Nach Zeitraum suchen

von 
bis 
SUCHE ZEITRAUM

Brief (Transkript)

Marie Louise P. aus Zittau an Oskar H. nach Meckenheim am 26.07.1950

 

Zittau, den 26. Juli 1950.
[Straße und Hausnummer]

Lieber Freund,
Was soll ich sagen, zu Ihrem lieben Briefe vom 16.ds., den ich vor einigen Tagen erhielt? Wenn ich tatsächlich wieder beabsichtigt hätte, über die Grenze zu gehen, durch den Vorhang hindurch der immer eiserner uns umklammert, dann hätte ich bestimmt versucht, Sie irgend wie zu erreichen. Aber das ist ganz ausgeschlossen. Nicht nur, weil mir die flüssigen Mittel zu Reise fehlen (Mr. Pr. ist seit Ende April ohne Einkommen, und ich muss also sehen daß ich für uns beide, und seine alte Schwester,. die, aus Dresden ausgebombt, bei uns wohnt, - aufkomme, sondern vor allen Dingen haben Sie wohl keine Ahnung, was für Schwierigkeiten zu überwinden sind, ehe man aus diesem Zuchthaus auch nur vorübergehend herauskann. Ich müßte von dort eine Aufenthaltsgenehmigung vorlegen können, sowie das amtsärztliche Zeugnis, daß jemand mit nahe Verwandtes schwerkrank ist und ausgerechnet meiner Pflege bedarf; und selbst wenn es mir nicht das Geringste ausmachen würde, sonst etwas zu behaupten um etwas zu erreichen, so glaube ich doch nicht, daß die Polizei hier mir die Ausreisegenehmigung erteilen würde; ich bin seit 14 Tagen von allen Ehrenämtern entfernt worden, da man allen auch nur entfernt kirchlichen Einfluss unbedingt ausmerzen will; was nun weiter geschehen soll und wird, wer kann das ahnen? Jedenfalls bin ich ganz damit vertraut, auf dem Posten zu bleiben, auf welchem ich gestellt worden bin, solange es mir möglich ist, auch nur einem Menschen zu helfen, sei es auch nur meiner eigenen Familie. Im Allgemeinen geht es uns nicht schlecht, nur daß die Geldsorgen immer schlimmer werden, und mit zunehmenden Alter die Kräfte nicht gerade steigen, Wobei man aber im in Betracht ziehen muss, daß man fast immer mit dem, was zu leisten ist, fertig wird, wenn man nur nicht vorher zu viel darüber nachdenkt. – Ich danke Ihnen jedenfalls herzlich für Ihre liebe Einladung; wenn es nicht anders geht, dann stehe ich eines Tages vor Ihrer Türe, aber das ist wohl noch lange hin. Jedenfalls waren wir Ihnen sehr dankbar für die Hilfe, die Sie uns sandten; der edanke, daß man jenseits der Gefängnismauern noch an uns denkt, ist wohl das Tröstlichste, was es geben kann. Jedenfalls möchte ich Ihnen versichern, daß der mensch tatsächlich nicht von Brot allein lebt, und daß wir den Jahren, in denen wir an allem, was man zum Leben bruacht, Mangel gelitten haben und zum Teil auch noch leiden, gelernt haben, daß die bDinge des geistes doch die wichtigsten sind. Es wird vor allen Dingen der Jugend hier stark zugesetzt; sie wird gezwungen, in die kommunistische Jugendverbände einzutreten; es werden ihr Lügen über Lügen erzählt, sowohl über das eigene Volk als über andere Völker; und es sind ihrer nicht mehr sehr viele, die aus anderen Quellen wissen, können, daß die Dinge doch anders liegen und gelegen haben. Man freut sich immer wieder an den frischen Geistern, man hofft immer wieder auf das kommende Bessere, und irgend wann muss die Menschheit ja auch wieder einen Schritt vorwärts tun, nicht auf den überarbeiteten Gebieten des Erfindens und der Technik, sonder auf den verschütteten Gebieten des Fühlens und des Wahrhaften. Vielleicht wird unsere Generation nicht die letzte sein, die in der Wüste umherirren muss; vielleicht werden noch viele Jahre vergehen, ehe wir uns auf das besinnen, weswegen wir hier auf Erden sind: daß wir lerenen, den Willen unseres Vaters im Himmel zu tun, vielleicht auch zu leiden. Alle diese Dinge liegen tief in uns, und es wäre schön, zu sehen, wie sie bei Ihnen und den Ihren langsam zum Leben erstehen; was macht Ihre liebe Frau? Was machen Christian und Wolfgang? Geht der kleinere Bub nun auch schon zur Schule? Und wie geht es Frau Elisabeth? Und Ihrer lieben Mutter? Ich gäbe viel darum, Sie alle einmal wieder zu sehen, und ich gebe Ihnen recht, daß Briefe kein Ersatz sind. Vielleicht lernen wir auch wieder einmal Briefe schreiben; aber zur Zeit können wir nur dankbar sein, wenn Nachricht von den Fernen eintrifft und wenn man, wie ich aus Ihrem Briefe ersehen konnte, nicht ganz ausgelöscht worden ist aus dem Buche der Lebenden. Nun warten wir auf das, was die nächsten Wochen und Monate bringen sollen, Gutes nicht mehr, aber vielleicht doch den Beweis, daß auch diese Bäume nicht in den Himmel wachsen, und daß die Gerechtigkeit Gottes noch da ist, auch wenn wir sie noch nicht sehen und fühlen. – Habe ich recht gelesen, daß Frau H. nach Rom fährt? Ist denn so etwas überhaupt möglich? Von hier aus kann man, wie gesagt, nicht einmal nach den anderen Teilen Deutschlands, ohne daß die Polizei, das Finanzamt und natürlich die kommunistische Partei ihre Finger mit am Werke haben. Sodaß ich alles aufgegeben habe; ich hatte zwei Ringe meiner verstorbenen Mutter zurecht gelegt, um einmal eine kleine Reise damit zu bezahlen, habe sie aber jetzt schon verkauft, um die Kohle für den Winter und die auf dem Hause liegenden Steuern bezahlen zu können. Aber wir hungern zur Zeit noch nicht wieder und auch nicht mehr, obwohl beides bald wieder der Fall sein kann. Quälen Sie sich nicht mit Schreiben, aber vergessen Sie nicht, daß auch ein Wort ein grosses Geschenk sein kann. – Von Ihren Bekannten ist von nicht vielen zu berichten: Dr. Paul M. quält sich noch ab, auch S. ist noch tätig, wenn auch nur halbzeitig, denn nur von seiner Pension kann er natürlich nicht leben. Die anderen Herren aus Ihrer Zeit sind alle vom Schicksal verschlungen worden, und Ihre Schule ist nun im Eintopf der sogenannten Höheren Schulen aufgegangen, die alle zusammen im Johanneum sind. Es war der Wunsch der Schulleitung, auf jeden Fall das Schöne Gebäude den sogenannten höheren Schülern zu nehmen, Und da die Jungen doch nicht mehr viel Aussicht haben, etwas Ordentliches zu lernen, kann man nur noch wenig Wert darauf legen, sie dort zu wissen. Meine älteste Nichte soll im nächsten Jahr Maturus machen, doch ist sie als Tochter eines Geistlichen natürlich sehr gefährdet, noch dazu, da sie sich bisher gesträubt hat, der komm. Jugend beizutreten. Dasselbe gilt auch von meinem ältesten Neffen Christian, - er ist nicht sehr begabt, hätte also so wie so die höhere Schule nicht geschafft, und soll nun ab 1. Sprt. auf der handwerkerschule anfangen, was für ihn bestimmt das beste ist. Die Jüngeren werden von dem Verlockenden des Zusammenseins mitnihren Kameraden angezogen, und ich glaube nicht, daß sie sich dem auf die dauer werden entiehen können. Und nun will ich schliessen. Wer weiss, ob und wann es noch einmal zum Schreiben kommen wird. Herzlichen Dank, und Ihnen alllen alles Gute. Ihre
Marie P.

 

top