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Brief (Transkript)

Erich Dohl an seine Frau und Töchter am 24.11.1941 (3.2009.1998)

 

24.11.41



Meine lieben Mäuschen!

Der Abend hat sich wieder gesenkt, die Stunde zum Schreiben ist gekommen. Es ist meine liebste Beschäftigung seit ich Soldat bin. Früher habe ich mich, wenn es irgendwie ging vorm Schreiben gedrückt. Freilich war dies anders als ich schon geschäftlich Briefe schreiben mußte. Aber das hat mit diesen Briefen nichts zu tuen. Hier kann ich doch wenigstens Euch meine Schätzchen etwas von mir hören lassen. Wie schlimm muß es für diejenigen sein, die nicht lesen und schreiben können. Sage nicht mein Schatz, so etwas gäbe es ja kaum noch. Wir haben vor kurzer Zeit einen Schwung neue Soldaten aus Oberschlesien erhalten, die alle nicht schreiben können. Hier am Geschütz ist auch einer. Kameraden schreiben diesen armen Teufeln die Briefe. Wie er sagt, kann seine Frau lesen und schreiben. Jetzt stell dir vor, wenn da ein Brief aus der Heimat kommt und es stehen ein paar intime Sachen drinnen, wie er gehänselt wird. Ich hoffe ja nicht, daß es so schlimm wird aber es muß doch furchtbar unangenehm sein. Nun wir brauchen uns deshalb keine Sorgen zu machen. Hier bei mir gibt es nichts Neues von Belang. Unser Zugführer Wtm. Klein soll uns morgen verlassen und dafür soll Ltn. Büchele kommen. Unser Major hat sich auch für Morgen angesagt, es sollen wieder einige EK. verteilt werden. Um Tichwin tobt noch ein harter Kampf. Russische 52 t. Panzer rollen schon aus in die Stadt hinein wie erzählt wurde. Glauben darf man ja den Soldaten nicht viel. Es steht jedoch fest, daß noch ein harter Kampf dort tobt. Unsere 3. Batterie, Schlösser ist bei dieser soll gestern einen Toten und einen Schwerverletzten haben. Hoffentlich holen sie uns nicht auch noch zum Erdkampf nach Vorne. Wir mit unserer 2 cm können ja gegen Panzer absolut nichts ausrichten. Wir sind ja viel zu schwerfällig. Gottseidank kommen ja aber täglich Verstärkungen nach Vorne. Hier in Tichwin ist ein böser Abschnitt. Überall schießt es noch, rechts und links und vorne. Flieger waren heute wieder da gewesen. Wir sind direkt froh drum, denn wenn es hier noch ruhiger wird, haben sie uns bald fort. So muß man immer ein Übel mit dem anderen ausgleichen. Meine Krankheit hat sich sehr wesentlich gebessert. Ich kann jetzt wieder Stiefel anziehen und spüre ich auch nichts mehr an den Nieren. Freilich schlucke ich noch weiter Tabletten und trinke Tee. Hier am Geschütz mache ich bis jetzt nur Stubendienst. Eine Arbeit von täglich 2 mal 5 Minuten. So etwas macht man gerne, wenn man sonst absolut nichts zu tuen hat. Also Schätzchen mache dir um meine Gesundheit keine Sorgen, ich bin schon bald wieder in der Reihe. Ich bin sehr froh, daß wir Büchele wieder bekommen. Hoffentlich werfen sie es nicht noch in letzter Minute um. Unser Licht ist ja grauenhaft. Bald ist es hell aber öfters dunkel. Wenn wir nur erst wieder einmal so viel sind, daß wir richtiges Licht und einen Tisch zur Verfügung haben. Ich glaube dann sind wir in Deutschland oder Frankreich. Hoffentlich ist dies nicht mehr in allzuweiter Ferne, sonst schnappt man noch über. Aber der Krieg muß ja einmal ausgehen. Um Moskau müssen unsere Erfolge sehr groß sein. Bei uns ist allerdings von Erfolgen noch nichts zu merken. Neue Truppen sind jedoch im Anmarsch. Wenn sie nicht bald kommen müssen wir noch aus reißen. Nun wie ist es bei Euch mein Schätzchen? Hoffentlich seit Ihr mir noch gesund und munter. Kommen die Engländer noch oft? In Kassel müssen sie sehr oft sein, wie mir gestern Abend einer aus Kassel erzählte. Ich wäre froh ich wüßte Euch in dieser Beziehung außer Gefahr. Der liebe Gott wird Euch jedoch sicher beschützen. Allerdings kostet jeder Alarm Nerven. Du mein Schätzchen und vor allen Dingen die Kinder werden bestimmt darunter leiden, wenn sie so oft aus dem Schlaf gerissen werden. Ich kann mich noch ganz gut an den letzten Krieg entsinnen wo ich ja auch noch so ein kleiner Kerl war. Damals waren die Fliegerbesuche gegen heute direkt harmlos. Es wäre wirklich sehr zu begrüßen wenn es endlich Schluß geben wollte. Die Esserei wird sicher mit jedem Tag knapper. Hoffentlich habt Ihr wenigstens jetzt die Winterkartoffeln im Keller. Mit Kartoffeln kann man sich immer helfen. Ich sehne mich so sehr nach Euch meine lieben Kerlchen, das glaubt Ihr garnicht. Es wäre für mich das schönste Weihnachtsgeschenk wenn ich bei Euch sein dürfte. Zu gerne hätte ich dich wieder einmal in meinen Armen. Ich glaube ich muß erst wieder lernen, ein Weib im Arm zu halten. Es ist ja auch eine Schande, daß es so sehr wenig Urlaub gibt. So lange wir hier eingesetzt sind ist es freilich sehr begreiflich aber vorher, wo Zeit und Gelegenheit genug da war, gab es ja auch keinen Urlaub. Unser Licht ist wirklich eine Kathastrophe. Einen fortlaufenden Brief ist beim besten Willen nicht zu schreiben. Das Bunkerleben macht mich noch krank. Auch ein Grund zur Ablösung. Gründe zur Ablösung sind über genug vorhanden, hoffentlich werden wir nicht enttäuscht. Was gibt es sonst Neues in Frankfurt? Sind eigentlich die Luftschutzräume, die damals angefangen waren an der Taubstummenanstalt und im Pflugsgarten fertig? Wer geht denn da hinein? Was wäre ich so froh, wenn nach Frankfurt überhaupt keine Flieger mehr kämen. Post soll es morgen wieder welche geben. Angeblich sollen jedoch nur ein paar Briefe gekommen sein. Nun ich hoffe daß für mich wenigstens ein Brief von Euch dabei ist. Die Post ist doch das Einzige was einen hochhält. Nun will ich mich schlafen legen. Auch vom Nichts tuen wird man müde. Bleibt Ihr mir vor allen Dingen gesund und lieb wie bisher, das ist für mich die Hauptsache. Seit recht herzlich gegrüßt und vielmals geküßt von Eurem lieben Papa.
Auf baldiges Wiedersehen!

 

 



Ansicht des Briefes

 

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