Nach Zeitraum suchen

von 
bis 
SUCHE ZEITRAUM
Bestandskatalog PDF

Brief (Transkript)

Hans-Karl Schmidt an seine Eltern, am 31.7. - 5.8.1944 (3.2002.0251)

 

31.7.44



Liebe Eltern! Liebe Marleen.

Ich möchte Euch mehr schreiben, als es erlaubt ist. Aber das Risiko ist etwas zu groß und darum verschiebe ich es auf die Zeiten, wo wir uns wieder mündlich aussprechen können. –
Augenblicklich herrscht hier das schönste Sommerwetter. Das hat Vor- und Nachteile. Die Vorteile sind, daß man weniger anziehen kann, die Nächte draußen verbringt und nicht in den dreckigen Russenkathen. Die Nachteile sind aber der Staub auf den Straßen. Nach jeder Fahrt ist man gelb überhaucht. Alles im Wagen ist schmutzig und beim Essen hat man sogar davon auf der Zunge. Aber trotzdem werde ich nie von der motorisierten Truppe fortgehen. Man spart bei ihr Strümpfe, Schuhe, Schweiß und Verbandzeug. Aus der Übung kommt man allerdings auch. Als ich vor ein paar Tagen einmal ein etwas größeres Stück über den Hügel zu Fuß laufen mußte, wollten die Beine nicht so recht mit. Das läßt sich durch Übung aber wieder beheben. – Mein letzter Brief (falls er bei Euch schon ankam, eine Karte schrieb ich auch noch 29. + 30.) hatte ein sehr plötzliches Ende. Ich wollte noch mehr schreiben. Aber da hieß es dann plötzlich „Post abgeben“ und daraufhin ist dann der plötzliche Abschluß erfolgt. Heute will ich es etwas weiter fortsetzen. –
Geschlafen habe ich während dieser Nacht von 2400 bis 1500. Wie das kam weiß ich auch nicht. Gestern abend habe ich nämlich auch schon einen ganz ordentlichen Rutsch gemacht. Mit der Zeit lernt man eben alles, auch das Schlafen auf Befehl. Ich weiß bestimmt, wenn ich mich jetzt wieder hinlegen würde, wäre ich bald wieder eingeduselt. Fest ist der Schlaf dann nicht, aber doch so, daß der Körper völlig entspannt ist und sich ausruht. Und das Bett ist auch so einfach wie nur möglich geworden. Ich habe es garnicht für möglich gehalten, daß ich mich damit einmal werde begnügen können. Es ist eine Lage Stroh, darauf eine Zeltbahn oder Decke und eine zweite Decke wird sich ganz über den Körper gezogen, damit die Fliegen nicht stören. Wenn es etwas kälter ist, dann deckt man sich auch noch mit dem Mantel zu. So ist augenblicklich meine Schlafkultur. Und sie ist noch feudal gegen das, was andere durchmachen müssen.
Unsere Funkstelle war heute nacht im Keller aufgebaut. Der Ort war vor ein paar Tagen von den Russen besetzt und nun von uns wiedererobert worden. Auf den Höhen nordwestlich von uns sitzt er noch und manchmal schießt die Artillerie ein wenig hinein. Da hat der Div.-Stab es dann vorgezogen, in den Kellern der Bahnhofsgebäude zu verschwinden. Etwas primitiv ist solch ein Leben, aber mit Tischen und Stühlen läßt es sich alles ertragen. –
Eine besondere Schwierigkeit bilden für mich die Ortsnamen. Von den meisten Orten weiß ich die Namen nicht mehr. Nur von den Brennpunkten weiß ich noch Bescheid. Den Namen des Städtchens, in dem wir heute hausen, weiß ich auch noch nicht.
1.8.44
Draußen regnete es in Strömen. Am Abend wurde der Gefechtsstand nach vorne verlegt. Die Soldaten waren durch Regen und Kettenfahrzeug völlig verdorben. Und so kam es dann, daß die Funkstelle kurz vorm neuen Gefechtsstand in den Graben rutschte und die Nacht über so stehen blieb. Es war so dunkel wie im Bauch einer Kuh. Wer uns hätte rausziehen sollen, wäre selbst in Gefahr gewesen. So haben wir dann in einer schiefstehenden Funkstelle Verkehr gemacht. Es ging so leidlich. Am Morgen holte uns eine Zugmaschine mit Gewalt heraus. Bäume, die im Wege standen, wurden kurz umgefahren und wenn sie zu stark waren, einfach abgeschlagen. Aus dem Graben sind wir herausgekommen, aber das liebe Fahrzeug ist etwas verbogen. Eine Tür läßt sich nicht mehr schließen. Die muß der Truppführer während der Fahrt dann eben immer zuhalten. – Was später kam, war etwas unangenehm, wir fuhren ziemlich weit nach vorne und kamen in einen Feuerüberfall. Gott sei Dank ist das nun vorbei. Das schlimme dabei ist, wenn der Wagen eine gewischt bekommt. Dann muß man nämlich zu Fuß laufen, was mir garnicht gefällt. –
Ich muß auch sagen, unter Ostfront habe ich mir etwas anderes vorgestellt. Was ich augenblicklich mitmache (daß ich so weit hinten bin macht wohl etwas aus) ist ein richtiger Bewegungskrieg. Da ist es ein Vorteil, daß wir motorisiert sind. Die Pferdebespannten kommen bei unserem Marsch schlecht mit. Der Russe führt an anderen Fronten allerdings einen ganz anständigen Blitzkrieg. Hoffentlich kommt er bald zum Stehen, sonst muß schon wie so oft eine hamburgische Panzergrenadierdivision den Laden schmeißen. – Wenn Ihr den Wehrmachtbericht oder sonstige amtliche u. nichtamtliche Mitteilungen hört, in denen vom Nordwestrand (Sambor) der Karpathen gesprochen wird, dann bin ich auch meistens dabei. Allerdings nicht aktiv. Ich versuche so wenig wie möglich, ans Licht zu treten, sofern mir das gelingt. Vom Uffz. Westerhoff habe ich gelernt. Von dem wußte Obltn. Kahl am Ende des Lehrgangs noch nicht einmal den Namen. Darum ist er auch mehr geworden als ich. Augenblicklich hadere ich garnicht darum. Es gefällt mir als Funker besser als Truppführer. Wegen der Verantwortung ist es nicht, aber das Wanderleben erfordert eine größere Erfahrung, und die haben die alten Ober- und Stabsgefreiten in den langen Jahren gelernt. Als Funker unter ihnen verraten sie dir die Kniffe eher, obwohl ein Unteroffizier an der Front nicht viel mehr gilt als andere Soldaten. Aber bei meinem Truppführer hat es noch eine besondere Bewandtnis. Er ist nämlich auch ROB, stammt aus der Graf-Goltz-Kaseren und ist 1 Monat länger Soldat als ich. Dafür sind seine Truppführerdienste auch haarsträubend. Ich will nicht behaupten, daß ich es besser machen werde, aber ich bin mir gewiß, daß ich mir mehr Mühe um meinen Trupp gebe. Er tut viel zu oft interessenlos, wodurch sich bei allen einen schlechten Ruf macht, was für das Weiterkommen nicht gut sein soll. Zu Anfang habe ich ihn darauf aufmerksam gemacht. Weil er aber 3 Monate an der Front ist, betrachtet er mich als blutigen Anfänger, was auch wohl stimmen mag. Hoffentlich wird es bei mir später, wenn ich so weit kommen sollte, etwas besser. Schlechte Vorbilder enttäuschen immer. –
Dann sind noch 2 andere da, beides alte Soldaten. Der eine ist Stabsgefreiter, hat den ganzen Krieg nun schon mitgemacht und der andere unser Kraftfahrer, ein Obergefreiter. Der Stabsgefreite Haaks hat eine Eigenschaft an sich, die der Lehrer Carstens in Rendsburg auch hatte. Sobald es brenzlich wird, wird er feige und sucht sich dann rücksichtslos, immer auf Kosten anderer, in ruhigere Gegenden zu verziehen. Das mag ich nicht an ihm leiden, wenn er sonst auch ein guter Kamerad ist. Unser Kraftfahrer, Obergefreiter Rudolf, ist da ganz anders. Er verliert wenigstens die Nerven nicht, wenn es knallt. Als heute während des Marsches einige Einschläge in die Umgegend fielen sausten Unteroffizier und Stabsgefreiter vom fahrenden Wagen in die Deckung. Das wäre nicht so schlimm, ich habe mich ja nachher auch verzogen. Daß der Angstschweiß dann aber bei den beiden auf die Stirn treten kann, begreife ich nicht. Dazu war viel zu wenig los.
2.8.44
Inzwischen ist die Lage so geworden, wie ein Offizier bei der Infanterieabteilung am Großensee einmal sagte: „Keiner weiß, was los ist!“ Fährt man eine Straße entlang, haut die Artillerie plötzlich rein. Sitzt man ruhig in einem Dorf, steht plötzlich ein Russenpanzer da und alles rennt, rettet, flüchtet. Da muß man den Kopf schon verlieren. Vorne treibt die Division den Angriff vor und hinten versucht der Russe mit kleinen Gruppen die Sache wieder zum Scheitern zu bringen. Gottseidank ist ihm das nicht gelungen. Die Lage ist nun wieder hergestellt und steht zu unseren Gunsten.
Ich habe soeben zu Mittag gegessen. Es war reichlich spät, aber dafür selbstgemacht und fett. In dem Nest, das wir gestern verlassen mussten, hatten einige sehr Findige ein Schwein aufgetrieben und geschlachtet. Von ihrem Segen haben wir gegen Zigaretten etwas eingetauscht und heute davon gelebt. Ein Kochgeschirr voll Fett hatten wir auch noch. Das ist aber leider durch die Hüpferei auf den russischen Straßen ausgelaufen und hat unseren Gepäckraum völlig verschmutzt. Schade drum, aber man wird sich vielleicht noch an größere Verluste gewöhnen müssen. – Aber um auf das Essen zurückzukommen. Es mögen nicht ganz ein halbes Pfund gewesen sein. Ihr könnt es mir glauben, ein hartes Stück Arbeit war es, den Leckerbissen herunterzukriegen. Und zum Schluß war ein Schnaps ganz angenehm. Es geht mir bis jetzt auch gut. Man wird nur so faul vom vielen Essen, genau so geht es ja beim Schlafen. Heute habe ich während der ganzen Fahrt fest und tief geschlafen, trotz doller Straßen, Regen und sehr harten Kopfpolsters. Man gewöhnt sich eben so an die Schaukelbewegungen, daß es dem Schlaf nichts mehr ausmacht.
3.8.
Wieder darf ich einen Ruhetag so ausgestalten, wie ich es gerne will. Wenn man aber wenig zu tun hat, dann ist die Arbeit bald erschöpft und der restliche Tag wird buchstäblich mit Faulenzen verbracht. Ich habe mir das Leben als Funker doch viel anders vorgestellt. Die Ausbilder redeten vom Funkbetrieb, als würde man sich dabei totarbeiten. Ich habe aber bisher immer noch solche Trupps erwischt, die sehr wenig zu tun hatten. Es ist augenblicklich auch nicht viel los. Und da feste Funkverbindungen vorhanden sind, nehmen die uns die Arbeit ab.
4.8.
Nun ging es wieder weiter vor. Heute abend ist der Einsatz dann beendet und dann wird die alte Stellung wieder bezogen. Es ist ein richtiges Zigeunerleben, was man führt. Alles brauchbare wird mitgenommen, ohne Rücksicht, ob es noch jemanden gehört. C’est la guerre. Nach und kommen die Russen und die schonen ja auch nicht. Warum soll denen so viel in die Hände fallen.
5.8.44.
Es wird nun ein ganzer Roman. Und Euch wäre doch eine kurze Tagesnachricht, die jeden Tag abgeht viel lieber. Das geht aber leider nicht zu machen. Ihr müßt Euch eben genau so daran gewöhnen wie ich, alles so hinzunehmen wie es kommt. Das ist nun einmal das Los der Soldaten und derer, die mit ihnen zusammen gehören. Mutter, Du darfst mir noch einmal schreiben, wie sich der tapfere Soldatenvater macht.
Es herrscht heute endlich einmal das Wetter, was für ein annehmbares Leben nötig ist. Die Sonne schient und dazu weht ein kleines Lüftchen. Der Tag begann für mich schon um 0400 Uhr. Aber von 0700 – 1400 habe ich mich dann wieder hingelegt und fest geschlafen. Alle Menschen in der Heimat müßten, wenn die Fronten fest wären, einmal so 20 km hinter die HKL geschickt werden. Ich glaube, dort ist es ruhiger als in den Heimatkriegsgebieten. – Ihr müßtet mich eigentlich einmal in meiner jetzigen Umgebung sehen. Wenn es Wagen etwas länger in einer Ortschaft steht, paßt er sich völlig den dortigen Verhältnissen an, er bekommt auch eine polnische Wirtschaft. Überall hängt etwas zum Trocknen, liegen Decken und Mäntel herum, steht etwas Essen und über allem schweben, kriechen und sitzen Fliegen. In Polen ist das nur die Sorte Stuben- und Stechfliegen. Die dicken grünblauen Brummer, die es bei uns gibt, habe ich hier noch nicht feststellen können. Die anderen sind dafür in größerer Anzahl da. Ihretwegen muß man immer ein Hemd anhaben. Die Sonne läßt sich nicht ausnutzen, denn sonst krabbelt es gleich auf dem ganzen Körper von diesem Geschmeiß. Und da wir gerade von Insekten reden, kann ich Euch mitteilen, daß ich meinen ersten Floh wieder losgeworden bin. Er hat mich besonders an den Waden bearbeitet. Bei einer ganz gründlichen Wäsche wobei ich die Hose ausgezogen hatte, ist er wohl entsprungen. – Ihr könnt mir bei Gelegenheit auch einmal ein Stück bessere Seife schicken. Ich habe 2 Stück von der Seife, die Vater vom Friseur bekommen hat, mitgenommen. Ein solch Stück reicht 14 Tage. Ich hoffe, daß bis dahin der Antwortbrief eingetroffen ist. Sonst ist als Reserve noch ein Stück Kriegsrasierseife vorhanden. Im Übrigen geht es mir gut. Ich warte nur auf Post von Euch. Hoffentlich hat der Iwan sie augenblicklich nicht. Und wenn sie noch unterwegs sein sollte, dann muß sie ja einen großen Umweg nach Südosten machen. Nun geht der Brief endlich weg. Ich grüße Euch herzlich und hoffe, daß bald Nachricht von Euch kommt.
Euer Hanskarl

 

top