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Brief (Transkript)

Schwester an Adalbert Huber am 22.9.1942 (3.2002.7130)

 

22.9.1942



Lieber Bertl!

Gestern ist Dein Brief an Mama gekommen und jetzt will ich Dir gleich Antwort geben, damit Du nicht so lange im Ungewissen bleiben mußt wegen unseres Fliegerangriffs. Ich bin heute eigens früher aufgestanden und mit dem _ 7 Uhr Zug in das Büro gefahren, damit ich den Brief an der Maschine schreiben kann. Erst dachte ich schon, von dem Angriff nichts zu schreiben, aber ich glaube, es werden so viele Gerüchte zu Euch getragen, daß es besser ist, ungefähr Sicheres zu erfahren. Ich will Dir nun so wahrheitsgetreu erzählen, wie ich es weiß. – Wir waren, d.h. Mama und ich, waren am Samstag Nachmittag in Germering um 1. unseren ev. neuen Hund zu besichtigen, der aber erst 8 Tage alt und möglicherweise eine Rußl-Dovermannkreuzung ist. Ob wir ihn nehmen entscheidet sich erst in ca. 4 – 6 Wochen. Brauchen können wir ihn schon, da jetzt überall so viel gestohlen wird und außerdem wäre Mama nicht den ganzen Tag allein. Dann haben wir 2. dort Wolfi besucht, der ein arg netter kleiner Mann geworden ist. Anschließend sind wir um 4 Uhr nach Pasing gefahren. Wir haben ja die Kinder nicht mehr gesehen, seit Norbert erkrankte. Es ist gerade eine Freude zu sehen, wie die kleine Otti mit den anderen schon mitmacht. Sie ist arg lieb und ich glaube noch lustiger wie Gisa und Tilo. Wir vier haben halt ein wenig Gaudi gemacht im Garten und Sand gespielt und das war sehr schön. Um _ 9 sind wir dann nach Hause gefahren, weil Tante Bärbl und Heide inzwischen wieder gekommen sind. Heide mußte ihren Dienst in der Munitionsfabrik in Ingolstadt wieder antreten. Um _ 10 Uhr waren wir zu Hause und um 11 _ kam Papa von einer Fahrt nach Ottenhofen nach Hause. Es wurde halt _ 12 bis wir in das Bett kamen und wir waren alle froh als wir lagen, weil es am Tag ziemlich heiß war. Um 12 _ bin ich wach geworden und habe durch das Fenster, das jetzt noch immer offen ist, die Scheinwerfer gesehen und Schießen gehört, das aber noch nicht ganz nah war. Den Alarm haben wir nicht gehört. In meiner Verschlafenheit hab ich mir eingebildet, das wäre eine Übung und ich bin wieder in das Bett gegangen. Mama wurde dann wach (sie hat gedacht, sie habe noch nicht geschlafen) weil ich das Licht angeknipst habe und frug mich, was los sei. Ich gab darauf wieder zur Antwort, ich weiß nicht, die Scheinwerfer sind draußen und Schießen tun sie auch. Inzwischen ist aber die Schießerei plötzlich so stark geworden, daß wir uns doch entschlossen aufzustehen und in den Keller zu wandern. Tante Bärbl und Heide kamen vor Aufregung gar nicht mehr zum Anziehen. Wir haben nur vergessen die Fenster aufzumachen, was wir ein anderes Mal bestimmt wieder tun würden. Nun sind wir vereint im Keller gesessen. Papa ging ab und zu nach oben, d.h. er war mehr oben als unten, um nachzusehen, ob im Haus und Umgebung nichts los ist. Plötzlich hörten wir eine Bombe sausen und dann einen Einschlag. Unser Häusl hat schon gezittert, aber das zittert auch wenn die vier schweren Flackgeschütze an der Moosacherschule schießen. Außerdem haben wir ganz deutlich einen Flieger gehört, der mit Maschinengewehr geschossen hat. Sonst hörten wir unter der allgemeinen Schießerei nichts heraus. Nach einer guten Stunde hörte die Flack auf und dann gingen wir nach oben und in den Garten und sahen den ganzen Süden der Stadt im Feuerschein. Wir dachten nichts anders als das ganze Bahngelände und der Bahnhof stünden in Flammen. Da die ganze Siedlung unterwegs war, waren es auch unheimlich viele Vermutungen und Behauptungen die sofort aufgetaucht sind. Und gleich stellte sich auch heraus, daß in der Siedlung eine Menge Fensterscheiben kaputt waren. Auch wir haben nachgesehen und es ist lediglich eine äußere Scheibe von der Terassentür kaputt und eine Dachziegel zur Hälfte abgeschlagen. Das Gartenhäusl hat es mehr erschüttert. Da war das Schloß verbogen, sodaß man die Tür nicht mehr zumachen konnte. Zwei Tassen sind geflogen, eine auf den Boden und eine in einen Teller mit Zwiebeln. Keine ist gebrochen. Eine dritte Tasse hat es an den Rand geschoben. Ein Teeglas lag zersplittert am Boden. Der Teller mit Mohn ist umgekippt, ein Liegestuhl umgeworfen. Der kleine Kiesel von der Dachpappe ist über das ganze Häusl verstreut. Im Haus hat es außerdem noch beim Kachelofen den Ruß herausgedrückt, sodaß der ganze Ofen oben und auf der Brüstung schwarz war. Das waren bei uns die Schäden. Die andern Häuser hat es schlimmer mitgenommen d.h. zum Teil nur. Die meisten haben mehrere Dachziegel gehoben und mehre-re Fensterscheiben kaputt. Bei einzelnen sind Mauerrisse, Deckenschäden (Verputz abge-sprungen) Riegel von den Türen und Fensterläden verbogen u. ähnliche kleine Schäden. Der ganzen Wirkung nach muß es eine Luftmine oder ein Lufttorpedo gewesen sein. Sie ist in dem Dreieck Maria Ward – Netzer – Allacherstr. in den Acker gegangen. In einem Durchmesser von 100 m ist alles versengt Der Trichter ist nicht besonders groß und gar nicht tief. Von den Bäumen an der Maria Wardstr. sind armdicke Äste abgerissen. Die Fenster sind auch am Bahnhof noch kaputt. Ob das aber von der Bombe oder von der Flack kommt, wissen wir nicht. Am schlimmsten sind die 3 Läden Zöttl, Schönbuchner und Bäcker-Huber. Da sind alle Schaufenster eingedrückt. Das war in Richtung Moosach. Nun weiter zur Nacht. Der Feuerschein ging also von Richtung Laim bis Richtung Bahnhof, dann noch zwei Feuerstellen im Osten und Nordosten. Einen Brand sahen wir deutlich und das war ein Haus an der Dall-Armistr. direkt neben dem Altersheim. Da ist ein Dachstuhl abgebrannt. Um 2 _ war Entwarnung und dann sind wir in das Bett. Am Sonntag Morgen waren die Gerüchte schon groß. Straßenbahn ist keine gefahren. 1000 Obdachlose waren in der Früh schon bei der NSV gemeldet. (Das sind keine Gerüchte) In Forstenried ist das große Holzwerk Lutz mit 8000 cbm abgebrannt. Klöpfer und Königer ist zur Hälfte abgebrannt. Die ehem. Infanteriekaserne in der Arnulfstr. muß abgebrochen werden. Weiterhin sind Zerstörungen größerer Art am Elisabethenplatz, am Finanzamt West, in der Lessingstr., am Gollierplatz, in Sendling, in Haidhausen, hinterm Ostbahnhof. In der alten Heide folgen 350 Stabbrandbomben in einer Wiese. Am schlimmsten ist es in Solln. Man erzählt, daß die Flieger von einem Flugzeugträger aus dem Mittelmeer über die Schweiz gekommen sind. Lindau hätten sie so schnell überflogen, daß überhaupt keine Abwehr möglich war. Dagegen war die Abwehr im Süden der Stadt, wo sie einfliegen wollten so stark, daß auch diese Orte am meisten betroffen wurden. Sie mußten ihre Ladungen zum großen Teil dort schon abwerfen und sind dann nur einzeln von Osten und Westen in das Innere der Stadt gekommen. Sie hätten sonst sicher noch mehr Schaden angerichtet. Ein Glück ist, daß im Süden doch viele Wälder sind und im Verhältnis der Schaden nicht so furchtbar ist. So weit nicht verdunkelt war, haben sie einzelne Häuser direkt angegriffen. Die meisten Toten gab es aber dadurch, daß die Leute aus den Kellern heraus sind um zu helfen oder zu schauen. In Laim sei die Agnes Bernauerstr. getroffen. Im Stadtinnern gab es hauptsächlich zerbrochene Fenster. Die großen Hotels, Kaiserhof, Deutscher Kaiser, Park Hotel, Regina Palast Hotel haben alle keine Fenster mehr. Unendlich viele Schaufenster sind zertrümmert. Die neue Ausstellungshalle in der Sonnenstr. ist getroffen. Ein Glück, daß München so viele Anlagen hat, die haben doch verschiedenes aufgefangen. Wohl müssen die Häuser geräumt werden, aber es sind doch nicht so viele in den Trümmern begraben. Das gleiche gilt ja auch für unsere Siedlungen. Unsere stabilen Fensterläden haben sich doch auch bewährt. Eben höre ich, daß auch in den Tierpark drei Bomben geflogen sind. Hotel Continental, Neue Börse und was da unten rum noch so ist hat keine Fenster mehr und verbogene Jalousien. An Straßen sind noch bekannt: Parkstr., Auerfeldstr., Khidlerstr. Da sind überall einzelne Häuser getroffen, aber nicht ganze Straßenzüge wie erst erzählt wurde. Es genügt ja so schon. Mehr weiß ich Dir gar nicht mehr zu erzählen. Flugblätter sollen die Engländer abgeworfen haben und daß sie in 5 Tagen, die andern sagen in 14 Tagen, wieder kommen. Sie würden den Kreistag halten, hätten sie geschrieben. Auf alle Fälle wurde der Kreistag, der vom 23. – 27.9. stattfinden sollte gestern abend noch abgesagt. Da sind wir schon sehr froh darum. Es muß alles bei den Räumungsarbeiten helfen. Am Nordfriedhof werden die Leichen aufgebahrt und morgen früh ist der Staatsakt. Anschließend ist die Beerdigung in den einzelnen Friedhöfen. Ob die Zahl der Toten wie in dem Zeitungsausschnitt angegeben, richtig ist, weiß ich nicht. Auch unter unsern Eisenbahnern sind einige Tote und Obdachlose. Zu einer der Witwen mußte ich gestern gleich nach Solln fahren. Es gibt so viel Elend in der Stadt, aber es hätte noch viel schlimmer sein können, gemessen [...]

 

 



Ansicht des Briefes

 

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