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Brief (Transkript)

Vater und Schwester an Adalbert Huber am 23.9.1944 (3.2002.7130)

 

München, den 23. September 44
Lieber Felix und lieber Bertl!

Heute will ich Euch beiden zusammen einen Brief schreiben, wenn Ihr auch räumlich weit auseinander seid. Nach dem gestrigen Angriff habe ich gleich heute früh die Karten abgeschickt, aber leider das Datum verkehrt geschrieben. Ich dachte wir hätten gestern erst den 21.9. gehabt. - Ich war gerade dabei, nach Grafrath zu fahren. Ganz wohl war mir bei der Sache nicht, wie ich zum Bhf. ging, weil wir während der Mittagsstunden überhaupt nicht gerne fort gehen. Aber die dienstliche Fahrt wollte ich doch nicht länger hinausschieben. Mein Zug sollte um 12.25 fahren, war aber um die Zeit noch nicht da, sodaß wir Verspätung bekammen. Ich saß gerade im Zug wie der Alarm war und bin wie von einer Wespe gestochen auf und davon. Ich wollte doch nicht fort fahren während eines Alarms, weil man nicht weiß, wie man dann wieder in die Stadt kommt und außerdem werden so viele Züge beschossen, daß es kein Vergnügen ist, während eines Alarms zu reisen. Ich bin also mit Vielen anderen in den Bahnhof Bunker gewandert. Jetzt ist gerade Voralarm. – Nun ist inzwischen Sonntag geworden, weil ich gestern nicht mehr weiter schreiben konnte. Wenn die Direktion Voralarm gibt, dann tragen wir unsere Maschinen in den Keller und rüsten uns für den Alarm. Der ist gestern, zu unserer großen Freude, nicht gekommen, aber 1 _ Std. haben wir darauf gewartet. Die Straßen waren schon leer, wie an einem heißen Friedensommersonntagmittag (war das ein langes Wort!). Auf den Angriff vom Freitag hin, sind die Leute wieder etwas vorsichtiger geworden. Es war öffentliche Luftwarnung. - Nun wollte ich vom Freitag weiter erzählen! Ich bin also mit dem ganzen Strom in den Bunker gewandert und habe mir da in einem Raum einen Platz gesucht. Leider war es der Raum, der neben den Waschräumen und Closetts liegt und da die Türen alle offen waren, hat es bei uns eine entsprechende Luft gehabt. Außerdem hat scheinbar auch die Frischluftzufuhr in unserm Raum nicht funktioniert, denn wie ich nachher festgestellt habe, war es in den anderen Räumen wesentlich kühler. Ich habe auf alle Fälle geschwitzt wie in einem Dampfbad. Geredet durfte nicht werden, wegen des Sauerstoffverbrauchs und da man sonst auch nichts hört außer ab und zu eine sehr nachlässig weiter gegebene Meldung des Laibacher Senders bin ich eingeschlafen. Auf einmal hat es 4 –5 furchtbare Schläge getan, die Leute sind aufgesprungen und haben geschrieen und gekreischt, das Licht ist ausgegangen und dann wurde Ruhe geboten. Es hat sich auch gleich wieder alles beruhigt und wir sind im Dunkeln gewesen. Die phosphoriszierenden Wände geben eine gespensterhafte Beleuchtung. Die Leute, die an der Wand sitzen, sehen aus wie Schatten im Mondschein. Die Luft ist fast unerträglich schlecht und heiß geworden, dann haben sie mit Handpumpen Frischluft zugeführt. Der Lautsprecher hat nicht mehr funktioniert. Durch den Lärm den die Pumpe machte glaubten die Redeseeligen auch wieder Recht zum Reden zu haben. Es gab dadurch ständig Streit, weil die anderen umso mehr pumpen mußten, als durch das Reden Luft verbraucht wurde. Dann haben sich auch zu wenig Freiwillige zum Pumpen gemeldet. Endlich war Entwarnung und wir konnten das Dampfbad verlassen. Aber wie sah der Bahnhof droben aus. Die Gleise durchgewühlt. Das was vom Glasdach von den letzten Angriffen noch da war, lag herunten, die Verkaufsbuden, die wieder neu aufgestellt waren, lagen zertrümmert. Man stieg nur über Glas und Holz und Blech. Dazu gab es sehr viele Verwundete, die nicht im Bunker sondern im Keller waren, den es getroffen hat. Im Bunker haben nicht alle Platz und dazu sind die Keller im Bahnhof als Luftschutzkeller ausgebaut und abgestützt. Erst vor einiger Zeit hab ich mir diese Keller angeschaut und habe bei mir gedacht, da möchte ich nicht hineingehen, wenn es nicht unbedingt sein muß. Die sind mir nicht besonders fest vorgekommen und drüber ist auch nichts mehr, weil ja alles ausgebrannt ist. Was vom Bahnhof vorher noch ganz war, ist jetzt zertrümmert. Wir mußten bei der Bayerstr. hinausgehen und an den Trichtern vorbei, die wir im Bunker so stark gehört bzw. gespürt haben, über meterhohen Schutt steigen. Bayerstr., Schillerstr., der Rest vom Telegraphenamt, Hotel Schottenhammel, Justizgebäude, Hotel Wolf, Landshuter Hof, Hirtenstr. (die Arnulfstr. war gesperrt, jetzt mußte ich da durch um ins Büro zu kommen) Starnberger Bf. sind die zerstörten Gebiete die ich auf meinem Weg ins Büro gesehen habe. In der Hirtenstr. füllte der Schutt auch die ganze Breite der Straße meterhoch aus. Da mußten wir drüber steigen. Die Neuhauserstr. (Oberpollinger) und die Gegend um den Dom hat es auch stark mitgenommen. In Ludwigsfeld sind auch Bomben gefallen und bei Haar haben sie einen Vorortszug beschossen. Im Büro war mit Ausnahme kaputter Fenster und Türschlösser auf der Südseite nichts passiert. Ich habe mich auf den Heimweg gemacht, weil ich ja nicht mehr telefonieren kann (seit den Juliangriffen sind alle fünfer und sechser Nummern gestört) Das Rollbähnchen, das den Kies vom Bunkerbau am Starnbergerbf. hinausbefördert hat, ist jetzt mit Bänken ausgestattet worden und nachdem gerade vor unserm Haus der sog. Bahnhof für dieses Bähnchen ist, habe ich mich gleich darauf gesetzt und konnte auf diese Weise bis zum Steubenplatz fahren. Von da ist es doch nicht mehr so weit heim. Zu Hause war Gott sei Dank alles in Ordnung. Lieber Bertl! Das ist also mein Bericht vom letzten Freitag. Hoffentlich haben wir jetzt wieder Ruhe. Hast Du das Rasierwasser schon bekommen? Nun sei herzlich gegrüßt und bleibe gesund bis wir Euch wiedersehen. Ein inniges Gedenken - Deine Gustl.
Herr Sutor war heute da um uns zu sagen, daß auch in Pasing alles in Ordnung ist. Recht herzlichen Gruß und ein frohes Wiedersehen - Deine Mama.
herzliche Grüße auch von mir und ein frohes Wiedersehen!
Dein Papa.

 

 



Ansicht des Briefes

 

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