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Brief (Transkript)

Gerhard Limpach an seine Eltern und Schwester am 19.09.1943 (3.2002.0883)

 

19. (?) 9.43



Lieber Papa, Mutti u. Hilde!

Endlich komme ich mal zum Schreiben, obwohl ich entsetzlich müde und kaputt bin, da ich 3 oder 4 Nächte nicht schlafen konnte. Wie ich schon schrieb, liegen Kuban und Krim hinter uns. Wir kamen zuerst nach Stalino, weiter ging es vor drei Tagen in ein nahegelegenes Dorf, wo wir ausgeladen wurden und gleich weitermarschierten. Abends um 8 Uhr mußte ich mit drei weiteren Kameraden auf Spähtrupp, von dem wir morgens gegen 9 Uhr zurückkamen. Um 9.30 Uhr marschierte das Bataillon weiter und waren nachts um 2 Uhr am Ziel. In diesen rund 30 Stunden war ich, außer 2 Std. Ruhe, ständig auf den Füßen und bin fast 80 Kilometer hintereinander gelaufen! Wir kamen also nachts gegen 2 Uhr zu einem größeren Ort, vor dem die russischen Truppen ihre Stellungen hatten. Nun ging es gleich ans Schanzen und Wachestehen. In der nächsten Nacht marschierten wir wieder 5 bis 6 Kilometer zurück, bis dicht an den Ortsausgang, da das Dorf geräumt werden mußte. Wir waren als Nachhut eingesetzt und mußten die Stellung halten, bis sämtliche Truppen sich zurückgezogen hatten. Panzer und Artillerie waren die ersten, die türmten. Wir, die wir laufen müssen, kommen zum Schluß ran. Am anderen Morgen war dann Bescherung da! Russ. rollten heran und wurden erst bei 200 Meter Entfernung gesehen. Nun hieß es „rette sich, wer kann“, was konnten wir ohne schwere Waffen gegen die Panzer machen? Viele von uns hatten Blasen an und Löcher in den Füßen, ich habe einen vereiterten Knöchel, doch als die Panzer kamen, konnten wir alle laufen! Es galt eine Brücke zu erreichen, die über einen kleinen Fluß vor der Ortschaft führte und die zur Sprengung bereit gemacht wurde. Ich rannte wie besessen, die Panzer kamen aber immer näher, viele warfen alles von sich, einer zog sogar seine Stiefel aus. Als ich an der Brücke war, standen die Panzer nur nochz 50 m hinter mir und schossen aus allen Rohren. Na. ich war froh als ich drüben war. Kurz vor dem ersten Panzer flog die Brücke hoch. Viele konnten nicht mehr rüber. Wir mußten nun 2-3 km über völlig freies Feld. Die Panzer standen am Fluß und schossen wie wild hinter uns her. Einmal hätte es mich beinahe erwischt. Eine Granate schlug 4 – 5 m hinter mir ein und ich machte einen gewaltigen Satz durch die Luft. Betäubt lag ich da wie eine Padde! Im ersten Moment dachte ich, mir wäre das Trommelfell geplatzt, es war aber nichts passiert. Nacher gruben wir uns ein, natürlich regnet es dauernd. Ihr könnt Euch garnicht vorstellen, wie ich aussehe. Eine Woche nicht mehr gewaschen, unrasiert u.s.w. Heute nacht sind wir wieder über 30 Kilometer zurückgegangen. Jetzt sitze ich hier im Loch und schreibe. Im Augenblick ist nicht viel los. Ein paar Artillerieschüsse, sonst nichts. Wenn bald die Verfluchte Lauferei ein Ende hätte. Viele von uns krauchen schon bald auf Händen und Füßen. Zurückbleiben kann keiner, den schnappen die Russen. Es ist furchtbar. Ihr seht mein erster Einsatz ist gleich ein Rückzug. Überhaupt die Sache mit den Panzern, die ging mir an die Nerven. Na, es geht alles vorüber. Wie geht es Euch denn überhaupt? Ich habe seit 2 Mon. keine Post mehr erhalten, das schlimmste ist, unsere nen, selbst Strohstapel auf den Feldern, so daß wir als Nachhut nichts finden, was uns den Rückzug erleichtern könnte. Verpflegung kommt nachts unregelmäßig, ich wasche mir mangels anderer Möglichkeiten mit Melonen die Hände. Wenn nur die verfluchte Lauferei ein Ende hätte! Viele können kaum noch, krauchen bald auf Händen und Füßen – eine wirklich schlagkräftige Truppe! Zurückbleiben möchte aber auch keiner, den schnappen die Russen, so, wie es auch den Verwundeten oder eben Erschöpften ergeht. Wir haben keine Möglichkeit, sie mitzunehmen, da wir keine Fahrzeuge besitzen und zum Tragen niemand mehr die Kraft aufbringen kann. – Ihr seht, mein erster Fronteinsatz ist gleich ein Rückzug mit allen Begleiterscheinungen. Wie mag es Euch ergehen, ich habe seit über zwei Monaten keine Post mehr von Euch bekommen. Das Schlimmste ist, unsere Affen verladen worden und keiner weiß, wo sie geblieben sind. Ich habe nur das bei mir, was ich am Körper trage, kein Briefpapier mehr und keine Umschläge. Was ist denn überhaupt in der Welt los? Wie sieht es in der Heimat aus? Nun wünsche ich Euch alles Gute und grüße Euch herzlich Euer
Gerhard

 

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