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Brief (Transkript)

Gerhard Limpach an seine Eltern und Schwester am 29.12.1942 (3.2002.0883)

 

O.U., den 29.12.42



Liebe Eltern u. Schwester!

Nun sind wir doch nicht am 29.12. gefahren, es geht erst am 31.12. los. Ich schicke Euch 2 Zulassungsmarken, die für Dezember gelten. Schicken könnt Ihr ja im Augenblick noch nichts, doch wird es ja nicht mehr allzu lange dauern, bis wir unsere neue Feldpostnummer haben. Ich muß dann doch eine ganze Menge Päckchen bekommen. – Wir haben gestern und vor allem heute ganz ordentlich gearbeitet. Wir mußten die Geräte der Pioniere in die Güterwagen verladen, da die 1. und 2. Kompanie (ich gehöre im Augenblick der 3. Kompanie an) vor uns fährt. Das war ein sehr schweres Stück Arbeit. Aber wir konnten dabei wenigstens nicht so frieren. In den letzten Nächten sollen hier schon minus 30 Grad und am Tage minus 25 Grad gewesen sein. Aber man merkt doch nun etwas von der Abhärtung. Wenn ich mal im Winter nach Berlin komme, werde ich immer ohne Mantel u.s.w. herumlaufen! Am Sonntag hatten ich und einige Kameraden von meiner Stube Urlaub eingereicht, da wir nach Kiew wollten. Der Urlaub wurde genehmigt und wir zogen dann auch ab. Leider war es schon ziemlich spät, als wir losgingen (so gegen 14 Uhr), so daß wir ein ganz schönes Tempo auflegen mußten. Von Darniza läuft man normal etwa 2 Stunden, wir hätten es fast in 1 ¼ Stunde geschafft, wenn wir nicht falsch gelaufen wären. Aber wenn man die russische Bevölkerung fragt, kann man gewiß sein, eine falsche Auskunft zu erhalten. Mir ging es einmal so, daß ich ins Soldatenheim in Darniza gehen wollte und einen Russen nach dem Weg fragte. Ich ging dann den mir gezeigten Weg, der durch ein Wäldchen führte. Als ich an dessen Ende anlangte, sah ich mit „stillem Vergnügen“ ein Schild auf diesem Weg: „Vorsicht, Lebensgefahr! Russisches Minenfeld“. Und ich war durch dieses Minenfeld gelaufen! – Aber weiter. Wir kamen also am Dnjepr an, vor uns am anderen Ufer auf sehr hohem, steil abfallendem Ufer lag Kiew. Die Brücke hier über den Fluß war gesprengt, so daß wir am Ufer entlang, zum Teil über zugefrorene Nebenarme des Flusses, bis zur nächsten intakten Brücke laufen mußten. Dabei hatten wir einen wundervollen Anblick: vor uns , hoch auf dem Berg, lag ein Kloster mit seinen hübschen Türmen und wurde von der untergehenden Sonne in ein prächtiges Licht getaucht. Dann kamen wir an die Reichenau-Brücke, die auch von unseren Pionieren gebaut worden ist (ein paar Reste der gesprengten Brücke wurden dabei in den Neubau übernommen). Die Länge dieser Brücke beträgt etwa 2 km. Sie ist sehr stark gesichert. 20 Minuten brauchten wir, um hinüber zu kommen. Doch viel konnten wir nicht mehr besichtigen, da es schon dunkel wurde. Erwähnen möchte ich besonders die Hauptstraße, in der ja bekanntlich noch nach dem Einzug der deutschen Truppen unzählige Häuser in die Luft flogen. Die Straße bietet, besonders im Halbdunkel, ebenso wie fast die ganze Stadt, ein grauenhaftes Bild der Verwüstung. Ich glaube, wenn man die Verwüstungen nach einem Luftangriff auf Hamburg oder Bremen damit vergleicht, so ist das überhaupt nichts dagegen. Neben sehr ärmlichen und baufälligen Behausungen sahen wir jedoch auch sehr eindrucksvolle und schöne Gebäude. Meistens nach amerikanischen Stil (5 bis 6 Stockwerke hoch) gebaut. Wenn man sich verschiedene dieser Gebäude jedoch näher betrachtet, so stellt man fest, daß es Holzbauten sind, mit Gips verputzt. Das trifft vor allem bei den meisten der 1 bis 2 stöckigen Wohnhäuser zu. Nachdem wir nun mancherlei gesehen hatten, gingen wir ins Soldatenheim und tranken dort Kaffee. Es gab 4 große Stücke Kuchen und abends gebackene Nudeln mit Marmeladensoße (zusammen 90 Pfg.). Die Soldatenheime sind eine großartige Einrichtung, man bekommt dort nämlich immer sehr gutes Essen. – Da wir um 22 Uhr wieder in der Kaserne sein mußten, brachen wir bald auf und gelangten nach anstrengendem Marsch wieder \"zu Hause\" an. Das Ganze war natürlich eine große Hetzjagd, aber ich habe doch wenigstens Kiew gesehen.
Über unseren Transport ist nichts genaues bekannt, wir wissen nur, daß der erste Zug von uns, der vor uns abfuhr, durch Partisanen zum Entgleisen gebracht worden ist. Auch wir sind schon auf ähnliche Ereignisse vorbereitet worden. Es wird also ganz gemütlich werden! Aber das kann ja einen 10wöchigen Grenadier nicht erschüttern. – So, nun habe ich wieder alles wesentliche berichtet und kann beruhigt mit meinem Gekrakel aufhören. Jetzt geht es ins Bett, es ist bald 20 Uhr. Ich habe mich nämlich vom heutigen Nachmittagsdienst gedrückt, da mir die Arbeit zuviel war. Grund: Leibschmerzen und flotter August. Das war nicht richtig, aber was kam dann? Befehl vom Herrn Leutnant: ich soll in die Kaserne gehen und die leergewordenen Räume bewachen. Ich bewache sie im Geiste! – Hoffentlich habt Ihr meine anderen Briefe bekommen? Nun muß ich schließen, Seid recht herzlich gegrüßt von Eurem
Gerhard

Ihr seid doch frisch und munter ins neue Jahr gekommen? Ich wünsche euch, allen Verwandten und Bekannten das Beste und schließe mit kräftigem „Prosit Neujahr“!

Ich schreibe als Absender noch immer meine alte Feldpostnummer, im Fall der Fälle geht der Brief dann nach Luzk zurück. Schreiben tut vorläufig nicht.

 

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