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Brief (Transkript)

Schwester an Adalbert Huber am 12.3.1943 (3.2002.7130)

 

München, den 12. März 1943



Lieber Felix und lieber Bert!

Gleich von vorneherein will ich erklären, daß ich diesen Brief an Euch beide mit Durchschlag schreibe, auf Anraten von Mama. Es ist ja doch das Gleiche, was Euch beide interessiert. Seid also nicht beleidigt über diese unpersönliche Angelegenheit. Ich wußte auch nicht, wen ich bei dieser Anrede zuerst nennen soll, drum dachte ich mir „dem Älteren gebührt das Vorrecht“. - Nun aber zur Sache. Jetzt sind wir schon ein wenig zu uns gekommen und haben uns von dem Schrecken erholt. Es war eine grausame Nacht. Kurz nach _ 12 Uhr war Alarm, 10 Minuten später waren die Flieger schon da. Und dann ging es los. Ein Einschlag nach dem anderen. Es war immer wie ein gewaltiger Sturm der angerast kam und der sich dann an unserem Haus brach, daß Türen und Fenster zitterten. Wir hörten es dauernd anrollen. Eine Detonation war so stark, daß es uns die Kellerfenster aufriß und die Oberlichte von der Haustüre mit dem ganzen Rahmen herunterschmiß. Da haben wir schon einen gelinden Schrecken bekommen. Sogar Strupp hat da gezittert und gewinselt, hat sich aber auch schnell wieder beruhigt. Wir drei Frauen waren dauernd allein im Keller. Papa und Herr Erl waren ständig unterwegs und kamen nur ab und zu mit Schreckensnachrichten. Da brennt es und dort brennt es. Beim Hehl vor der Haustüre, beim Eder am Dach, in der Warschauerstr. mehrere Brände am Boden, kurzum in der ganzen Nachbarschaft. Die letzte Nachricht war, beim Deininger brennt der Dachstuhl, wir müssen zum Löschen. Das war noch mitten in der Knallerei, aber daß sie tatsächlich fort gingen, sagten uns beide nicht. Als es ruhiger wurde (die schwere Flak schoß sehr wenig weil die Flieger zu tief waren) gingen auch wir hinauf und sahen Brände rings um uns. Das größte Feuer in der nächsten Nähe war das Lager vom Lachner. Der Dachstuhl vom Deininger und ein Gartenhaus beim Beier, schräg hinter uns. Die anderen Sachen sah man vor lauter Feuer nicht mehr. Frau Erl und ich liefen mit den Eimern zu Deiniger um da beim Löschen zu helfen. Leider war das Wasser sehr wenig. Es mußte beim Theobald mit dem Pumpbrunnen gepumpt werden, dann mit der Luftschutzspritze in Eimer und von da in einer Kette zum Deininger. Papa und Erl waren ganz vorne dran. Die sind als erste zum Haus. Das Gartentürl war noch verschlossen, die Leute waren im Keller gesessen. Herr Deininger löschte im Garten eine Brandbombe während der Dachstuhl schon brannte. Die Dachwohnung ist ausgebrannt und der erste Stock auch nicht mehr zu gebrauchen. Dann bin ich mit Frl. Meisenberger nach der Entwarnung zur Ortsgruppe nach Moosach um dort zu helfen in der Obdachlosensammelstelle. Im Dorf Moosach sieht es auch sehr böse aus. (Was bei uns noch alles los war in der Umgebung erzählt Euch Mama noch gesondert) In Moosach hat es viele Bauernhäuser getroffen. Die Siedlung an der Scharnhorststr. Die Häuser gegenüber der Post und die Post selbst. Vorne in der Allacherstr. beim Feldkreuz ist auch eine Sprengbombe eingeschlagen, die das Haus von Föhlinger arg baufällig machte. Als die Leute beim Löschen im Garten waren, haben die Engländer mit Bordwaffen geschossen. Die ganzen Einschläge sind in der Sandkiste und im Gartenzaun zu sehen. Sehr schlimm soll es in Moosach Richtung Gaswerk sein. Der kleine Gaskessel ist zerstört und wir daher seitdem ohne Gas. Zwei Tage auch ohne Licht, das uns während der Angriffe im Keller schon ausgegangen ist. Die Borstei ist beschädigt. Die Waisenhausstr., die nördliche Auffahrtsallee, die Wotan und die Prinzenstr. in Nymphenburg, die Porzellanmanufaktur, die Gobelinmanufaktur, der ganze eine Dachstuhlflügel im Altersheim an der Dal Armistr., das Haus beim Nymphenburger Krankenhaus das gegenüber der Gartenhäuser steht, das Eckhaus an der Dal Armistr. Weiter herein ist die Donnersbergerstr. arg mitgenommen, das Falk und Fey-Lager an der Arnulfstr. ist ganz abgbrannt, zw. Nymphenburger u. Blutenburgstr. sind Einschläge. In Gern der Ballauf, im Nederlingergut und noch verschiedene Häuser in dieser Gegend sind getroffen. In der Dachauerstr. das Straßenbahndepot (das dritte jetzt) Das Reichsbahnbetriebswerk mit den ganzen elektrischen Maschinen. Die Züge fahren jetzt immer erst wenn eine Maschine zur Verfügung steht. Fahrplan gibt es keinen. Unser Fernheizwerk, sodaß wir hier in der Direktion auch im Kalten sitzen. In einem Block in Laim sind 400 Wohnungen beschädigt. In Pasing brannte unter anderen der Dachstuhl der Hans-Schemmhochschule, sodaß Trudl schon daran war zu räumen. Es konnte aber noch rechtzeitig gelöscht werden. Am andern Tag ist dann der Flügel der der Bahn zuschaut, ganz abgebrannt (Dachstuhl) Sie haben eine Brandbombe übersehen, die in eine Kleiderkammer fiel und erst später zündete. Tausende von Brandbomben fielen in der ganzen Stadt. Der Süden und Osten war diesmal verschont. Stark getroffen ist die Schellingstr. dann noch die Bruderstr. die Universität, die Residenz, der Dom (ist die Orgel ausgebrannt) die Schäfflerstr. mit unserem schönen Seifengeschäft, die Rückversicherung, die alte Pinakothek, die Landesblindenanstalt in der Ludwigstr., die Ludwigskirche. Unsere Direktion hat 3 Brandbomben abbekommen. Außerdem ist die BMW, die Südbremsen, der Ratgeber, der Kraus (angeblich) und noch verschiedene kleinere Fabriken getroffen. Man kann gar nicht alles aufzählen, weil man so viel wieder vergißt. Alles anzusehen ist unmöglich. Den ersten Tag waren wir alle noch ganz benommen, vor allem von dem Schreck wegen Herrn Roeckelein. Frau Roeckelein ist immer noch nicht gefunden. Man weiß nicht, ob sie geborgen ist oder nicht. Herr Roeckelein jedoch sagt, daß seine Frau tot sei. - Nun will ich mit meinem Bericht Schluß machen und zu Hause noch schreiben, wenn mir noch was einfällt. Hoffentlich verschonen uns die Flieger in der nächsten Zeit. Ich habe so steife Finger, da geht das Schreiben so schlecht. Mit dem Mantel zu arbeiten ist nicht schön. - Lieber Bertl! Jetzt ist es wieder einen Tag später, aber heute muß der Brief endgültig fertig werden. Mama will Dir noch gesondert schreiben, was in unsrer nächsten Nähe alles los war. Heute war ich bei Herrn Roeckelein. Er ist ganz verzweifelt. Die Frau ist noch nicht geborgen. Weißt Du jemand der eine Kuckucksuhr verkaufen würde. Damit könnten wir ihm eine große Freude machen. Er hat überhaupt nichts mehr: Auch die Koffer sind im Keller verbrannt. Mit Pasing war die Telephonverbindung unterbrochen. Jetzt habe ich mit Bahntelephon an den Bahnhof gerufen und gefragt, ob in der Waldkolonie etwas passiert sei. Ich bekam die Auskunft daß die Hochschule gebrannt hat, jetzt bin ich aber gleich losgefahren. Vom Willibaldplatz mußte ich hinauslaufen, aber ich hatte mich wenigstens persönlich überzeugt, daß bei Trudl nichts fehlte. Nun glaub ich, hab ich Dir wieder viel berichtet. Eine Karte haben Mama und ich sogleich geschrieben. Hoffentlich geht es uns weiter gut. Deinen Brief haben wir mit Freuden erhalten. Bleib bloß noch lange da. Mit vielen Grüßen - Deine Gustl.

 

 



Ansicht des Briefes

 

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