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Brief (Transkript)

Hans an Eugen am 4.9.1941 (3.2002.0211)

 

Am 4. September 1941



Lieber Eugen

Vorgestern und heute je zwei Briefe - der mit dem Erlebnis von Laon (ich sah die Kathedrale wie eine Stadt auf dem ‘Berge’, die wahrlich nicht verborgen bleiben kann, in den Junitagen 1940 von Germain de Domes nach Sedan und Monza), und der Brief mit der Rodin-Plastik und dem Eiffelturm vom 14. und 15. August. Wo sitzt Du noch! Hier ist Europa schon zu Ende, mag es auch geographisch nicht stimmen - in einer feuchten Blockhütte, eingezwängt und zähneklappernd vor feuchter Kälte. Ich hatte gestern Wanzen, die mich fürchterlich zerstachen, und das schlimmste Jucken beginnt erst jetzt. Dazu das erbärmlich schlechte Wetter und wenig Aussicht, daß es in unserem Abschnitt vorangeht - Deine Ahnung mit P.ist recht. Dort lagen wir aber vor fast zwei Monaten am 15. Juli, jetzt sind wir nicht allzu weit von der Dünaquelleentfernt, an deren Ufern in W. wir noch vor 4 Tagen in Zelten lagen. Ich ahne, daß wir hier ‘hinieden’, und alle nahe erregenden Betrachtungen, wie ist es so aus diesem Umstand entspringen, laufen nicht in Fragezeichen, sondern in Wirklichkeiten, vor denen mir doch gelinde graut. Hier ist es so seltsam uneuropäisch - und bei allem, was das Wort Westen für uns ist und bedeutet, ertappt man sich oft dabei, wie des Abends der Blick der Sonne nachgeht und ein Anflug von Heimweh ist einfach nicht wegzuleugnen. Dieses abendliche in den Westenblicken tröstet und wo keiner mehr ist, bedarf man dessen. Der Westen hat Kultur und geistige fruchtbare Wärme - Hier ist nichts als die Natur, keine ideale Landschaft der Reujsdal und Breller, aber eine große Weite mit Tannenwäldern in der Ferne und wenigen Hütten. Die Natur. Es muß und mußte noch vieles klar werden, ehe ich sie so und so fröhlich oder auch so traurig ernst anschauen könnte wie die Handvoll armer Leute aus den elenden Hütten, die, ich weiß nicht wovon, leben, ohne je die Welt gesehen zu haben und ohne das Wissen um die ‘Stadt’ und die ‘Welt’ aus diesem in das andere Leben gehen. Gibt es die Welt für so urtümliche Menschen überhaupt? Wo ist da nicht Gott für sie, die doch so fühlbar von ihm abhängig sind. Für Menschen, die der Natur so nahe sind, meine ich, läge die Allvergottung gar nicht so weit und auch nicht für solche, die zur Naur zurückkehren oder echt sie erkennen wie Hölderlin. Es ist jedenfalls nichts Unnatürliches, wenn sie (aber nicht wie der hl Paulus), den Gott in allem wirksam sehen. Die ‘Stufe höher’ unserer Religion ist zwar sehr merklich, aber ohne die Offenbarung, die in Bücher geschrieben und in Büchern und Lehre weiter gegeben wird, wäre sie nicht möglich. Wo finde ich hier in Rußland die heiligen Bücher? Daß es hier keine Luther-Bibel gab und überhaupt der Humanismus und alle Erscheinungen des Abendlandes fehlen, ist auf Schritt und Tritt zu bemerken. So blieb also die Bedeutung des Bildes der hl. Ikone, an die sich der Russe klammert, die er befragt, die wirklich das Heiligtum der Familie ist, die ihnen dashalb wohl als Glaubensquelle, Biblia pauperum so viel bedeuten und vielleicht auch, damit sich nichts in den reinen Gottesdienst einschleicht, nach so strengen Regln gemacht worden sind. Es ist noch viel von der primitiven Bildverehrung ursprungsnaher Völker lebendig, aber auch viel echter Gottesdienst. Die Erkenntnis des Selbst vor Gott, die reine Fröhlichkeit, aber auch die reine echte wirkliche Furcht (der ‘liebe Heiland’scheint ganz zu fehlen) vor ihm. Daher auch die seltsamen Verirrungen, das übertriebene Feiern und Liebhaben bestimmter Heiliger, die man eben als Nothelfer oder Beschwichtiger des zürnenden oder gar verdammenden Gottes ansieht. Der Herr sogar hat die Entfernung des lehrenden Meisters behalten und nicht die Nähe des ‘Menschensohnes’. Das bürgerliche Christusbild der Dürerzeit oder gar das weiche Bild der Nazarener gibt es hier erst seit 50-60 Jahren. - Immerhin, aus dem Osten kommt gewiß ein Licht und es könnte so nicht sein, wenn nicht irgend auch das Dunkel, das Dämonische, Satanische da wäre. Bei uns fehlte dem Mittelalter (Guardini) der echte Sinn für die Wirklichkeit, sie wurde zu gering eingeschätzt oder fast geleugnet. Die östliche Kunst kennt das ‘Draußen’, (selbst nach dem Beweis ex silentio - wenn es nicht vorgestellt wird, so ist es doch da) in dem sich die Unglücklichen befinden, kennt den Satan, wie ihn Alwin Egger selbst malen konnte, (wer konnte es vor ihm)? Eigenartige Stelle, im Evangelium, wo es da heißt: „Und er (der Satan) nahm IHN mit sich auf eien sehr hohen Berg.“ Das Wirkliche dahinter scheint mir das ganz späte Mittelalter nicht empfunden zu haben. - Mit Deinem schönen Bericht von Laon traf gleichzeitig ein Bändchen Wesenszüge der deutschen Kunst von P.Pindar ein, das Pe,0ter Haag mir geschickt hat. Mir kam der Gedanke, den ich Dir hiermit vortrage: post bellum (und diesen Plan können wir whl realisieren) mit Peter eine Fahrt zu den Stätten zu machen, die wir rings um Westfalen gern haben. Peter ist schon ein Architekt, der sich Gedanken macht und es wäre mein Kalkar, Emmerich, Coesfeld, Billerbeck St.Johannes, Münster, Hildesheim, Paderborn, Soest, Dortmund, Meister Konrad und Essen, Westwerk und Münsterschatz. Ich glaube ihm auch auf diesem Weg, den Du nach Belieben ändern, verlängern oder kürzen magst. Mir geht es nicht gerade besonders gut im Augenblick, das heißt gesundheitlich. Das Wetter sitzt im Knie. Wenn Du Dir das vorstellst, kannst Du Dir das denken, wie ich’s meine. wenn ich Dir immer eine gute Gesundheit im Briefe wünsche. Verzeih, die fatale Litanei dieser Schreiberei ist so sprunghaft und unstet, ist wirklich wie ich hier sitze und sitzen mag in soviel Unwirklichkeit. Heil und Zufriedenheit ------ zum Archiepiscopus gemacht, Batteriechef, Studienrat, Erzbischof. Ukraine, Ukraine, Mütterchen, mein Mütterchen, gedenk ich dein du Heimatland, so schmerzt mir das Herz. --- Das ist ein Teil eines Briefes, der erste Teil ist wohl verloren gegangen, scheint aber auch in dieser Zeit geschrieben zu sein.---- Im Aufruf Tisos wurde, soviel ich weiß, allein an die große christliche Aufgabe wenigstens erinnert, die unser Volk hat, aber hier nicht erfüllen wird. Der Einzelne sieht bloß und muß sich damit abfinden. So viele denken noch an das, wie es sein könnte. Was wächst da heran! und es ist wenig, wenn man über etwas bloß denken und schreiben kann - Post bekomme ich sozusagen nicht mehr - am Beginn des Feldzuges und etwa eine Woche danach bekam ich von Dir einen Brief - alles andere scheint vernichtet zu sein, anders kann ich mir das Ausbleiben langsam nicht mehr erklären. An unserer letzten Station lagen wir vor einer Holzkirche, in der ein Getreidelager eingerichtet war. Eine Holzplatte mit dem Bilde einer Kreuzabnahme, - eine sehr gute und typisch russische Übersetzung irgendeines Stiches nach Rubens! (Für das russische Empfinden eine Unmöglichkeit und wohl nur die wunderschöne Komposition reizte den Maler) - fand ich noch als Ersatz für fehlendes Fensterglas. Es heißt, daß viele Familien die Ikonen vergraben oder an geheimen Orten aufgestellt hätten. Den Popen hatte man 1929 nach Sibirien geschickt. In dieser Stadt sind sämtliche Kirchen umgewandelt und die schönste ausgebrannt. In einem Aufsatz las ich, die jetzige Haltung des französischen Volkes sei mehr von den Vertretern des klassischen Atheismus geprägt als von Pascal und Fenelon - eine eigentümliche Bemerkung, die einen nachdenklich stimmt. - Eben kommen zwei plumpe russische Flugzeuge dahergeflogen, die aber ungehindert wieder abdrehen konnten. Wir sahen und lasen russisch-deutsche Lehrbücher, phantatisch blöde und dumme und geistlose. Auch die Kultur, und jede Kultur scheint ohne die Religion nicht wachsen und sein zu können. Ob das Bild des verlorenen Sohnes noch in Petersbuerg ist oder ob es uns für immer verloren ist? Ich denke oft an diese westlichen Tafeln, um die östlichen ist es mir weniger bange - man hat hier Bilder ganz anders lieb als bei uns, und ein Maler ist im Volke eine magische Erscheinung. Ein protestantischer Theologe unterhielt sich oft mit den Leuten, die sich daran gewöhnt haben, schrecklich ‘kollektiv’ zu denken. Ich wollte noch manches schreiben, aber es ist ja ungewiß, ob etwas überkommt. Dieser Zweifel wirkt sich übel aus, es fehlt so die rechte Lust zu allem Brieflichen. Morgen soll Post anlangen. Würde das ein Fest sein! Gleich lese ich im Wittiko und es ist mir verdammt wohl zumute, wenn ich bloß daran denke. Ich lese gern Bücher zum zweiten, ja zum dritten oder vierten Male. Bleib munter unter vielleicht Gleichgültigen. Laß Dich herzlich grüßen und beglückwünschen
Deinem Hans

 

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