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Brief (Transkript)

Christian S. aus Taubenheim an Charlotte A. nach Ratingen-West am 23.03.1978

 

23.3.78

Liebe Tante Lotte!
Am heutigen Vormittag hatte ich bereits einen ausführlichen Brief an Dich geschrieben. Bedingt durch das geführte Telefonat macht sich ein neuer Brief erforderlich, da er unter ganz anderen Vorzeichen steht. Hoffentlich ist es nicht der letzte den ich schreiben kann. Es ist ja nun zur Wirklichkeit geworden, daß beide sehr wichtigen Briefe abhanden gekommen sind. Wie dies passieren kann, können wir uns nur im Detail erklären. Inhaltlich hatte ich konkret auf Deine Fragen geantwortet, bzw. habe versucht Dir noch irgendwelche Tips zu geben. Zum anderen habe ich den letzten Antrag den wir gestellt hatten samt Aberkennungsantrag mit beigefügt, daß heißt, dies war in einem anderen Umschlag. Wollte Dir damit eine Unterstützung zukommen lassen, bezüglich unserer Glaubwürdigkeit der Antragstellung. In jedem gestellten Antrag hatten wir die Aberkennung der Staatsbürgerschaft gefordert. Leider finden unsere Anträge seit dem 25.11.76 keine Beachtung mehr. Von keiner Dienststelle ist mehr ein Wort zu hören. Dies stellt nach unserer Verfassung eine gröbliche Verletzung dar. Vielleicht liest man jetzt, nach dem abhanden kommen, unsere Anträge etwas genauer. Man stempelt sich ja zum Trottel, wenn man fast 2 ¼ Jahr das gleiche bezüglich unserer Ausreise schreibt. Nach all den Vereinbarungen muß es doch behördlich möglich sein, nach dieser Zeit eine Genehmigung zu erteilen. Was nützen uns die vielen Konferenzen und Vereinbarungen, bei denen bekanntlich auch unsere Steuergroschen mit verwendet werden, wenn dabei nichts für uns raus kommt. Ständig hört man das gleiche Ding bei uns, daß man zu allem bereit ist, nur muß man sich fragen, wofür man sich eigentlich entscheiden möchte, denn sehr viel Gutes einer Entscheidung davon ist noch nichts zu sehen.
Liebe Tante Lotte, unterrichte bitte Deine beiden Freunde von dieser eingetretenen Schlappe. Ich glaube, daß nach dieser Angelegenheit es nicht lange dauern dürfte, bis die Stasi bei uns vorspricht. Nach all den gesammelten Erfahrungen reagiert man bei derartigen Dingen sehr giftig. Man will ja mit uns hier Katz und Maus spielen, aber ja nicht das ein wahres Wort nach drüben geht. Und das alles, wenn man schlicht und einfach die Ausreise stellt. Mag auch kommen was es will, wir nehmen unseren Antrag nie zurück. Meine Einstellung kennst Du ja. Möchtest Du uns irgendwann etwas zukommen lassen, dann schreibe bitte an Martha W., 8607 Taubenheim [Straße und Hausnummer]. Liebe Tante Lotte, zur Ergänzung möchte ich Dir nochmals mitteilen. Inhaftiert vom 13.12.63 – Juli 64 im MfS Dresden, wegen angeblicher Staatsgefährdung. Trotz der Schlappe bin ich froh das wenigstens der Brief aus Hoyerswerda angekommen ist. Hoffentlich kann er damit etwas anfangen, denn wäre alles so aussichtslos dann hätte er nichts erst angefordert. Große Erwartungen setze ich jetzt eigentlich in Deinen Freund. Hoffentlich behalte ich Recht. Liebe Tante Lotte, aus dieser Bedrängnis heraus, muß es unbedingt zu einer Ausreise jetzt kommen. Macht es sich erforderlich, dann greife bitte zu dem Mittel zu welchem ich Dir immer geraten habe. Wir sind sehr kopflos und wissen bald nicht mehr wie es weitergehen soll. Liebe Tante Lotte, ich weiß nicht, ob Du bereits eine Zeile erhalten hast, bezüglich Deines Paketes. Wenn nicht, dann stand es in einem der Briefe, die weg sind. Es ist alles gut bei uns angekommen, und nochmals recht vielen Dank. Genau schreibe ich Dir im nächsten Brief. Mit den Zündkerzen, laß bitte. Was würden mir neue Zündkerzen nützen, wenn es bei uns keine Bereifung gibt. Dann bleibt das Auto sowieso stehen. Auch dazu im nächsten Brief. Liebe Tante Lotte, unternehme alles, was in Deinen Kräften steht. Unsere Situation kennst Du ja. Bis bald
Deine Lieben.

 

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