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Brief (Transkript)

Hans-Karl Schmidt an seine Eltern, am 20.11.1944 (3.2002.0251)

 

Polen, 20.11.44 (Montag)



Lieber Vater!

Als Geburtstagsbrief kommen diese Zeilen etwas früh, bei der langweiligen Feldpost muß man aber mit längeren Zeiten rechnen. – Die Gedanken, die Du zu Deinem Ehrentage hast, werden wohl die gleichen sein, wie sie auch Dein Vater hatte: „Wie geht es meinem Sohne.“ Ich kann Dir nur versichern, daß es mir nach wie vor nicht schlecht geht. Von gut kann nicht die Rede sein, weil das richtige Zuhause fehlt. Bei dem kalten Novemberwetter, das abwechselnd Schnee und Regen bringt, bleibt man am besten im Bunker. Da ist es warm und trocken, man kann sich die meiste Zeit des Tages Gedanken machen, weil doch nichts zu tun ist, man kann aber auch liegen, und das wird bei Soldaten immer am meisten getan. Ich will auch einmal die Briefe der Verwandschaft beantworten, nur mangelt es wieder an Umschlägen, denn die schon einmal gebrauchten kann ich nicht zukleben, weil das Material dazu fehlt. Seid nicht böse über all die Forderungen. Die Front ist sowieso von der Heimat im Nachschub abhängig. Die Welt sieht vom tiefen Standpunkt aus betrachtet doch ganz anders aus. Wir führen ein Leben wie die Maulwürfe, bauen die Behausungen unter die Erde, schaufeln Gräben und Löcher und nennen das alles Fortschritt. Diesen Stand der Wohnkultur haben die Menschen in eisgrauer Vorzeit doch schon gehabt. Und nun tuen wir es, um im Ernstfalle die kostbaren Leiber zu schützen. Es ist doch komisch, je weiter man sich im Hinterland befindet, um so mehr wird für die Sicherheit gesorgt. Da ist dann alles, Bauholz, Öfen, Winterbekleidung und Orden. Und vorne rennt man stundenlang, um überhaupt einen Nagel zu bekommen, der dazu dienen soll, die Zeltbahn vor der Lochöffnung zu halten. Die oberen Zehntausend wissen garnicht richtig, wie es vorne zugeht. Wie können sie das auch, wenn schlecht berichtet wird und sie selbst sich nicht von den Mißständen überzeugen. Gewiß, es sind nicht mehr so viele Ausrüstungsstücke wie zu Anfang des Krieges, das wenige aber soll nach vorne kommen und nicht schon gänzlich hinten steckenbleiben. Ich kann es Euch so genau schreiben, weil ich vorher bei der Nachrichtenabteilung war und auf dem Brigadegefechtsstand sehe und höre, was von vorne kommt und nach vorne will. Wenn die Fourage noch genau so wäre wie die Munition, dann kann Deutschland den Krieg noch lange aushalten. Es ist aber leider nicht so. In Verpflegungssachen bin ich nicht verwöhnt und schlage mir hier ganz gut den Bauch voll. Fettigkeiten gibt es mehr als bei der alten Einheit, dafür aber weniger Süßigkeiten und Marketenderware. Das wird sich im Laufe der Zeit aber wohl alles noch einspielen. Von der Wasserknappheit erzählte ich ja auch schon. Jetzt ist sie ein wenig behoben durch den Schnee. Mühselig bleibt das Herstellen und Heranschaffen aber doch. Somit wäre ich am Ende meiner Darstellungen angelangt. Vielleicht fällt mir bis morgen noch etwas ein, das wird dann noch hinzugefügt. Die Post läßt sich Zeit, also tue ich es auch.

21.11.
Der Tag begann damit, daß die Verschalung des Bunkereingangs zu knistern und zu knacken begann. Die beiden Seiten neigten sich so eng gegeneinander, daß man knapp noch hindurchgehen kann. So ist wieder für einige Tage Arbeit da. Über Langeweile kann ich mich nicht beklagen und über die körperliche Arbeit werde ich bald eine Doktorarbeit schreiben. Beim Grabenschaufeln kann man sich auch gut unterhalten. Die unmöglichsten Themen werden angeschnitten, das Kriegsende und seine Auswirkungen in beiden Variantionen – einmal in siegreichen, das andere Mal mit aufgezwungenen Frieden – dann, was jeder tun wird, wenn er erst einmal wieder in Zivilkleidern steckt, über lukullische Mahlzeiten und Gerichte, kurzum überall diese Sachen, die jetzt nicht zu erlangen sind, da wird phantasiert. Witzelnd und spöttelnd wird auch über das Steineklopfen in Sibirien hergezogen und der oder jener wird schon als Oberaufseher oder Kommissar ernannt, weil der roten Fahne treu war, als sie noch kein Hakenkreuz hatte. Eh man sich versieht, hat man sein Arbeitsstück beendet und darf nun fluchend das nächste beginnen, weil man ja so schnell arbeiten kann. „Wenn muntere Reden sie begleiten, dann geht die Arbeit rüstig fort“, sagt Schiller. Und darum teilen sich die Soldaten die Arbeit ein und was heute nicht fertig wird, kommt übermorgen an die Reihe. Hauptsache ist die Beschäftigung. Weil sonst keine Vergnügungen da sind, klönt jeder die meiste Zeit. So hat man dann die Unterhaltung, die fehlt. Unteroffiziere sagen immer: „Wenn Ihr fertig seid, könnt Ihr aufhören!“ Das ist bisher noch nie eingetreten, wer einmal lügt dem glaubt man nicht und so ist es auch hier. Die Wehrmacht ist überhaupt nur eine Beschäftigungstheorie im ganz großen Maße. Ein notwendiges Übel ist sie leider auch. – Wäre damit in einem Brief genug gesagt u. erzählt?
Ich wünsche Dir zu Deinem Ehrentage alles Gute, was es jetzt auf Erden noch geben kann, vor allen Dingen das glückliche Wiedersehen mit allen Deinen Lieben. Ich werde am 10. an Dich denken und in Gedanken bei Dir sein
Dein Hanskarl

Ich bin zu dieser Einheit nur kommandiert, komme in absehbarer Zeit wohl wieder zu 18519 zurück. Schickt die Weihnachtspakete ruhig an die alte Adresse.

 

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