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Brief (Transkript)

Marie Louise P. aus Zittau an Oskar H. nach Meckenheim am 05.08.1974

 

88 Zittau, den 5. August 1 74
[Straße und Hausnummer]

Liebe Frau Anneliese, lieber Oskar,
Heute vor fünf Wochen saß ich im Zug, und fuhr den schönen Ferienwochen entgegen, Wochen. in denen ich verwöhnt wurde, mich ausruhte, und vieles in mich aufnahm. Natürlich ist im Augenblick nicht alles gegenwärtig, aber es kommt wieder- All das Schöne und Interessante (Können Sie mir bei Gelegenheit mitteilen wie der Riesenapparat hiess, den wir an jedem Sonntag Vormittag ansahen? Ich mächte es meinen Neffen, die wahrscheinlich am 18. ds. in Zittau sein werden gern mitteilen, ein Geheimnis ist es ja kaum, da es ja der Öffentlichkeit zugängig ist. Und die schönen Rosen? Und die vielen Fahrten! Man braucht nur die Augen zu zu machen, und schon fährt man sanft dahin, und sieht all das Schöne, das dieser alte Kulturboden hervorgebracht hat. – Betrüblich war, in mancher Hinsicht, der Besuch in Osterholz. Unser Tüch (weil er das Wort natürlich, immer so kurz aussprach) ist unglaublich gealtert, klein und dünn mit wenig, fast weissem Haar. Und ist erst 67 Jahre alt. Kann nur langsam gehen, gar keine Steigerung, auch die Geringste nicht. Und seine Frau, erst etwa 54 Jahre alt, mit ihrer Migräne, die wieder eingesetzt hat, sodaß man es ihren Augen ansieht. Sie waren rührend zu mir, aber ich kam mit, trotz meines schlechten Sehens und Hörens fast unanständig gesund vor.Dann ein kurzes Wochenende bei meinem ältesten Neffen, der uns viel Sorge gemacht hatte, dem aber seine Frau sehr geholfen hat. Und dann heim, es ging alles gut, bis suf daß man uns in Dresden den falschen Bahnsteig sagte unf ivh mit meiner Handtsche herumirrte, und schlisslich zwei Stunden später als geplant in Zittau eintraf. Zum Glück hat der Bahnhofvorsteher in Bischofswerda ( ein Rotes Kreut gibt es nicht) für mich telefoniert, sodaß ich meine Freunde, die mich abholen wollten, benachrochtigen konnte Und am folgenden Tag kam Ihr erstes Paket an, zwei Bücher, die Dosen mit Schweineschmals, Suppen u.s.w. ,ich fürchte, Die werden n ch viel Mühe haben, ehe Sie alle die Sachen verschickt haben, liebe Frau Anneliese. Und inzwischen werden die Zwillinge über alle Berge sein, und Sie werden sich vielleicht uach langsam für die Ferien rüsten. – Ich denke viel an die Gespräche, die wir mit einander haben konnten. Es ist aber doch so, daß man die Wurzeln langsam heraus zieht, nicht daß sie fester werden. Nicht nur, daß man rein körperlich immer weniger leisten kann, - schon fällt es mir schwer, auf einen Stuhl zu steigen und die Uhr auszuziehen, wie lange werde ich es noch können? Und heimwärte. auch wenn nicht viel zu tragen ist. geht es nur im Schneckentempo. Denken kann ich noch, oder bilde es mir ein; und ich glaube sogar, da daß ich noch eine Aufgabe hier zu leisten habe. Und wen es nur wäre, den älteren Menschen Gelegenheit zu geben sich auszusprechen, und den jungen Menschen, die Gelegenheit, zu hören daß es dauernde Werte gibt. Gewiü, sie sind oft verschüttet, vergessen worden, aber sie sind da, und werden wohl noch lange bleiben Oder ändert das Geschöpf Mensch sich, wie sich andere Säugetiere angepasst und verändert haben? Vielleicht. Aber liegt doch ein tieferer Sinn, eine tiefere Aufgabe in dem Menschsein, auch wenn wir es nicht immer begreifen und noch seltener befolgen. Ab und zu stösst man auf Menschen, wie Sie beide, die eine Harmonie des Diesseits erreicht haben, die kaum nur an den physische Dasein hängt, Gewiss wird dieser Reichtum, an kann es wohl so nennen, auf die nächsten Generationen übergehen Es war etwas von dem Frieden, dem „peace that passeth all understanding“, daß mir eine gewisse Genesung gebracht hat. Die vielleicht mehr vonnöten war, als ich mir bewusst war. – Ich fange auch langsam an, die Bogen für die verbleibenden Gruppen zu schreiben. Ich werde keine Neuanfänger mehr nehmen ich könnte sie nicht weit genug führen, aber die, die vielleicht noch kommen wollen, sollen so viel wie möglich erhalten. Ich habe ja selbst so viel bekommenm es ist mir so viel anvertraut worden, ich muss es weiter geben, so lange ich kann. – Alles hier ist so anders, man muss sich erst wieder an das grau in grau gewöhnen. Auch wo es sich nicht mehr um Trümmer oder Ruinen handelt, ist alles so sehr farblos, - drab ist der richtige, unübersetzbare Ausdruck, - die Bahnhöfe unsauber, schlecht beleuchtet und beschriftet, die Strassen voller Löcher, ( ich musste von Bischofswerda nach Zittau mit dem Bus fahren, man konnte seekrank werden), die Menschen, nicht gerade schlecht gekleidet, auch nicht unfreundlich, aber doch irgendwie bedrückt und vernachlässigt. Wobei mir einfällt, daß ich nicht mehr lachen oder weinen kann, ich habe auch bei dem Tod meines Mannes nicht geweint, ich kann es höchstens, wenn ich gewisse Dinge lese, so den Tod des Soames Forsyte. Ein Manko, dem ich abhelfen möchte und es nicht zustande bringe, - Ich kann Ihnen Beiden gar nicht genug danken. für die schönen Tage bei Ihnen, all die Anregung vieler Art. Ich habe gestern Abend die Lieder von dem Gottesdienst gelesen, meine Schwester kannte zwei davon
Yours always – which is of course saying far too much – M. P.

 

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