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Brief (Transkript)

Marie Louise P. aus Zittau an Oskar H. nach Meckenheim am 17.09.1971

 

88 Zittau, den 17. September 1971
[Straße und Hausnummer]

Liebe Frau Anneliese, lieber Oskar,
Vielleicht ist der Brief zunächst eine Antwort auf den Ihren vom 31.8. der diesmal recht lange unterwegs war, ich erhielt ihn erst am 14.ds. Und zum ersten Mal, my dear friend, klang er traurig. Das tut mir sehr leid, noch dazu weil ich glaube daß dies, mindestens teilweise, an Ihnen Gesund heit liegt. Sie sprechen von einem Fieber, das Sie mit gewohnter Schärfe befallen habe. Was ist das? Haben Sie sich auf eine der vielen Fahrten eine Malaria zugelegt? Das hätte ich kaum erwartet. Aber was kann das sonst für ein Fieber sein? Gibt es kein Mittel dagegen? Möbel, - wie gern würde ich sehen sie sind und wo sie stehen Ich kann mir denken daß ein Umstellen grösserer Möbelstücke eine sehr anstrengende Sache gewesen sein muss, noch dazu da Ihre Treppe mir so in Erinnerung ist, daß es ziemlich schwer sein muss, grosse Gegenstände hianuf oder hinunter zu transportieren. Noch dazu wenn keiner der Söhne anwesend war. Nun ist alles hoffentlich umso schöner. – Und daß die anderen Mitarbeit.ter Ihnen möglichst viel zugeschustert haben, well. I am not surprised, you probably do it much better than anyone of them would have done. Somehow, I can’t imagine you in an office, it seems to me to be the most unsuitable and inadequate place for your activity and capabilit es. But I suppose I don’t know or understand anything about it. – Dass Sie den schwer erziehbaren Knaben mit in die Familie aufgenommen haben, das finde ich sehr schön. Sicher wird die mütterliche Liebe, und die Konsequenz mit Vorbild wird viel bewirken, wenn es nicht zu spät ist. Man hofft ja, daß das Wort, zu spät, nicht angewandt werden sollte, aber der alte Ausspruch, das Bäumchen biegt sich, doch der Baum nicht mehr, mag doch noch eine gewisse Berechtigung haben. Und ich erinnere mich, daß man in England immer sagte, Kinder müssten vor dem vollendeten 8. Lebensjahr aus dem Orient nach Hause kommen, nicht nur der Gesundheit wegen, sondern vor allen Dingen, on account of the moral microbe of the East. That may be merely, or at any rate partly the well-known British snobism. but I don’t think so, I was told this by my old governess, Miss B., who was anything but a snob. – Ja, es sind wohl schlimme Dinge, die im Gefolge des Wohnstandes und einer vielleicht etwas mangelnden Disziplin sich einstellen, Es scheint, als sei man hier frei, oder fast frei von diesen Dingen, aber es mag teilweis nur daran liegen, daß so etwas nicht bekannt würde. Andererseits hat die strenge Sperre vielleicht hier doch etwas Gutes. Geistig, wirkt es sich fruchtbar aus, aber daß diese Dinge schwer eingeführt werden können ist vielleicht gar nicht so schlimm. Zu dem Knaben zu rück: Er fühlt sich doch sicher wohl bei Ihnen, und wenn er, wie ich fast annehme, etwa gleichaltrig mit den Zwillingen ist, dann wird ihm das Ändern seiner Anschauungen und Gewohnheiten gewiss leichter werden. Es würde mich sehr interessieren, gelegentlich etwas über ihn zu hören. – Hier ist es empfindlich kalt ge worden, und wir haben seit dem 11.9. heizen müssen, sonst habe ich das Heizen nie vor Ende Sept. angefangen. Erst der sehr heisse Sommer, und nun fast Winter, auf dem Brocken liegt Schnee und hier hat es in Olbersdorf Schneeregen gegeben. Es soll sich schlecht auf die Ernte auswirken. – Wir haben jetzt ab und zu die Freude gehabt, Michael oder Matthias auf kurz zu sehen, sie sind beide prächtige Kerle, und geben sie die grösste Mühe, ihrer Mutter den nicht ganz leichten Stand einer Witwe mit sehr geringem Einkommen das Leben zu erleichten. Matthias war mit dem Orchester der T.H. Dresden in Ungarn, und hat dort gleich die Gelegenheit benutzt um bei seinem Quartierwirt, die Küche mit zu streichen. Er war begeistert von dieser Reise, und hofft . nächstes Jahr wieder eine solche unternehmen zu können. Nach Hause zurückgekehrt, erhielt er fast in der erstn Stunde einen Anruf von der Kirchgemeinde: Es war ein Konzert geplant, und es sollte Hayden’s Schulmeister Kantate aufgeführt werden. Im letzten Moment, ein n Tag vor der Aufführung, wurde der Kantor erheblich krank, es war niemand anderes zu Stelle, und so batm man Matthias , die Hauptprobe und dann die Aufführung zu leiten Die jüngsten Teilnehmer sind vier bis fünf Jahre alt, so daß es nicht ganz leicht für M. war Er hatte seine Sache wirklich glänzend gemacht, ( und es ist nicht nur die voreingenommene Tante die das sagt. ) Auch Michael, der nicht sehr musikalisch ist, geht seinen Weg sehr trötzerlich und überlegt. Er hatte einen guten Freund an der Uni Berlin, der so unglücklich hier war, daß er sich mit den Gedanken trug, zum Westen zu fliehen Micha riet ihm sehr ab, denn er wusste, wie selten das gelingt, gelingen kann. Aber der andere liess nicht locker, Micha lud ihn über ein Wochenende hier ein, und wanderte mit ihm im Gebirge, von wo aus man ja, wenn man die kleineres Wege kennt, ins Böh ische hinüber wechseln kann. Er warnte den Freund nochmals. Dieser kam dann am nächsten Wochenende, machte wieder eine Wanderung, Micha war nicht hier, und es gelang ihm eine ganze Strecke in die Tschechei zu kommen, dann wurde er verraten und geschnappt und durch die Polizei hierther gebracht. Nun sitzt er im Gefängnis und man mu sehen, was dabei heraus kommt, so etwas, Republikflucht wird sehr streng bestraft. In wie weit man auf Micha zurück greifen wird, wissen wir noch nicht, man geht in solchen Fällen allem nach, womit der Angeklagte in Berührung gekommen ist. Aber M. sagte, es sei seine Pflicht gewesen, nach der Warnung doch zu heflen wo er konnte. Ich glaube wohl . er hatte Recht. – Well, that’s that. Mr. P. is fairly well, and will be 85 next week. Vielen Dank an Christian für seine Grüsse. – Liebe Frau Anneliese, die Bücher die Sie im vorigen Jahr in 4 Exemplaren schickten sind nach wie vor eine grosse Hilfe. Wir geniessen Wasa + nicht gesüssten Schiffszwieback. Love & thanks from your old M.P.

 

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