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Brief (Transkript)

Franz Siebeler an seine Eltern am 23.11.1941 (3.2002.1285)

 

Russland, 23.11.41



Ihr Lieben Alle!

Das war heute ein Freudentag! Fünf Säcke Post für den Stab! Das kommt nicht alle Tage vor, deshalb zeigte sich auf allen Gesichtern ein froher Schimmer, den fast jeder war mit Post aus der Heimat bedacht worden. Die ersten 1000g – Päckchen in diesem Feldzug erschienen bei uns an der Front. Gott sei Dank, daß nun die Zeit der Käsepäckchen vorbei ist, wie Mutti ganz treffend schreibt. Ich war bei der Postverteilung einer derjenigen, dessen Name am meisten aufgerufen wurde. Es trudelten dieses mal ein: die Briefe v. 23., 24., und 31.10. sowie zwei grosse Päckchen mit Friwi, Strümpfen und Kniewärmern, Zigaretten und Bonbons. Dann traf auch ein Päckchen mit Pulswärmern und Filzsohlen. Mutti einen besonderen Kuss, denn gerade jetzt, wo ich diese Sachen so nötig gebrauche, kamen alle diese netten Sachen an. Das Päckchen mit Pulswärmern und Filzsohlen war von der Sammelstelle Erfurt neu verpackt worden, da es beim Transport beschädigt worden war. Und zuletzt gab es noch ein Päckchen von Bideaus, über das ich mich natürlich auch riesig gefreut habe. Ein Paket Friwi hat schon daran glauben müssen. Die Plätzchen schmecken wirklich ausgezeichnet. Heute Abend habe ich erst gemerkt, dass Sonntag ist. Ein Tag vergeht wie der andere in dieser freudelosen Einsamkeit. Ein Tag so stur wie der andere! In den letzten Tagen gab es für uns wenigstens die frohe Kunde, dass das hart umkämpfte Rostow gefallen ist. Lange lagen wir davor und heftig waren die Kämpfe, nun aber ist diese Stadt unser. Damit ist die letzte Bahnverbindung zwischen Kaukasus und Zentralrussland durch uns unterbrochen worden. Was noch sehr wichtig ist, wäre folgende Tatsache. Die zwei Brücken über den Don, mehrere Kilometer lang, sind unbeschädigt in unsere Hand gefallen. Ich selbst bin noch nicht in der Stadt gewesen, da meine Maschine erst heute fertig geworden ist. Es ist eine andere Type, aber ich werde wohl auch mit ihr fertig werden. Unser Haufen ist auch schon wieder aus der Stadt raus, da wir an anderer Stelle eingesetzt worden sind. Das ist eben das mannigfaltige im Soldatenleben. Heute hier – morgen dort. Aber eines ist immer dasselbe: elende Hütten und unbeschreibliche Armut. Immer wieder kommt mir ein Wort in den Sinn: Arbeiterparadies! Welcher Betrug an der Menschheit ist doch mit diesem Worte oft getan worden. Mögen alle unsere bisherigen Kriege sein wie sie wollen, gerecht oder ungerecht, mögen sie Machenschaften der Diplomaten sein, eines aber steht fest, dieser Krieg gegen die verbrecherische Arbeit des Bolschewismus ist der Kampf der gerechten Sache. Wehe, wenn die asiatischen Horden in unser schönes Deutschland eingedrungen wären. Es ist nicht zu beschrieben. Film und Zeitung können es niemals so ausdrücken wie es in Wirklichkeit ist. Nur wer die grauenhaften Zustände selbst gesehen hat kann sich ein Bild über die Wirklichkeit in der U.d.S.S.R. machen. Tief erschüttert hat mich die Nachricht über den Tod von Wigbert Zellermann. Damit ist ein alter Kamerad gefallen, den man von frühester Jugend her kannte. Wohl war er in den letzten Jahren in seinem Benehmen ein eigentümlicher Kerl, aber es fehlte eben die fürsorgliche Mutterhand. Aber im grossen Ganzen war er doch ein guter Kamerad. Er steht noch leibhaftig vor meinen Augen mit seiner blonden Haarlocke, als ich ihn voriges Weihnachten zum letzten Male sah. Der Krieg ist bitter, sehr bitter. Solche Schicksale treffen solche, die ihn gut kannten, sehr hart. –
In einem Monat ist nun Weihnachten. Weihnachten, Fest des Friedens! Aber die Menschen wissen nichts vom Frieden, nur Krieg steht in jeder Zeile. Wo werden wir es wohl in diesem Jahr feiern? Niemand weiss es, aber eines ist doch so gut wie sicher, dass wir irgendwo im Feindesland das Christfest feiern werden. Für mich wird es die erste Kriegsweihnacht sein. Ich tröste mich mit den Kameraden, die schon das zweite oder gar das dritte Mal irgendwo in weiter Ferne unterm Lichterbaum sitzen und mit allen Gedanken in der Heimat sind. Wir sind ja zufrieden, wenn wir, die wir nun ununterbrochen fünf Monate im Kampfe stehen, rausgezogen würden und einige Wochen Ruhe bekämen. Dann könnten wir ruhig und zufrieden Weihnachten feiern. Ein Bäumchen wird sich wohl auftreiben lassen und wenn ein Haufen Post käme, so wäre jeder glücklich und zufrieden. Die Ansprüche des Landsers sind ja nicht gross. In diesem Jahre kann ich ja nun nicht persönlich die Weihnachtsgeschenke kaufen. Mit gleicher Post habe ich daher an die Mila geschrieben, auf das Konto von Papa 100,- M zu überweisen. Verteilt das Geld bitte wie folgt: Papa und Mutti je 35,- M, Wolf und Mathilde je 15,- M. Jeder kann dann kaufen, was er will oder auch Papa für Mutti und umgekehrt. Wolf und das kranke Häschen können ja ebenfalls sich gegenseitig und zusammen die Eltern beschenken. Was soll ich noch lange Vorschriften machen. ihr seid im Weihnachtseinkauf doch alle keine Anfänger. Sollte es passieren, dass wir doch zur Überholung in die Heimat kämen, dann kann ich nach dem Feste ja nachsehen, ob Ihr gut und billig gekauft habt. Eine Kuriosität hätte ich noch zu berichten. Ein Urlauberzug fährt von Mariupol über Stalino, Dnjepropetrowsk, Shitomir, Lublin, Kattowitz, Breslau, Dresden, Leipzig, Halle, Nordhausen, Kassel usw. weiter ins Rheinland. Ich habe nur noch nichts darüber erfahren, dass es Urlaub gibt. Das gilt wohl nur für Etappenhengste! Ich habe herzlich gelacht, als ich von einem Kameraden hörte, dass ich direkte Verbindung bis zur Heimat hätte. Vier Tage soll die Fahrt dauern. Vielleicht sind wir nächstes Jahr um diese Zeit so glücklich, auf Urlaub fahren zu können. Eure Annahme, dass ich zum Rgts.-Stab versetzt worden wäre, stimmt nicht. Ich war nur als Melder abgestellt, jetzt hat mich ein anderer abgelöst. Wolfgangs Brief v. 23.10. hat mich sehr gefreut. Er scheint ja ein zackiger Bursche geworden zu sein. Als Feuerwehrmann im Domgewölbe rumzukraxeln, ist schon eine Leistung. Alle Achtung! Kurzschrift lernt der Herr auch schon. Da bringt er es sicher blad auf 100 Silben! Krippen habe ich in meiner Jungscharzeit auch mit gebaut und da ich wieder beim weihnachtlichen Thema angelangt bin, so will ich Euch schon jetzt die herzlichsten Wünsche übermitteln. Man weiss ja nie, wielange die Post geht. Um Augenblick klappt’s ganz gut. Das göttliche Kind möge Euch allen seinen Segen geben und wir wollen hoffen, dass seine Gnade die Führer der Völker erleuchtet, sodass im nächsten Jahre Weihnachten wieder ein Fest des Friedens ist. Wenn Ihr unter dem Lichterbaume sitzt, dann denkt an mich. Allen Verwandten und Bekannten allerbeste Grüsse und Wünsche. Als Wünsche hätte ich Briefumschläge und einen Rasierapparat, da meiner verloren gegangen ist. Schließt mich in Euer Gebet ein. Hoffentlich können wir bald mal auf Urlaub fahren. Nochmals frohes Fest und tausend Grüsse und Küsse von
Eurem Jungen.

 

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