von Musikmeister Nessen, um 4h, zuvor abends, und das ist nicht üblich an einem schönen Tag. Abends wurde der Tornister noch vollständig gepackt, er war bald schwerer als ich selbst, aber getragen habe ich ihn.
Sonntags zuvor erhielten scharfe Munition (was wir übrigens nicht wussten) und um 7 h wurde abmarschiert. Das Wetter war schlecht. In 1 Std waren wir in Peronne, da sind wir durchmarschiert (Peronne ist eine ganz schöne Stadt, aber manche Häuser sind vollständig zerstört) Über Peronne mussten wir vielleicht 2 Std stehen. Da kamen auch Pioniere vorbei, darunter Birzle, habe seinen Namen gerufen, aber hat nicht gehört.
Endlich kamen die Autos daher, im 2. war das Gepäck. Es fuhr ganz langsam vorbei und scherte aus. Es sah ziemlich alt aus, aber rüstig. Nun marschierten wir weiter nach Biache, 2 km entfernt. In Biache sind die Häuser zerstört wie in Peronne, ein Podium ist aufgestellt und nun konnte der Parademarsch losgehen. Natürlich konnte man das von uns noch nicht so exakt verlangen, aber es ging schon. Der K. war allen gut sichtbar und schaute uns ganz genau und gründlich an.
Nun ging es weiter auf eine kleine Anhöhe in das Schloß Masonette (ist ein Schloßgut. Das Schloß ist nun schon ein Lazarett.) Hier lagerten wir 7 Std. Nach 3 Std. bekamen wir hier Mittagessen, Reissuppe mit Kesselfleisch darin und dazu 3 einen Laib Brot, auch ein bisschen Kaffee. Das Wetter war ziemlich schön und man sah weit in die Gegend hinaus. Die Landschaft hier ist sehr schön und sehr fruchtbar. Es wurden dann unsere Tornister verteilt und ich erhielt die erste Karte von Retti und die Karte von Xaver Scheppach. Um 6 Uhr Abmarsch nach Herbecourt 1 ½ Std. Inzwischen hatten wir auf unseren Tornister noch eine wollene Decke bekommen. So schwer war er fast nicht mehr tragbar; aber es ging. In Herbecourt angekommen, wurden wir ziemlich rasch einquartiert in einem Stadel der schon einige Schuß erhalten hatte, aber das Dach war noch gut und zum übernachten ist noch viel Stroh vorhanden und schon auf dem Boden, so dass man gar keine Arbeit mehr hatte. Zu Essen bekamen wir natürlich nichts mehr, Wasser konnte man nicht trinken, weil es inzwischen nicht rein ist. So legten wir unseren Tornister ab und schliefen auf dem Stroh. Gleich aber mussten die ersten zur Seite. Um 11 h kamen wir dran, wir erhielten auch Zeitungen ausgehändigt. Der Weg ist nicht weit gleich hinter dem Berg, aber gesehen hat man sehr schlecht bei der Dunkelheit, und es ging darum, daß erstmals […] und das hatten wir nicht kalkuliert. Wir konnten nirgends schlafen. Die Kugeln sausten dabei ganz scharf an uns vorbei, denn die Franzosen schossen inzwischen immer auch, wenn sie nichts sahen.
[…]
sieht grausig aus. Die Kirche, die einmal so schön war, ist weg.
[…] sondern sind keine 100 M mehr wert. Viele Häuser sind zerschossen, die Höfe zerstört und schmutzig […]
[…] auch hat man einen Leichengeruch.
14.II.15. abends ¼ 9h.
Ich besuchte auch die Gräber der gefallenen Kameraden, lauter einzelne Gräber, jeweils 20 in einer Reihe, alle schön hergerichtet mit Kreuzen und Inschriften (sogar Christus darauf und Kreuz mit Kranz).-
Vormittags kam Nagenrauft in unseren Stadel und weckte mich aus dem Schlaf, hätte ihn bald nicht gekannt, haben uns kurze Zeit unterhalten, er hat Herbecourt nicht gelobt. Wollte dann noch andere Bekannte suchen oder vielmehr finden, gelang mir jedoch nicht.
Kolleg Georg Keller von meinem Kurs traf ich bereits in Biache, nachmittags, als wir das Schloß Masonette verlassen hatten.
Am Abend kamen wir wieder dahin zum Arbeiten und so ging es weiter bis Montag abend, da sind wir 10h müde und sehr fertig gewesen. Anderntags hatten wir vollkommen Ruhe. Am Montag Nachmittag bekamen wir ¼ l Bier und 20 g Käse, aber Brot gab es genug, auch Suppe. Am Dienstag um 7h zurück. Abmarsch nach Courelles, wir waren bis 11h nach gemächlichem Marsch wieder daheim. Am Nachmittag hatten wir frei und konnten ausruhen.
Alle waren wir froh, am anderen Tag aber ging das Exerzieren wieder los und zwar bei schlechtem Wetter. Und so kam es, dass ich vor lauter Putzen den Brief so lang unterbrechen musste. In den letzten Tg. gab es oft Freibier (Peronner Bier, da ist nämlich - bayerische Brauerei)
Auch 6 Zigarren und 6 Zigaretten bekamen wir (10 für 10 ₰.) Dazu sind dann der Reihe nach die Pakete angekommen, jeden Tg. eins, einmal zwei, heute kam Paket № 4, besten Dank, hat mich sehr gefreut, wenn\'s so weitergeht ist es mir schon recht. (Die Pfeffermünz waren etwas naß, müßt sie besser einwickeln.)
26000 Russen sind gefangen, das ist gut. Bei uns wird es im März, sobald es besser Wetter ist auch tüchtig losgehen.
Heute habe ich Erlaubnis nach Peronne bekommen, war mit noch einem von 3 h – ½ 6 h dort und habe meine Uhr richten lassen, Glas und 1 Zeiger war kaput, hat 75 ₰ gekostet, hätte auch Ansichtskarten kaufen wollen, aber es gibt keine, die meisten Geschäfte sind geschlossen, ließ mich auch rasieren (20₰) und dann gingen wir noch in ein französisches Caffé, da gab es Apfelwein (l 40 ₰ ). Als wir hineingingen, kamen wir an 2 Wachtposten vorbei, sie wurden eben von 2 anderen abgelöst und von diesen war einer Scheiter Go. – Ich war nicht wenig erstaunt, wenn wir uns auch nur kurze Zeit unterhalten haben. Viele Grüße von ihm, er kommt gleich wieder an die vorderste Front. Nach Peronne sind wir übrigens fahren mit einem recht blöckischen[?], komischen Fuhrwerk, Karren mit nur 2 Rädern (hier ist es vermutlich Mode) und ein alter Gaul dran. Lenker war Jeckle, Grünbaumwirt von Neuburg a. K. Er ist bei uns als Metzger, es kommen also immer mehr Bekannte ans Tageslicht. Steinberger ist bei uns u. zwar in meinem Zug.
Heute vormittag ½ 11h waren wir wieder in Cartigny in d. Kirche, Predigt und Amt, auf dem Chor Augsburger Regimentsmusik, sehr schön, solche Gottesdienste gibt es daheim nicht, und so andächtig war ich noch selten, obwohl ich auch da kein Vaterunser „allein“ fertig brachte.
Mittags bekamen wir durch Zufall 2 Portionen Rindfleisch, Suppe, danach Glühwein und noch ¾ l Freibier, Abends auch noch Wurst, also nicht schlecht. Abends machte ich mir Tee zum Ende des Fastnachtssonntages.
Um 9 h Niederlage des bayerischen Löwen aufs Stroh.

15.II.15. Der Tg ist glücklich vorbei. Es war nicht gerade der angenehmste, wobei der Dienst heute leicht war, aber zuhause gab es putzen, bin auch gerade auf 4 Tg der „Putzer“ des „Herrn“ Unteroffizier. Mit dem heutigen Tag jedoch wieder vorbei.
Haben heute schon wieder scharf geschossen auf 200 m 5 Schuß 41 Ring, d. i. sehr gut. Heute Nacht müssen wir Wachtposten stehen. Es trifft mich von 1-3 h.

3. Bogen.

Auch heute gab es wieder Freibier, wird es auch morgen und später wieder geben, auch wieder Zigarren und Zigaretten bekommen, die habe ich aber verschenkt, habe für 10 Tage einen Putzer angeworben, 2 M, sonst hätte ich überhaupt keine Freizeit mehr.
Habt Ihr meine 15 M erhalten, schickt mir davon kleine Pakete! Mein Taschengeld tut mir nur weiter in meine Sparkasse, ich hoffe ja, daß ich wieder heimkomme; dann kann ich\'s gut brauchen u. wenns 500 M. werden. Komme ich nicht mehr, so gehören 200 M Retti u. 100 M Kathi, das andere Vater zur freien Verfügung, wollen jedoch nicht hoffen, daß es eintrifft.
Schreibt mir auch bald wieder einen Brief, wie\'s daheim aussieht u. schickt mir v. Zeit zu Zeit Paketchen, auch Camembert (u. vielleicht auch Butter). Es kommt immer alles bald an. 2 [Kürzel für Pfund] Butter kosten bei uns 3,60 M, ein Paket Landbutter 45 ₰ – 40 ₰, frische dann 3,50 M, alles ist halt teuer. – könnt Ihr keine gepreßte Milch Milchextrakt in Tuben und Theeextrakt mit Rum bekommen, das ist nämlich sehr praktisch, man darf bloß in heißes Wasser - kleine Portion hineinpressen und hat dann besten Tee, und bei der Milch ist es besonders, die schmeckt zum Kaffee auch gut, aber wenn Ihr (das) nicht bekommen könnt, dann macht es nichts, es ist nur eine Schleckerei, macht als „Glust“.
Muß nun den Brief beenden, er ist nicht so schön, es fehlt der Zusammenhang, weil ich zu oft unterbrochen wurde, aber das wird nichts machen. Werde Euch nun immer Karten schicken, das geht rascher. Kann Euch zum Schluß nur versichern, daß ich zufrieden bin, weil ich die Sachlage ganz erfasst habe. Wir haben es gut (an der Front ists anders). Das einzig Unangenehme und Ekelhafte ist unser Unteroffz. Aber es ist auch gut, wenn man so etwas mitgemacht hat.
„Es kann jedoch nicht immer so bleiben“, denke ich mir immer. Mich kann er noch besser leiden.
Herzl. Gruß
sendet Euch
Euer Karl.

 

 



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