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Brief (Transkript)

Christian S. aus Taubenheim an Charlotte A. nach Ratingen-West am 15.05.1978

 

15.5.78

Liebe Tante Lotte!
Verzweifelt möchte ich Dir heute wieder ein paar Zeilen schreiben. Ich glaube sagen zu dürfen, bei uns im Ort tut sich was. Vergangenden Freitag hat mein Bekannter aus unserem Ort die Genehmigung der Ausreise erhalten. Sicher kannst Du Dir vorstellen, welch einen Schock das bei uns hinterlassen hat. Obwohl wir fest dagegen ankämpfen, Tränen lassen sich nicht unterdrücken. Es ist sehr schwer zu erfahren wenn wieder einer die Genehmigung erhält und selber hört man nichts. Seit vergangenden Oktober ist dies die 3. Familie. Sonnabend vor acht Tagen ist erst eine Einzelperson gegangen. Von all den Antragstellern sind wir jetzt die letzten.
Liebe Tante Lotte, bei meinem Bekannten handelt es sich um die gleiche Person mit der ich am 15.2. beim Vogel war. Hatte Dir von diesem Besuch ja geschrieben. Kurze Zeit nach dem 15.2. waren seine Leute bereits beim Stange telefonisch bzw. schriftlich vorstellig geworden. Durch unseren Verlust beider Briefe müßten seine Daten und Angaben zirka 3 Wochen früher komplett beim Stange vorgelegen haben. Seine Leute haben das gleiche zur Kenntnis nehmen müssen wie wir, das es sehr kompliziert sei u.s.w. Nun bereits die Ausreise. Erwehnenswert vielleicht, daß seine Leute noch keine Kenntnis hatten. Man hatte Ihm das Recht des telefonierens eingeräumt.
Mein Bekannter, er ist 51 Jahre seine Frau ca. 45 Jahre und der Sohn 20. Alle drei arbeiten. Antragsteller sind Sie seit Januar 77. Liebe Tante Lotte, sicher weißt Du etwas mehr – wir nichts. Trotzdem setze ich mein volles Vertrauen in Stange und wir rechnen wirklich das wir in Kürze auch etwas erhalten. Sollte sich in der Zeit da mein Bekannter noch hier ist, bei uns nichts tun, meldet er sich sofort bei Dir. Er würde alles für uns tun. Sein Name ist D., Robert. Er macht nach Bad Oehnhausen (porta-Westfalicka). Entweder meldet er sich telefonisch oder schriftlich. Liebe Tante Lotte, vielleicht ein Hinweis. Seine Leute haben auch einen Brief, die nicht beantwortet worden, an Vogel und Honecker geschickt. Ebenso einen Brief an Wehner. Dieser antwortete positiv unter dem Hinweis, daß er es an Stange weitergegeben hat. Ob diese Umstände zu diesem Erfolg geführt haben? Natürlich Stange nicht zu vergessen. Unsere Anträge an Honecker und Dickel sind auch weg. Mein Arbeitsklima ist auch noch schlechter geworden. Nachdem man mich in Kenntnis setzte, das ich keine betrieblichen Rechte mehr erhalten, wegen ausbleibender gesellschaftlicher Tätigkeit, sah ich mich gezwungen aus dem FDGB auch noch auszutreten. Es ist wohl etwas viel verlangt, sich hier noch in irgendeiner Art zu betätigen. Es ist sehr zermürbend wenn man sich so mir gegenüber verhält. Ich trage es trotzdem mit Würde. Der Glaube, doch bald in Freiheit leben zu dürfen, gibt einem unheimlich Kraft. Vielleicht hören wir bald von irgendwo etwas positives.
Liebe Tante Lotte, ich habe am 23.4. ausführlich wegen des Hauses bei Mutti geschrieben. Sind die Bilder auch angekommen?

Viele liebe Grüße von Deinen lieben „Drei“!

Ist im Bundeshaus noch etwas zu hören gewesen. Hatte auch Franke bezüglich Ausreisen vor dem Bundestag sprechen hören.

 

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