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Brief (Transkript)

Franz Siebeler an seine Eltern am 14.8.1941 (3.2002.1285)

 

Russland, 14.8.41



Ihr Lieben Alle!

Mit grosser Freude habe ich Euren lieben Brief v. 23.7. erhalten. Ja, wenn die Post nicht wäre, dann fehlte jede nette Abwechslung und man hätte die Flinte schon oft ins Korn werfen können. Gestern sind wir wieder 80 km vorgestossen. Dieses Mal ging es aber wieder nach dem Süden. Wir stehen dicht vor Kriwoirog, einer 200000 Einwohner grossen Stadt in der Südukraine. Die Stadt soll heute im Handstreich genommen werden. Man merkt schon, dass wir ins Industriegebiet kommen. Ab und zu sieht man Bergwerke. In Kriwoirog werden rd. 70% der russischen Erze verarbeitet. Also eine Stadt von größter Wichtigkeit. Eben gibt’s Verpflegung. Wie immer eine Menge Butter und dann Wurst. Letztere ist nicht gerade so reichlich, dafür halten wir uns mehr an Eier. Jetzt liegen wir in einem Kollektivhof mit einigen hundert Hühnern. Heute habe ich mir zwanzig Stück geholt. Also brauch sich Mutti um meinen Korpus keine allzugrosse Sorgen machen. Immer wird es ja nicht so bleiben, aber solange man hat, muß man mitnehmen. Rohe Gurken verdrücke ich auch in Massen. Eine Tafel Schokolade gab es ferner als Zusatzverpflegung. Die ist aber auch im Handumdrehen verschwunden. Das Wetter ist jetzt wieder prima, nur sehr viel Staub. Man wäscht sich bei jeder Gelegenheit, doch nach fünf Minuten Fahrt sieht man wieder schmutzig aus. Die Augen werden durch den Staub sehr angestrengt. Aber ich bringe es nicht fertig, mit Brille zu fahren. Die beschlägt sofort und dann kann man überhaupt nichts sehen. Heute hat der Tross Ruhe und ich bin sehr froh. Zwar habe ich als Melder wenig davon gemerkt. Den halben Tag bin ich mit meiner Kiste in der Gegend herumgesaust. Aber so eine Alleinfahrt ist doch schöner als das langweilige Kolonnenfahren. Das ist die Geschwindigkeit so niedrig und man schluckt eine Menge Staub. Gestern ging der Marsch wieder bis Mitternacht. Diese Nachtfahrerei ist ja noch das Schlimmste von allem. Die Kleinen sind wohl auch wieder in der Heimat. Beide haben mir hübsch fleissig aus Rügen geschrieben. Ich hätte Ihnen gern auch öfters geantwortet. Aber es war ja Mitte Juli, ehe ich die erste Post von dort bekam. Wenn ich dann noch nach Wiek geantwortet hätte, wären die Briefe erst Anfang August dort angekommen und dann wären die beiden Badeungeheuer schon wieder in der Heimat gewesen. Aber ich hoffe doch, dass sie wenigstens einmal von mir dorthin Post bekommen haben. Papa und Mutti müssen sich so schinden. Alles für uns wie soll man dafür danken. Die gewünschten Sachen sind wohl unterwegs. Jetzt kommen hier schon grössere Päckchen an. Herrn Dechant werde ich noch heute schreiben, wenn die Zeit noch langt. Ihr hättet es auch mal nötig gehabt, in den Harz zu fahren. Wenn der Garten da nicht wäre.
Georg hat mir auch geschrieben. Hätte Zigaretten beigelegt. Der Brief ist sehr schmutzig geworden. Dauernd zieht der Staub der Strasse in den Wagen. Für heute genug. Grüsst Onkel Willi und alle lieben. Schliesst mich in euer Gebet ein und seid tausendmal gegrüsst und geküsst
von Euerm Jungen.

 

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