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Brief (Transkript)

Christian S. aus Taubenheim an Charlotte A. nach Ratingen-West am 22.01.1978

 

22.1.78

Liebe Tante Lotte!
Es ist ein dringender Anlaß Dir heute noch einmal zu schreiben. Hoffentlich hast Du meinen letzten Brief erhalten. Mit der Familie aus unserem Ort habe ich mich nochmals genau unterhalten. Sie können glücklich sein, Anfang Februar die Zone zu verlassen. Liebe Tante Lotte, lese die folgenden Zeilen bitte ganz genau. Jedes Wort davon sind Tatsachen. In unseren Angelegenheiten waren wir im März 76 beim Anwalt Dr. Vogel in Ostberlin. Dort bekamen wir für unsere weitere Antragstellung wichtige Hinweise die wir befolgt haben. Nach der 1. Ablehnung waren wir erneut vorstellig geworden um eine Klientschaft zu bekommen. Leider hatten wir es in diesem Haus dabei mit einem anderen Anwalt zu tun als bei unserem 1. Besuch. Von einer Klientschaft konnte keine Rede sein. Von unseren Dorfbewohnern haben wir jedoch, leider zu spät, erfahren daß man Ihren Fall dort aufgenommen hatte, und wie man sieht mit Erfolg. Wie schon mitgeteilt ist diese Familie genau so lange Antragsteller wie wir. Sicher ist Dir bekannt, daß Dr. Vogel eng mit Anwalt Dr. Stange in Westberlin zusammenarbeit. Dr. Stange ist bevollmächtigter Anwalt vom Bundeshaus. Dr. Vogel wiederum ist der einflußreichste Anwalt bis hin zur Führung. Ja man kann sagen er ist nur für die da. Beide Anwälte arbeiten ja eng zusammen bei der Gefangendensache. Und nicht nur hier, sondern beide arbeiten auch in unseren Dingen fest zusammen. Wir wissen es hundertprozentig das Protokolle von uns beim Dr. Vogel in der Ausreiseangelegenheit liegen. Er ist jedenfalls von unserer Seite gesehen der kompetente Mann. Aus dieser Tatsache heraus ist es unbedingt wichtig beim Dr. Vogel eine Klientschaft zu bekommen. Leider ist dies sehr schwer und ein wenig Glück gehört auch dazu. Werde umgehend dort noch mal vorsprechen. Liebe Tante Lotte, eine Möglichkeit dabei hast auch Du indem Du Dich an Dr. Stange Berlin (West) Bundesallee wendest. Die Verwandten von unseren Ortsbewohnern haben dies ebenfalls so gehandhabt. Eine schriftliche Zuwendung wurde promt positiv beantwortet. Wir dürfen uns hier von Auskünften vom Bundeshaus nicht irreführen lassen, denn all die negativen Aussagen stehen doch im Widerspruch zu der Vielzahl von Ausreisenden aus unserer Ecke. Bekanntlich sind noch nie so viel weggemacht wie jetzt. Nur gilt es jetzt dabei zu sein.
Liebe Tante Lotte, im Namen meiner Lieben handle bitte sofort. Wir sehnen uns nach einem baldigen Wiedersehen. Liebe Tante Lotte, zusätzlich zu meinen vorherigen Ausführungen würde ich noch folgendes sagen. Richte doch bitte mit genauem Sachverhalt in unserer Sache einmal ein Schreiben an Kohl. Dieser Mann gefällt mir großartig. Ein Bekannter dessen Verwandten hatten sich an Herbert Wehner gewendet. Nach kurzer Zeit hatten Sie positive Nachricht erhalten. Ich glaube schon wenn es Kohl mit in die Hände bekommt, daß der etwas ausrichten kann. Kann man es wissen, daß unser Sachbearbeiter womöglich von der hiesigen Stasi ist. Die Brüder sitzen doch überall. Sollte so etwas womöglich mal sein, dann sitzen wir im Rentenalter noch hier. Es ist schon sicherlich mal gut, wenn von anderen Seiten mal Dampf gemacht wird. In unserer Angelegenheit habe ich ein Brief vor Wochen an den Franke weiterleiten lassen. Haßt Du darauf ein Antwortschreiben erhalten? Liebe Tante Lotte, das wärs eigentlich für heute. Wir bitten Dich nochmals mit allergrößter Leidenschaft nach unserem Wunsch entsprechend zu handeln. Mit vielen Grüßen Deine Lieben.

 

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