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Brief (Transkript)

Marie Louise P. aus Zittau an Oskar H. nach Meckenheim am 22.03.1970

 

88 Zittau, den 22. März 1970.
[Straße und Hausnummer]

Liebe Frau Anneliese,
Am Donnerstag kam Ihr schönes Paket an, und ich danke Ihnen ganz herzlich dafür. Wieder so ein schönes warmes Bettuch, und das Nachthemd! So ein schönes habe ich lange nicht gehabt, und freue mich schon, wenn die wärmeren Tage bez. Nächte kommen, und ich es tragen kann. Ja, es scheint wirklich wenigstens der Anfang des Frühlings zu sein, und man ist froh und dankbar über die länger werdenden Tage, und die gelegentlichen Sonnenstrahlen, Im Garten allerdings ist noch nicht viel zu merken, noch kein Anzeichen der Schneeglöckchen, die Oberschicht des Schnees schmilzt langsam dahin, aber darunter ist noch alles hart und fest gefroren. Man möchte aber nicht ganz hoffnungslos sein, Und ich freue mich auch sehr über den übrigen Inhalt, der uns gut schmecken wird. – Wie mag es Ihnen gehen? Ich denke oft an Sie und Oskar u nd Ihre Söhne, es ist gut, zu denke, daß die jungen Menschen bei Ihnen mit etwas mehr H ffnung gross werden können. Hier geht es für die Jugendlichen immer schlimmer. Von der Tochter des katholischen Arztes schrieb ich Ihnen wohl schon. Gestern kam ein Mitglied einer meiner Gruppen zu mir, ( er wollte etwas übersetzt haben) Er hat einen etwas 1 2 jährigen Sohn, der in die Christenlehre geht. Die Klassenlehrerin, ein Fräulein N., fragte in der Klasse wer denn in die solche Lehre gehe. Er meldte sich. Sie liess ihn aufstehen und fragte ihn ob er denn an Gott glaube, Ja. Und dein Vater auch? Ja, mein Vater und meine Mutte auch. Und Frl B. sagte der Klasse, daß es eben früher sehr viele dumme Menschen gegeben habe, und es seien noch nicht alle ausgestorben, Das ist alles Aberglau.e Lacht ihn nur immer tüchtig aus, daß er so dumm ist. Sie können sich denken, wie schwer so etwas für ein Kind ist. Früher hätte ich dem Vater geraten zum Sup. zu gehen, aber der neue ist keine Kampfnatur, und da hat das auch nicht viel Sinn. Mein angeheirateter Neffe, der Pfarrer spricht jetzt schon, wo weit es geht, mit seinem kleinen Johannes der aber erst vier Jahre alt wird, aber man muss die Kinder beizietn vorbereiten. Es ist erschütternd, daß die Jugendlichen gar nicht merken, was sie entbehren. enn auch die intelligenteren unter ihnen nicht alles für bare Münze nehmen, ao können sie sich doch kein Bild davon machen, was möglich sein müßte. Der Geschichtsunterricht fängt mit 1848 an. und in der Literatur gibt es fast nut noc ein oder zwei Sachen von Goethe, sehr viele Übersetzungen aus dem Russischen, und Proben der jetzt lebenden oder gerade erst gestorbenen, kommunistische Schreibenden Dichter möchte man sie fast nicht nennen.
Heute schäme ich mich wieder einmal. Denn leider gehe ich zur Eahl, wenn ich auch alles durchstreiche. Sber ich muss gehen, der Knüppel liegt beim Hund ich muss ja das Geld zum Lebensunterhalt verdienen, und man hat mit gesagt daß man mir die Bewilligung entzieht, falls ich nicht gehe. Mein Mann ist konsequente und mutiger als ich und geht schon seit Jahren nicht. Ich muss auch aus dem anderen Grunde gehen, daß ich gern meine Nichte in Neumünster im Sommer besuchen möchte, ehe ich zu alt für die lange und anstrengende Reise bin. Und ich bekomme ja keine Genhmigung wenn ich nicht zur sogenannten Wahl gehe, die gat keine ist, Es stehen einige ganz anständige Menschen mit auf der Liste, aber sie können ja nichts erreichen, wir müssen uns alle der Knute beugeb. Man schämt sich in Grund und Boden. – Es scheinen sehr viele Briefe und Pakete aus dem Westen jetzt nicht mehr anzukommen, die Nichte meines Mannes, Frau B., schrieb an gemeinsame Bekannte hier, was denn mit uns los sei, sie bekäme keine Antwort auf Briefe, aber wir haben gar keine erhalten. Alle dings, von ihnen ist, so viel ich sehen kann, alles angekommen. Zu Ostern werden wir ganz allein sein, meine Schwester fährt mit Michael und Matthias nach Leipzig und Waldheim. In L. wird Gottfried’s zweite Tochter getauft, Barbara, und in Waldheim willMatthias, der et etwas länger frei hat, im Garten helren, er hat ja einige über diese Dinge gelernt. Gottfried hat noch immer nichts für wenn sein Vertrag abläuft. Da er, wi wie ich wohl schon schrieb, nichts politisch Positive nachweisen kann. Ich mache mit gtoss Sorgen über ihn. Auch den beiden Jüngsten stellt man jetzt mehr nach als früher, es soll eben gerade unter den etwas begabteren jungen Menschen gaz gündliche kommunistische Arbeit geleistet werden. Man lann wirklich nur sagen, Gott helfe uns. Und ich danke nochmals sehr, sehr für Alles. Ganz wunderbar ist auch die schnell waschbare Schürze, ein herrliches Geschenk und eine grosse Hilfe.
Yours with love
Marie P.

 

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