Geschrieben 2. Juni 1916.]

Liebste Eltern u. Schwestern!

Indem ich hoffe, daß Ihr meine bisherigen Karten und Briefe, sowie Paketchen erhalten habt, will ich Euch nun wieder ein Briefchen schreiben. Es geht mir gut, wider Erwarten sind wir noch in Ruhe, eben weil wir Tüchtiges geleistet haben. Ich verhalte mich nicht gleichgültig zu den jetzigen Ereignissen sondern freue mich auch dabei zu sein bei diesen wuchtigen Schlägen, die jetzt geschehen. Es geht vorwärts, die Franzosen leisten nicht mehr so harten Widerstand, sie ergeben sich lieber. Gestern mussten wir (40 Mann) einen Gefangenentransport begleiten 1 ½ Std weit. Das erstemal, dass ich so etwas mitgemacht habe. Es war recht interessant. Keine Spur von Trauer, alle waren totfroh für immer dem schrecklichen deutschen Feuer entronnen zu sein. Fast 3000 kamen am Sammelplatz zusammen, darunter auch 1 Oberst, Majore, Hauptleute und Leutnants. Die franz. Infanterie bildet uns nunmehr wenig Hindernis, nur ihre Artillerie u. unsere; denn sie schießt gewöhnlich zu kurz. Ein paar Tage werden wir wohl noch hier sein, dann gehe ich aber auch gerne wieder vor, lieber gerne als mit Widerstreben. Ich vertraue nun auf mein Glück, d.h. auf Gottes Führung. Ist es mir bestimmt zu sterben, so kann ich auf keine Weise entrinnen; aber ich glaube u. hoffe gut durchzukommen, auch durch das stärkste Feuer. Wenn ich die rechte Ahnung habe, so werde ich Euch auch sehr bald wieder sehen, ich freue mich schon darauf. Heute bin ich Unteroffizier geworden, ein großer Sprung für mich. Es ist zwar nicht mehr zu früh, aber es ist mir dennoch eine angenehme Überraschung. Macht aber kein Wesen daraus, es braucht nicht gleich überall bekannt werden. Hoffe u. wünsche nun, daß es Euch gut geht und grüße Euch in der Hoffnung auf baldiges frohes Wiedersehen aufs herzlichste
Euer Karl.