Nach Zeitraum suchen

von 
bis 
SUCHE ZEITRAUM
Bestandskatalog PDF

Brief (Transkript)

Hans-Karl Schmidt an seine Eltern, am 1.1.1945 (3.2002.0251)

 

1.1.45.



Ihr Lieben!

Ich müßte mich ja eigentlich schämen, daß ich die Erstfassung des Neujahrsbriefes abschicke. Ich tue es aber trotzdem, denn ich weiß, daß Ihr Euch über jede Nachricht von mir freut. Es wäre auch bei diesem einen kümmerlichen Brief geblieben, wenn ich nicht, ja wenn ich nicht Bohnenkaffe getrunken hätte. Mutter wird dabei bestimmt das Wasser im Munde zusammenlaufen und ich würde ihr auch gerne meinen Anteil an der Weihnachtszuteilung geschickt haben. Für den 6 Mann starken Trupp reichte es aber gerade eben. Jeder bekam einen halben Liter dieses edlen Getränkes. Das hat mich nun so von Müdigkeit, Denk u. Schreibfaulheit befreit, daß ich mich noch zu diesem Brief aufraffte. Die liebe Verwandtschaft kommt dabei wieder einmal zu kurz, Ihr sitzt aber gerade so schön dicht bei Ihnen, da könnt Ihr ihnen von mir gleich die herzlichsten Grüße mitbestellen. –
Die Wehrmacht spendierte weiter nachträglich zu Weihnachten: für alle eine Handvoll schwarzen Tee, pro Mann 1 halbe Tafel Halbbitter-Schokolade, 20 Bonbon und gut 1 kg Lebkuchen. Außerdem kamen noch Kerzen, Lametta und solche Sachen, die erst wieder in 12 Monaten zu gebrauchen sind. Man siehts, Pünktlichkeit ist alles und die Feldpost mit ihren Sachen läßt am längsten auf sich warten. Darf ich die Päckchen dann öffnen, wenn draufsteht: Erst Weihnachten öffnen. „Regulär“ müßte man bis zum nächsten Mal warten. –
Im ersten Brief schrieb ich auch von der ernsten Stimmung, die wir alle am Altjahrsabend gehabt haben. Meine Kameraden haben im Empfänger nach etwas heiterer Tanzmusik gesucht (um nicht das Wort Jazz zu gebrauchen) es war aber unmöglich. Alle Sender brachten
Opern, Sinfonien. Das hat mir an dem Abend auch nicht gefallen. Wenn ich mit miesepetrigen Gedanken dasitze, dann kann ich ruhig Operetten u. Tanzmusik vertragen, es lenkt ab. Und beim Jazz gibt es auch wieder solche Sachen, die man sich ganz gut anhören kann, aber auch solche Sachen, die nicht mehr menschlich sind. Die Empfangswelle, die ich augenblicklich abhören muß, ist auch von einem französischen Sender belegt. Unsere Empfänger sind alles Hochleistungsgeräte, bei denen kommen alle europäischen Sender noch mit größter Lautstärke. Und so muß ich mir nun auch eine echte Urwaldmusik anhören, mit Trommeln, Rasseln und mißtönenden Menschenlauten. Schön ist es gerade nicht, gehört aber zum Dienst und kann nicht geändert werden. An der Musik kann man die Völker erkennen. Die Engländer spielen immer Blasinstrumente in ihnen eigentümlicher Weise. Dazu singt dann einer oder eine auch so breit und auseinandergezogen, man merkt gleich, wer die Urheber sind. – Heute vormittag habe ich 6 Paar Strümpfe in Ordnung gebracht, das 7. Paar hatte ich an. Ja, liebe Mutter, Deine Arbeit lernt man jetzt erst so richtig schätzen. Es ist schon eine Plage, erst alles sauber zu bekommen und dann die Löchern zu flicken. Ich laufe gottseidank wenig Löcher in die Strümpfe, die 3 Paar Wollsocken sind in Fuß noch tadellos erhalten, nur im Bein reißen beim Anziehen manchmal Löcher. Die 4 Paar Wehrmachtsstrümpfe sind dafür aber um so schlimmer. Durch schonendes Waschen habe ich ein zu starkes Einlaufen vermieden. Jetzt werden sie allmählich mürbe. Sobald ich einmal Gelegenheit bekomme zum Ib, dem verantwortlichen Mann für solche Sachen zu fahren, werden sich neue Sachen besorgt. – Bei der Einheit, die mir noch vor einem Monat die Feldpostnummer gab, hatte ich als Winterbekleidung einen wattierten Tarnanzug und Filzstiefel. Weil ich von dort fortkam, mußte ich sie abgeben und habe hier dafür eine Pelzjacke empfangen. Die erfüllt ihren Zweck genau so. Ich bin und war die meiste Zeit doch im Warmen. Die Pelzjacke haart allerdings sehr, kein Wunder, es ist ja auch Kaninchenfell. Die Wärme, die sie spendet, ist aber auch sehr angenehm. Temperaturwechsel merkt man darunter nicht; ohne etwas zu spüren kann man von der warmen Stube nach draußen in den Schnee gehen. Und da ich vor 3 Tagen meine Wäsche von den Weihnachtsläusen befreit habe und die Wäsche gegen alles noch Kommende gleich imprägniert wurde, kann ich ja getrost in die Zukunft blicken. Nur mit dem Rasieren will es nicht so klappen. Wenn ich unter den zivilisierten Menschen wäre, müßte ich mindestens schon alle 2 Tage das Geschäft ausführen. Nun beginne ich aber mit 1 Mal in der Woche und sehe in der Zwischenzeit mein „Bärtchen“ sprießen. Euer Sohn wird alt, merkt Ihr es?

Ich grüße Euch herzlich und wünsche, daß Ihr die ganze Zeit, in der ich nichts von Euch gehört habe, gut verbracht habt
Euer Hanskarl

 

top