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Brief (Transkript)

Bekannte an Ehefrau Huber am 30.9.1942 (3.2002.7130)

 

Nürnberg, 30.9.42.



Liebe Trudl!

Ich schnaufte ganz auf, als ich hörte, daß Euch in Pasing nichts passierte und wollen wir weiter das Beste hoffen. Auch meinen Münchener Verwandten ist nichts passiert, nur sind sie schrecklich nervös. Meine Tante schrieb uns per „Feldpost“! Meine eine Tante die alleinstehend ist, eine Handarbeitshauptoderoberlehrerin mit einer Riesenwohnung hat einen Mann einquartiert bekommen, der auch fliegerbeschädigt ist. Zufällig war auch mein Regensburger Onkel auf einer Geschäftsreise an dem bewußten Samstag/Sonntag in München und war zufällig noch nicht in seinem Hotel, sondern saß mit seinen Freunden in einem öffentl. Luftschutzkeller beim Alarm. Als er in sein Hotel zurückkehrte war alles durcheinan-der geworfen, die Fenster alle hin, die Türen lagen überall herum, das ganze Bett ein Glasscherbenhaufen usw. Es ging eine Sprengbombe vorm Hotel los und nebenan brannte eine Ausstellungshalle, es wird die sein, von der Du schriebst, nähere Angaben machte er nicht und fuhr dann Sonntag abends wieder weg, so schlimm soll der Angriff aber nicht gewesen sein wie in der alten Noris, es wird, wie bekannt, ja viel dazugemacht. - Anbei die Zeitungsausschnitte der Toten, die z. Zt. bekanntgegeben wurden, es sind aber in der Zwischenzeit noch welche gestorben, die weiter nicht erwähnt wurden. In der Harsdörfferplatzgegend soll es 1 Toten gegeben haben. Ich lege die Ausschnitte bei, da sich Deine lb. Mama dafür interessiert hat. - Nun gebe ich Dir folgend die amtlichen Zahlen von unserem Angriff bekannt:
49 – 50 Stck. 4-mot. Bomber (amerik.)
12 Luftminen à 16 _ Ztr. (nicht los, krepiert)
112 schwere Bomben (schw. Kaliber) teils Blindgänger
50 Sprengbomben à 500 kg. „
32 Sprengbomben à 210 kg „
30 Sprengbomben à 110 kg. „
500 Stabbrandbomben „
9800 Phosphorbrandbomben à 14 kg. „
200 flüssige Phosphorbomben à 112 kg „
220 größere Brandherde, 650 kleinere Brandherde, 200 Wohnhäuser total hin, 400 Wohnhäuser schwer beschädigt, 1500 Wohnhäuser leicht beschädigt. - 130 Tote (ohne SS u. WM), 360 Verletzte, 20000 Obdachlose - Wenn die Bomben alle los wären, hätte man sicher von Nürnberg nicht mehr viel gesehen, aber es waren viele Blindgänger dabei. - Von meinem Bruder haben wir noch gute Nachricht, er ist in der Stalingradgegend und sehnt sich nach Plätzchen, Gemüsen und Früchte und Wärme: es ist nachts schon verdammt kalt und schlafen auf der blanken Erde, tief eingegraben. - Alfred war noch 4 Tage in Mittenwald und kam ganz begeistert nach Hause, er war ja auch das erste Mal im Gebirge. 5 Tage war er noch in Hof bei seinen Angehörigen und nun schwitzt er wie ich beim Arbeiten. - Daß ich ganz erschossen war nach der Untersuchung bei den Brünnings, kannst Dir ja denken, ich tröste mich nur dadurch, daß es ja heute in der Kriegszeit nicht so auffällt, wo fast jeder durch irgendwelche Weise ein Leid zu tragen hat, sei es auf diese oder jene Art. Es ist für mich ja sehr bedauerlich, wo ich bis vor einigen Jahren tadellos hörte. Nun spricht er einfach von einer Vererbung, das kann aber doch unmöglich sein, denn erstens habe ich in der ganzen Verwandschaft niemanden, der schlecht hört und zweitens hätte sich doch dann ein solches Leiden eher bemerkbar machen müssen und nicht erst mit 27 Jahren. Ich sagte ihm das auch, dann hat er nur erwidert, das könne schon sehr lange zurückliegen, allerdings meine Ahnen aus dem 17. Jahrhundert kann ich auch nicht mehr feststellen. Ich kann das einfach nicht glauben. Gegen das lästige Ohrensausen gibt es kein Mittel, man müßte sich daran gewöhnen!! Dann spricht er von Höhenluft, die ich haben sollte. Schon mal ein hiesiger Arzt Dr. Federschmidt behandelte mich nicht und sagte nur, ich soll mich geistig und körperlich nicht überanstrengen, nicht viel Fleisch essen, tief atmen, keine großen Touren machen, mich nicht arg in die Sonne legen usw. Mein Hausarzt will mir demnächst Einspritzungen ins Blut geben, anscheinend liegt es doch am Blutkreislauf und evt. Nervensache. Auch will ich es mit Wechselbädern versuchen, die mir nicht nur Deine Mama, sondern auch meine Tante in München empfohlen hat. Lb. Trudl, daß ich durch dieses Leiden einen schweren Kummer habe, das kannst Du ja verstehen, aber es ist halt mal so und es ist nur gut, daß ich einen Humor habe und dann leichter drüber weg komme. Ich bin schon das reinste Versuchskaninchen geworden. Was ich allein schon an Tabletten gefressen habe, das mir die Ärzte immer geben, das ist schon Weltrekord, so eine Art „Strichnin“ war auch schon dabei, aber ich hielts aus, ging einfach nicht drauf!!! - Papa ist noch in Vorarlberg drunten und er ist schon wieder auf dem Weg der Besserung. Tillys Mann ist nun auch in Urlaub gekommen, ich denke sicher, daß sie auch nach Nürnberg fahren wird mit ihm, da seine Geschwister noch alle hier sind. - Hoffentlich kommt auch Dein lb. Bertl bald. Lb. Trudl, sei nun für heute recht herzlichst gegrüßt, auch Deine lb. Kleinen, Deine lb. Mama, Gisl und Mandi von Deiner Anny.
Bleibt alle recht gesund! Lasse gelegentlich wieder etwas von Dir hören und wenn Du mal der ehrw. Mater Ignatia schreibst, richtest viele Grüße aus von mir, die mich immer für einen Melancholiker in der Schule gehalten hat, weil ich damals immer so „schüchtern“ war. - Wie Du schriebst, waren die Flieger in Aufkirchen, das ist doch beim Starnberger See? Dieses Kaff vergesse ich nicht so leicht. Wie ich nämlich mit Alfred in Leoni ausstieg, wurden wir durch eine Tafel, auf welcher das Gasthaus zur Post mit eigener Metzgerei hervorragend gelobt wurde, aufmerksam und stiegen _ Stunde hoch (man kann sagen, es war schon steil). Als wir dort landeten, mußten wir eine _ Stunde auf das Essen warten und was gabs? 2 Würstchen und alte verhuzelte Kartoffeln mit steinhartem Bohnengemüse. Wir löffelten nur so, was erscheint da am Nebentisch, wo lauter Einheimische saßen? K a l b s h a x e n mit pfundigem gemischten Salat!! Wir sind dann eiligst davon, auch alle übrigen Gäste, die wegen der feinen Metzgerei schwitzend aufgestiegen waren. Ja, das sind so Erlebnisse!

 

 



Ansicht des Briefes

 

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