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Brief (Transkript)

Hans an Eugen am 8.7.1941 (3.2002.0211)

 

Am 8. Juli 1941



Lieber Eugen

Mein Bein ist eben für einige Tage ‘stillgelegt’, da es sonst mit dem Wiederbesserwerden noch gute Weile hätte und ergo habe ich etwas Zeit um zu schreiben. Ich weiß nicht, ob Dich alle Zettel und Zettelchen erreichten, die ich in den letzten Wochen in Richtung Reims auf Reise schickte. Dein kurzer Brief von Kriegsanfang traf gestern ein. Da hat die Feldpost sich ein Kabinettstückchen geleistet - Es ging doch verhältnismäßig schnell. Vielen herzlichen Dank. Wir sind inzwischen in andere und weitaus gefährlichere Gebiete vorgedrungen und in den nächsten Tagen werden wir wohl nicht mehr bloß ‘Nachzügler’ sein. Hoffentlich ist dann mein Bein, das sich so vorteilhaft benahm, wieder gebrauchsfähig! - Den ‘letzten Gang’, den ich wie ein angeschossener Köter heute Vormittag unternahm, machte ich zur russischen Kirche des Ortes, in dem gerade der feierliche Gottesdienst anging. Der Raum ist ganz aus Holz mit dem für russische Kirchen eigentümlichen Turm und den Türmchen bekrönt. Vor dem Bau liegt ein großer Hof mit einem aus Feld=und Ziegelsteien errichteten Glockenturm. Ein ‘Mann mit Bart’,(was ausdrücken soll, wie sehr der Bart zu dem Gesichte des Mannes gehörte) gab in mir unklar gebliebenen Zeitabständen Glockenzeichen. Eine ungemein große Anzahl von Bäuerinnen in bunten Kliedern und weißen Kopftüchern lagerte vor der Tür und alle hatten einen Strauß Wiesenblumen in den Händen. Als wir kamen, standen einige auf und von den jungen Mädchen legten uns einige von den Wiesenkräutern in die Hände und sprachen uns freundlich ermunternd zu, doch einzutreten. Als wir dann durch die große Menge bis zur Kirchentür kamen, stand der Priester da, eine Gestalt, die uns tief beeindruckte. Auch er hatte einen schneeweißen Bart. Einige Bauern entzündeten die Lichter vor der großen Ikonostasis, während dessen die Menge in den Raum strömte. Alle fielen lang zur Erde und küßten den Boden. Die Wände waren voll behangen mit Ikonen, teil jüngeren und teils älteren Datums. Einige der Mutter Gottes sehr schön und alt und fast ganz mit Silber überkleidet. Der Gottesdienst ging zum großen Teil hinter der Bilderwand vor sich. Leider konnten wir nicht lange bleiben. Als ich die Ikonen besah, mußte ich an Müller Erb [?] seligen Gedenkens denken - seine Ausführungen sind vor der Wirklichkeit doch revisionsbedürfrig. - Viele Leute brachten das Brot gleich mit zur Feier - man sah ihnen an, daß sie von weither kamen. Das Benehmen war sehr (für unsere gewohnten Vorstellungen besonders) ehrfürchtig und gesammelt. Selbst die jüngeren Dinger sahen nicht nach links und rechts (nur eine blinzelte mal herüber, wurde aber gleich feuerrot, und obwohl wir das Gesicht dann nicht mehr sahen, konnte man der ganzen ‘Körperlichkeit’ anmerken, wie sehr sie sich ‘Untat’ bewußt war. Die anderen Frauen gaben ihr auch gleich von links und rechts einen Ruck) Die Melodien der Gesänge waren ganz einfach, aber nicht ausdruckslos. Ein Gesang klang ganz nach westlicher Gregorianik. Hernach räumten wir eine Bude der Roten aus - ein tolles Gegenstück zu dem Erlebnismorgen. Wir sahen alle die Größen der Sowjets in Fotos, auch eins vom Besuch Molotows beim Führer vom ‘Beginn der guten Beziehungen’. In der Bibliothek liegen die Werke der ‘Genossen’. In einem Geschichtenbuch fand ich diese (schlecht gedruckten) Illustrastionen. Die Bauten der Roten sind unerträglich formlos und schlecht gebaut. Nichts verrät eine ‘starke Hand’ und (wir besahen einen Kerker) man muß sich in diesen Gebieten recht unsicher gefühlt haben und hat sämtliche Intellektuelle gemordet. Wir fanden manches wirklich herrliche Gesicht (nur durch die vorschriftsmäßige Fratze entstellt) bei den Fotos der Ermordeten. Es stank in dem Gebäude entsetzlich nach Verwesung und Kot. - Zum Kartoffelschälen haben wir uns etliche Jüdinnen an Land gezogen. Es waren tolle Erscheinungen dabei - eine Karikatur könnte auch nicht mehr viel dahinzutun. Die anderen weiblichen Wesen des Nestes sollen ‘nicht ohne’ sein und soweit sich dieses ‘Nicht ohne’ auf die Wohlbehütetheit bezieht, muß ich es bestätigen. So etwas! Na, da bin ich doch eher für ein Mittelmaß - wenn ich’s zeichnete, würdest Du meinen, ich übertrieb. Die Gespräche des Abends sind über der auf Kriegsstärke gebracht und etwas vom Wodka läßt die Zungen da lebendig werden. Ein Sittenpredigen wäre da nicht am Platze. Manches ekelt einen an - ich lese indessen oder versuche zu ratzen. bIs auf einige sind die Kerle aber nicht prüde dabei und es ist in aller Übertriebenheit doch noch ein Maß durchzuspüren, ein dehnbares mit Gummiriemen darum, aber immerhin ‘Grenze’, und wenn ich höre, daß es gemein wird, sage ich wohl ein Wort, wobei ein Teil auch hinhört. - Was ich lese? - Noch immer in dem reichhaltigen Guardini-Büchlein vom lebendigen Gott und letzthin auch das wunderschöne Schlußkapitel Sokrates und der Engel. Ich bestellte mir einiges von Ernst Jünger und auch die gesammelten von Nikolej Leskow und außerdem sehr viele Bücher, letztere aber nicht hierher, da ich keinen Platz habe. Beim römisch-katholischen Pfäfflein des Ortes wollte ich gestern minjo holen, was Honig heißen sollte, aber die Eminenz rückte nicht damit heraus. Er verstand wohl, was es heißen sollte, und nach längerem Dialog Graeci-latinae rückte der Bursche mit immerhin mangelhaften Kenntnissen im Deutschen heraus. Honig wäre mir aber lieber gewesen. Den Vergil hab ich tief in den Tornister gelegt - der herrlichen Mahlzeit wegen, die darin vorkommt (hier gibt es nichts davon, aber Hirten auf den Feldern und Russengesichter! Die sind sehr eindrucksvoll - aber keiner will sich zeichnen lassen). In den Hütten ist das Kostbarste wohl ein einziges Bild - die Mutter Gottes, das jetzt wieder überall in den Hütten herangeholt wird. Ich muß Schluß machen, es ging sehr schnell. Man müßte ein Mückennetz haben. Die Biester sind frech. Lasse bald von Dir hören, Du weißt, was einem die Post hier bedeutet. 2000 gute, frohe Grüße + kräftige Wünsche

Dein Hans

Achso mit der Verlobung damals hattest Du mißverstanden - nicht Eduard, sondern meine Schwester Anne hat sich da verlobt.

 

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