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Brief (Transkript)

Marie Louise P. aus Zittau an Oskar H. nach Meckenheim am 15.03.1964

 

Zittau, den 15. März 1964.
[Straße und Hausnummer]

Liebe Frau Anneliese, lieber Oskar,
Dies soll ein Ostergruss werden, etwas zu frühzeitig: aber trotzdem ich 5.15 früh aufstehe, komme ich doch in der Woche nichz zum Schreiben von Privatbriefen, das muss für Sonntag bleiben: ich gehe meist in den Frügottesdienst, - 7.30, und bin dann für die Wirtschaft und die Privatbriefe da. Aber am kommenden Sonntag, Palarum, finden die Konfirmationen statt. und ich finde, man muss den jungen Leuten, die den Mut haben, sich zur Kirche zu bekennen, zeigen daß man teilniimt an diesem Tage. Es dauert meist ziemt lich lang, fängt um 9 Uhr an, und viel vor 11 kann ich kaum zu Hause sein, also wird es mit dem Schreiben nichts werden. Nun schreibe ich also schon heute, und wünsche Ihnen und ihrer sechsen ein schönes Osterfest, - ein sehr zeitiges, und vielleicht noch recht kaltes. Hier hatten wir einen richtigen Nachwinter, auch heute gibt es einen schneidenden Ostwind, - ex oriente nox et mors, - könnte man heute sagen, - und trotzdem die Sonne scheint sind es 5 bis 6 Grad Kälte. Wir haben zum Glück noch Kohlen, so daß ich nichz zu sehr zu sparen brauchen, sparen muss ich nur an Geld, um dann für den nächsten Winter genug Kohlen anschaffen zu können. Denn frieren ist noch schlimmer als hungern, - was kein Eink sein soll, wir hungern absolut nicht mehr, wir brauchen jetzt wirklich keine Hilfe aus der ferne mehr, Was wir brauchen sind die Imponderabilien, wie Bismarck sagte, oderm besser ausgedrückt, das, was gemeint ist, wenn man sagt, Der Mensch lebt nicht von Brot allein. Gewiss, es ist eine Hilfe, nicht mehr hungrig zu dein, aber die Sehnsucht nach so vielem Anderen hört doch nicht auf. Sehnsucht nach den Freunden, nach anstänigen und interessanten Büchern und Zeitungen, nach den Freunden in England. Nun, da ich so langsam auf die 72 zuseteure, werden die Aussichten, einmal das eine oder das andere haben zu können, immer geringer.
Mr. Pr. geht es leidlich: er hört jetzt sehr schwer, und das macht es für uns beide schwierig, denn ich muss beruflich so viel reden, und vor allen Dimge immer wiederholen, daß ich nicht die Kraf die Stimme und die Geduld habe, dann nachher nochmals alles zu wiederholen. Ich finde, dass auch ich nicht mehr scharf höre, was für das Unterrichten natürlich schwierig ist. – Sonst ist wenig zu sagen: mein Neffe Michael wird um June die Schule verlassen, - er hatte, obwohl er einer der Besten in der Klasse war, vor zwei Jahren die Oberschule nicht genehmigt bekommen weil er nicht zur komm. Jugend gehörte, und auch die Jugendweihe nicht gehabt hatte (Die, allen gegenteiligen Behauptungen zur Trotz, den Eid auf die Gottlosigkeit einchliesst. ) Er ist ruhig und besonnen, sehr unerschrocken, und von den Lehrern seiner scharfen aber treffenden Bemerkungen wegen etwas gefürchtet. Er hatte erst daran gedacht, in das Ausbildungsinstitut der Kirc zu gehen, aber das Matur wird von den Universitäten nicht anerkannt, er könnte also nicht einmal Theologie studieren, und ausserdem war er sich nich nicht im Klaren, ub er w rklich diesen Beruf wünschte, Er meinte es könne ihn doch vielleicht nicht voll erfüllen, Er ist in der Jungen Gemeinde sehr tätig, aber weniger in der Öffentlichkeit als es Gottfried war, der geschickte und schneller im Antworten war. Michael überlegt immer erst genau, ehe er etwas sagt, aber dann bleibt er auch dabei. Gottfried ist auch in L. bei der Jungen Gemeinde, und ODorothee, die bei einem Goldschmied in Weimar arbeitet, ist es auch, Sie ist besonders für Malerei und Musik interessiert, hat auch für beides ein gewisses Geschick. Der Jüngste, Matthias, ist ziemlich musikalisch, und hofft, vielleicht Sept. 65 an die Musikschule in Dresden zu kommen, Ich mache mir nicht viele Aussichten, denn er ist zwar begabt, aber doch nichts sehr Aussergewöhnliches, und seine Zugehörigkeit zur Kirche ist natürlich auch für ihn ein Schaden. Aber er ist ein fröhlicher Jungem der sich wenig S orgen macht. Vielleicht geht es doch. Mein Schwager und meine Schwester fangen beide an, Zeichen angegriffener Gesundheit zu zeigen, die langen Jahre der Verfolgung machen sich jetzt spürbar. Denn man sollte sich keinen Hoffnungen hingeben, der Kampf gegen das Christentum in allen Formen geht weiter, hier ist zunächst die Lutherische Kirche an der Reihe, die anderen Kirchen kommen auch noch an die Reihe. Und jeder Religionsunterricht wird sehr erschwert. Mein Schwagerm obwohl erst 61, ist schon ganz grau, man könnte fast sagen weiss. – Frl. Eva G., an die Sie sich wohl etwas erinnern werden, musste sich im vergangenen Herbst einer Staroperation unterziehen ( an beiden Augen, ) leider ist sie nicht ganz zu ihrer Zufriedenheit ausgefallen, Sie kann kaum Lesen, und noch weniger Schreiben. Sie kommt sehr oft montags nachmittags zu uns, und trinkt mit meinem Mann und meiner Schwägerin eine Tasse Tee, ( d.h. sie beiden anderen trinken Tee, und Frl Eva kriegt Kaffee, weil sie ihn so gern trinkt.) Dazu raucht sie eine Westzigarette, wenn wir eine haben, und ist sehr anregend, Es ist ersatunlich, wieviele Menschen sie kennt, und mit wievielen sie noch in Verbindung ist. Ö Auch der Schwester vom Langen M. geht es nicht sehr gut, auch sie beehrt uns manchmal zum Tee, - ich kann ja nie dabei sein, - es kommt mir vor als seien wir ein teitweiliges Asyl für alte Leute, Was wir vielleicht auch sein sollen. –
Alles Gute für das schöne Fest, und für den kommenden Frühling und Sommer.
Always yours, but getting older and older,

Marie P.

 

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