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Brief (Transkript)

Hans-Karl Schmidt an seine Eltern, am 7.1.1945 (3.2002.0251)

 

7.1.44.



Liebe Eltern!

Gestern abend erreichten mich noch einige Briefe der fehlenden Post; es waren die Briefe vom 6.11. 9.12 dazu die Zeitungen und das kleine Album.
7.11. 10.12.
8.11. 17.12.
8.11. 22.12.
10.11. 29.12,
11.11. 1 Päckchen mit Sacharin
14.11. Tante Elle 1 Päckchen mit getr., Äpfeln

Das war eine schöne nachträgliche Weihnachtsüberraschung. Und wenn die Weihnachtspakete zu meinem Geburtstag ankommen, dann habe ich auch zu dem Tag etwas. – Die Zeitungen und Ausschnitte habe ich aufmerksam durchgelesen. Ich glaube, es ist nun bald soweit. Irgendetwas wird der Russe unternehmen. In unserem Abschnitt wird nicht gerade der Angriff losgehen, dazu ist die Weichsel mit ihrem Treibeis noch da. Aber aus dem Brückenkopf heraus wird etwas geschehen. Naja, vorläufig ist es aber noch ruhig, da wollen wir die Zeit noch ausnützen. – In all den Briefen stehen noch so schrecklich viele Fragen, die meisten von ihnen sind durch die vorherigen Briefe von mir schon beantwortet worden. So einige will ich aber doch noch einmal hervorgreifen, damit Ihr etwas mehr beruhigt seid. Vor allen Dingen bin ich im Album über die neue Frisur Marleens befremdet. Sie kommt mir garnicht mehr bekannt vor und der energische Zug um ihren Mund ist fast zum Fürchten. Alles wird älter und reifer, nur an sich selbst merkt man die Wandlung nicht. – Von mir kann ich Euch leider kein Bild präsentieren. So wertvolle Sachen wie einen Photoapparat schleppt heutzutage keiner mehr mit sich herum. Durch die „Absetzbewegungen“ sind alle gewitzigt worden. – Wenn Marleen, das eigensinnige Kind, mit in die KLV will, gut, dann soll sie gehen. Ob im 6. Kriegsjahr noch die gleichen Freiheiten und Vorzüge geboten werden als 1943, als ich eben in der neu eingeführten Sache tätig war, das bleibt zu überlegen. Marleen ist aber noch sehr wenig an das Zusammenleben mit ihr völlig fremden Menschen gewöhnt. Vielleicht bekommt sie dadurch ruhige Nerven. Einmal muß sie doch auch einsehen, daß mit Dickköpfigkeit und leichtem Aufbrausen die Schwierigkeiten und Meinungsverschiedenheiten nicht beseitigt werden könnten. Vater sagte immer zu mir „Schliff, mein Junge, Schliff!“ Ihr wißt wohl, was er damit meinte. Ich habe es erst etwas gelernt, mich zu beherrschen, dafür bin ich auch ein halbes Jahr unter Menschen, auf die ich angewiesen bin. Wie es in der Heimat mit meinem Auftreten aussähe, das kann ich nicht sagen. Mängel würden immerhin noch auftreten; aber, das könnt Ihr doch auch nicht behaupten, daß Ihr Euch in einem Tage grundlegend geändert habt. – Und Euer Weihnachtsfest, war es nicht trotzdem schön. Ihr hattet doch alles, vom Essen ganz zu schweigen. Daß ich fern von Euch weilte, daran müßt Ihr Euch eben gewöhnen. Wer weiß, wie es in späteren Jahren wird. So lange der Krieg noch tobt, ist alles ungewiß. Späterhin können Besserungen auftreten, das ist aber auch noch sehr in weiter Ferne und vielleicht auch noch aussichtslos. Dem deutschen Volk ist eben eine Suppe eingebrockt worden, die muß es jetzt auslöffeln. – Seine besten Söhne fallen und warum? Wer weiß, was auch mit mir geschehen wäre, wenn meine Ausbildung in Flensburg erfolgt wäre. Ich bin wirklich vom Schicksal geschoben worden und habe dabei nicht am schlechtesten abgeschnitten. Toi, toi, toi! Vielleicht ist es auch zu meinem Vorteil, daß ich kein ROB mehr bin. Als solch einer habe ich die gute Zeit in der Heimat und späterhin hier im Osten gehabt. Jetzt wäre auch eigentlich die Zeit, um zurückzukommen. Westerhoff, der mit mir zur N.20 gekommen ist, hat mich allerdings auch zu dieser Einheit begleitet und wartet auch sehnlichst darauf, die Kriegsschule besuchen zu dürfen. Darauf brauche ich nicht mehr zu warten, bei mir steht fest, daß ich Funker bin und bleibe. Bei ihm hingegen winkt immer noch die Infanterie. – Vielleicht kann einer noch meinen, all dies würde ich schreiben, um damit meine Enttäuschung zu verschleiern. Ein ganz klein wenig ist es auch so. Wenn ich dann aber die A...leckerei und Radfahrerei aller derer sehe, die etwas werden wollen und wenn sie schon etwas geworden sind, um mehr zu werden, dann kann es mich ekeln. Es gibt heute keine ehrlichen Wege mehr, um es zu etwas zu bringen.
Saufen, mitlaufen und mitschreien, das sind die Grundbedingungen. Und das kann ich noch nicht. Ich gebe mir auch gar keine Mühe, es zu lernen. Manche sagen, das ist falsch. Ich bin bisher auch immer angeeckt, weil ich eine eigene Meinung hatte; die will ich also auch jetzt behalten und hoffen, daß ich damit gut durch den Krieg komme.
Ich grüße Euch herzlich und wünsche, daß Ihr weiterhin so behütet bleibt
Euer Hanskarl.

Vorige Weihnacht war ich nicht in Schmücke, da irrt Ihr Euch. Es war eben das Schlimme, ich saß in Pahlstedt und konnte nicht zu Euch. Die Vorweihnachtstage war ich aber im Schnee und das war eine sehr schöne Zeit. – Am 10.12.44 sind 200 RM an Mutter mit der Mühlenbarbeker Adresse abgegangen. Ich besitze den Einlieferungsschein. Hoffentlich das wenigstens an. – Wie Ihr Euch die Wohnräume Eures Hauses einteilt, darüber kann ich nicht urteilen. Ich bin am liebsten genau so ein Egoist wie Vater, sehe aber ein, daß es nicht durchzuführen ist. Darum tut also so, wie es Euch am besten scheint. Wenn diese Zeilen ankommen, dann ist ja schon alles geschehen; zu solchen eiligen Anfragen ist die Feldpost ja viel zu langsam. –
Ich muß immer wieder die vielen vertrauten Bilder Marleens mit dem einen fremden vergleichen! Edith Goos sah so ähnlich aus, nur das Gesicht war nicht so druwappel-rund

 

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