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Brief (Transkript)

Hans an Eugen im Mai 1940 (3.2002.0211)

 

In Frankreich, Mai 1940



Lieber Eugen!

Wo Du eigentlich steckst - eher noch in Wien oder gar vorn vor dem Feinde? Es ist auch gleich, - wenn dies zu Dir kommt, bin ich schon tausendmal wieder bei Dir gewesen - in jedem Bild, sei es gemalt oder die große Natur, bin ich flugs mit einem lebhaften Gedanken in Deiner Nähe. Ich weiß dann, daß Du gleichen Sinnes wärest, sowohl im Staunen vor der Fülle des Schönen wie auch im Grauen vor dieser fürchterlichen Passion, die unsere Soldaten, aber besonders der Franzose durchleidet.
Ich lebe hier ganz in den Zeugnissen einer besseren, fruchtbaren Zeit und übersehe den Tabellenchristen, den Schwärmer im Religiösen , der von der letzten Stärke einer großen Ahnung lebt - und diese Zeugnisse verehre ich, die Dome und Bildwerke eines starken, fähig machenden Glaubens. Die wuchernde Heiligenverehrung der ‘Tochter der Kirche’ läßt an Christi Wort denken: „Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr nicht.“ Und diese Wundersucht ist ein Verfallszeichen, danach riecht sie doch allzu kräftig. Überall, selbst in den Bibliotheken, wo sich Claudel und Racine finden, gibt es ‘Wunderliteratur’ von Belgien und Frankreich, Spanien und Italien. Indessen liebe ich Claudel, der das Wunder sieht, wo es ist, im Opfer der streitenden Kirche.
Wie man den Hunger fühlt nach einer einzigen Messe! Ich glaube nicht, daß die französischen Christen so von ihren Pfarrern verlassen sind wie wir, ohne Gelegenheit zur Beichte und zur Communio. Aber ich weiß nun auch, daß Claudels Musik hier keine Resonanz findet wie ja auch bei uns nicht Gertrud von le Fort in ihren Hymnen, die mir ganz persönlich sagen, wofür ich eigentlich hier stehe. Unter anderem als diesem einen und heiligen Zeichen wäre dieser unser Kampf eine Gottlosigkeit. -
Der Franzose ist fähig zum Haß, in ganz anderen Formen als wir ihn kennen. Er sitzt in Tiefen, dahinein wir kaum zu sehen vermögen. Die Zeugnisse dieses Hasses sind zahlreich - ich weiß oft, aber nicht oft, warum wir ihn ‘verdient’ haben.- Schlimm hausen die Schwarzen. Sie hängen in den Bäumen und sind gute Schützen.
Das war in der letzten Nacht auf Wache. Dies schreibe ich zwischen ganz neuen Gräben, in vorderster Linie. Meine Nerven - wenn sie nicht reißen, hat das, was nicht leiblich ist an mir, den Krieg gewonnen. Man soll die Härte loben und die Enthaltsamkeit des Johannes in der Wüste. Wie weit ist man davon entfernt. - In meinem gestrigen Quartier habe ich gelernt, was es heißt, ‘sein Herz an etwas hängen’. Kostbare Bildnisse, weiche Pastelle, prachtvolle Stiche, von Watteau gezeichnet und einen ??? köstlich ausgeführt und koloriert, eine alte Siensische Tafel in Gold, Gelb, venezianisch Rot und Braun. Ich bebte vor Wonne. Japanische Elfenbeinsachen, ein köstlicher Teppich aus dem 7. Jhdt. Tobias und Raphael mit dem Hunde und eine ferne Stadt, eine ‘Kreuzabnahme’ aus Rubens’ Zeit, alte gotische Plastik, eine ganz wuchtige, einfach in ihren Maßen, einfach klassische romanische Kirche. Was ich vor Zerstörung retten konnte, tat ich und legte das Wertvollste oben auf die Schränke. Es ist alles schon sündhaft lädiert.
Gestern hatte ich Zeit und las Racine (mit Lexikon). Ich bin davon ganz weg. Einiges, die Übertragung (sehr frei) der monachischen Tageszeiten, konnte ich fließend lesen, und das war hier vorn eine verdiente Wonne. Claudel ist mir hier zu bunt und zu farbig, auch zu schwer - aber hätte ich la messe la bas hier! - Sonst gibt es auch unter den neuen kath. Dichtern hier viele Schreiber. Den Reiterroman hätte ich gerne hier, überhaupt lernt man hier erst unsere neue deutsche junge Kunst schätzen, etwa die Bauten Dominikus Böhms, Berkes Illustrationen- ich mache eine Pause - höchste Gäste sind eben dagewesen.
Wie soll ich Dir die Landschaft beschreiben? Van Gogh blieb hier unter jedem Baum sitzen, so saftig prall und voller unglaublicher Möglichkeiten für seinen Pinsel! Unsere Heimat hat ihre eigene Schönheit, man sieht sie nur nicht so unbefangen wie die Fremde. Nur Wasser ist knapp. Pumpen sind selten. Wir waschen uns im Fluß. Gestern, als ich Kaffeewasser aus ihm schöpfte, schwamm eine Ratte am Ufer vorbei. Über meinem Bett, im letzten Quartier ein Porträt, wie ich’s mir wünsche, unbestechlich wahr, ohne ‘Deutungsversuche’. Klar, sauber gemalt (nicht glatt) und mit beständigem Herzen. Ich dachte an Wasmanns herrliche Kreidezeichnungen. Vier solcher Ahnenbilder gibt es im Hause, alles Profil. Verdier wurde hier sehr verehrt. Ich erfuhr erst in einem belgischen Adelshof von seinem Tod. Dort hatte man sein Bild.
Man sagt eben, es sei Sonntag. Ich weiß keinen Tag und kein Datum. - Ansonsten muß ich schweigsam sein. - Übrigens, daß Du es weißt, für zu Hause liege ich immer in der ‘Etappe’. Nicht, daß man dort was merkt. Schreibe auch an Gertrud nichts Beunruhigendes. Ich muß mich hier verziehen. Hier kommen eben ‘Liebessachen’ an. Das Finale ist so nah - wir haben nicht geträumt damals in Elbing, als es eben im Gespräch auftauchte. Schon wieder 200m von mir ein Einschlag. Es wird hier lustig. Ob man bei den Poilus etwas merkte? - Übrigens, wenn ich...und Du nicht, nimm meine Bücher und Bilder in Obhut. Die Briefe soll man verbrennen. Aber ich weiß nichts. Vielleicht umgehen wir Freund Hein und der Hippe.
Vor mir ein rosiges Ferkel, wie bei Rubens! Ich werde auch an die ‘errötenden Wangen’ in der Glocke erinnert. Die Kühe treiben durch die Gegend und die Milch läuft ihnen davon. Neben mir eine Ziege, kann kaum noch gehen, so voll die Euter! Hier fehlen sauflustige Naturen, der Busen der Natur ist prall gefüllt. Weil wir gestern Zeit hatten, haben wir Reibekuchen gebacken und alten Bordeaux dazu getrunken. Ich hatte diesmal mehr Spaß an der Farbe als an dem Getränk. Oh - Bohnenkaffee in Menge! Aber es ist Sünde, wenn ich ihn trinke, und gerade hier fällt mir die Enthaltsamkeit schwer.
Eben sahen wir eine Menge Schwarzer am Wege liegen, gräulich zerfetzt. Und überall verwesendes Vieh auf den Wiesen, auf Dem Rücken liegend, die Beine in die Höhe wie hölzerne Schaukelpferde, zum Platzen aufgedunsen. Da denke ich an Deine Totentänze. Es ist kein ‘Thema’ leichter als dies. Die Luft ist voll von Verwesungsgeruch, der süßlich in der Nase haften bleibt.
In einem Schlosse alte Stiche zertreten auf dem Boden. Überall die Kreuze mit den Stahlhelmen auf neuen Gräbern.
Der Prozeß ist furchtbar einfach. ‘Trinkt, o Augen, was die Wimper hält!’
Diesen Brief habe ich in der Tasche mit mir herumgetragen, deshalb ist er so zerknittert. In medio tribulationis ist der Ordo Gottes einfach und klar zu erkennen.
Sei gegrüßt, herzlich und froh trotz Krieg und Grauen!
Immer
Dein Hans

 

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