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Brief (Transkript)

Marie Louise P. aus Zittau an Oskar H. nach Meckenheim am 01.01.1953

 

Zweiter Brief vom Ersten Januar 1953.

Ich hatte soeben den ersten Brief geschrieben, als die Post Ihre Zeilen vom 20. Dez. brachte. Lieber Freund, ich danke Ihnen herzlich für die Liebe und Teilnahme, die aus jedem Worte spricht. Wenn ich Ihren Rat zunächst nicht befolge, so nur deshalb, weil ich die Hilfe, die Menschen geben können, auch die Menschen, die als Diener ihrer Kirche tätig sind, finde und gefunden habe. Die Geistlichen auch unserer Kirche geben sich die grösste Mühe, und die Religion die wir beide haben ist mir nahe genug gebracht worden. Daß ich derart jämmerlich schrieb, war ein Zeichen grosser Schwäche meinerseits, ich schäme mich ihrer, und bitte um Verzeihung. Es ist schwer, sich klar zu machen, was es wirklich heisst, sich ganz in die Hand Gottes zu geben; ich lerne es täglich, aber ich falle auch zurück in die Mutlosigkeit, die Angst, die Verzweiflung, die eigentlich ein Zeichen des Unglaubens sind. Ich versuche täglich, mutiger, zuversichtlicher, ruhiger zu werden, und im Ganzen kann ich auch sagen, daß mir Hilfe geworden ist, durch die ich dies sein konnte. Gerade, kurz ehe ich an Sie schrieb, war etwas Schweres über uns hereingebrochen, aber nur schwer, an den Kräften des Menschen gemessen, nur schwer zu ertragen, wenn man an das Hier und das Heute denkt, nicht aber, wenn man weiss, daß auch bei dem Wandern im finsteren Tal wir nie verlassen sind. – Ich weiss nicht ob ich Ihnen sagte, daß der Mann meiner viel jüngeren Schwester, - sie war wohl gleichzeitig mit Ihnen auf dem Gym, aber einige Klassen über Ihnen, - Geistlicher ist, und seit 1942 in Hainewalde, seit 1947 als Superintendent in Zittau tätig ist. Vor reichlich zwei Jahren, im Sept. 1950, setzt eine arge Kampagne ein, er wurde schwer angegriffen, und hielt glänzend stand. Ich habe damals meine Schwester und ihn, sowie die beiden ältesten Kinder, sehr bewundert; das Mädchen war unerhört mutig, und auch der Junge, der nicht sehr begabte, zeigte sich von seiner besten Seite. Das nächste Kind, auch ein Junge, verlor das Gleichgewicht, und hat es nie wieder ganz erreicht. Es wurde damals eine grosse Sache, die SED ( und angeblich die Bevölkerung) verlangte seine Absetzung, drohte mit Verhaftung u.s.w. Die ganze Geistlichkeit stellte such auch hinter ihn, auch die Katholischen Priester sprachen ihm ihr Vertrauen aus, und schliesslich kam der Bischof. Die Kirche, an einem Abend in der Woche, war zum Bersten voll, die Rede musste in die Klosterkirche übertragen werden. Danach legte sich der Sturm. Wäre er bei den ersten, unangenehmen Anzeichen, davon gegangen, ( und darauf rechnete man auf der gegenseite, ) dann hätten beide Konfessionen einen schweren Schlag erlitten. Ich versuche, die Ruhe und Heiterkeit, die er und seine Frau in der ganzen Zeit zeigten, zu gewinnen; glauben Sie mir, wir brauchen jetzt keine greifbare Hilfe; wir hungern nicht, - auch das kann wieder kommen, aber zur Zeit ist es nicht so. Wir entbehren vieles, aber Sie wahrscheinlich auch, das schadet an sich nicht so sehr viel. Was uns weh tut, ist die Verleumdung, ist der Haß, der täglich gepredigt wird. In einem Buche über den Kommunismus wird gesagt, daß täglich zwei Minuten lang Hass gelehrt und geübt wird. Das ist fast wortwörtlichwahr. Und man fürchtet ja so sehr, daß solche Lehren früher oder später auf fruchtbaren Boden fallen. Und dann, die Angst, Immer in Angst zu sein, bei jedem Klingeln, bei jedem Wort, das ein Unbekannter an einen richtet. Nie zu wissen, darfst du heute noch deiner Arbeit nachgehen, deine Mahlzeiten kochen, in deinem Zuhause bleiben, in deinem Bette schlafen? Und was wird aus dir, wenn du nicht mehr hier bist? Ich meine nicht den Tod: der steht in Gottes Hand; aber zu erkennen, daß auch das andere in Gottes Hand steht, und daß er bei uns und mit uns sein wird, auch dann, wenn menschliche Ratgeber uns nicht mehr nahe sein können, das ist sehr schwer. Denn das Zittauer Gefängnis untersteht nicht mehr der Staatsanwaltschaft, sondern der Polizei, und es ist den Geistlichen beider Konfessionen nicht mehr erlaubt, den Häftlingen Hilfe und Trost zu bringen. Aber, wie gesagt, man darf den Mut nicht sin en lassen, ich bereue es sehr, daß ich dies in meinem Briefe so sehr tat. Ein fröhliches Herze soll man Gott schenken, nicht ein verzagtes; und das will ich, wennich es auch nicht immer kann. Es sind oft die recht trüben Alltagssorgen, die auch drücken, aber das sind Dinge, die nicht in einen Brief hinein gehören. – Ich sitze jeden Sonnabend um 8 Uhr in der Klosterkirche ( im Sommer in der kleinen alten Kreuzkirche, ) und nehme Teil an der Wochenschlussandacht. Und mit jeder Woche, so hoffe ich, lerne ich je mehr und mehr, mich dem Willen Gottes zu fügen, seine Wege zu gehen; daß sie mir dunkel erscheinen, liegt an der Gehaltenheit unseres menschlichen Sehens. Ich habe so vieles, wofür ich zu danken habe, ich darf und soll das nie vergessen. – Also verzeihen Sie mir, wenn ich Ihnen irgend wie Sorgen gemacht habe; wir alle hier brauchen Ihre Fürbitte, täglich und stündlich; wenn wir Ihrer greifbaren Hilfe bedürfen, dan werde ich mich an Sie wenden, aber ich hoffe, daß dies nicht nötig sein wird. – Heute ist Ihr Geburtstag; ich suche Sie in Gedanken zu Hause, bei Frau und Kindern, mit Ihrer Mutter und vielleicht auch mit Ihrer Schwester; mit der Arbeit, die morgen wieder vor Ihnen liegen wird, mit den Sorgen, die auch Sie haben werden, mit den Nöten, die in jedem Leben liegen; mit der Kraft, die je in Ihnen war, mit der Erfahrung, die Sie nun inzwischen in so mancher Weise und auf so manchen Gebieten haben. Und ich freue mich, daß der eine oder andere Gedanke einmal hierher fliegen wird, und ich versichere Ihnen, es ist nicht alles trübe, es gibt auch hier viel Schönes, - die Stimme meines Neffen Gottfried, der, als die Solosängerin am Heiligen Abend krank geworden war. mit seinem schwachen Stimmchen allein in der grossen Johanniskirche sang; der Brief, den meine Dienstag Leute schrieben; und die vielen anderen Briefe, die meine anderen Schüler, und meine freunde in Fern und nah, mir sandten. Mit allen ist man verbunden, und allen ist man verbunden. Gott helfe mir, tapferer und geduldiger zu werden, und nicht, wenn das Schlimme kommt, den Mut zu verlieren. Nicht was man zu tragen hat, sondern wie man es trägt, das ist ausschlaggebend. – Nochmals, vielen vielen Dank, und alle guten Gedanken kommen und gehen.
Marie P.

Ich sende Ihnen meine alte Abschrift der Gottesdienstordnung für den Wochenend Gottesdienst. In genau dieser Form wird sie auch hier gehalten, mein Schwager hat sie zusammen gestellt.

 

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