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Brief (Transkript)

Hermann S. aus Marbach an Jobst Dieter H. nach Eisenach am 02.04.1964

 

Marbach, den 2. April 1964


Lieber Herr H. mit Frau!


Ganz wohlbehalten und ohne den geringsten ist heute Ihr liebes Päckchen angekommen.Als junger Vater hat mich dieses Häschen natürlich am allermeisten entzückt. Es sieht goldig aus und unser Michael wird sicher bald seine Freude daran haben. Bis jetzt ist er noch nicht ganz so weit, daß er einen einzelnen Gegenstand erkennen und wahrnehmen kann. Aber er fängt schon an mit Klapperkugeln zu spielen, die über sein Bett gehängt sind. Er ist dabei ganz verrückt vor Freude und strampelt ebenso heftig mit den Beinchen wie er mit den Händchen nach diesen Kugeln fuchtelt.
Ganz herovrrrganed verpakct war ja auch dieses entzückende Väschen. In lnager, mühseliger Kleinarbeit ist da wohl die Holzwolle hineingestopft worden.
Über das Buch freue ich mich besonders, nicht nur wegen des Inhalts und Themas, sondern vor allem darüber, daß es doch noch einige geistige und kulturelle Grundlagen gibt, die uns miteinander verbinden.
Meine Frau ist diese Woche mit Sohn in Heidelberg, um dort den Verwandten und Bekannten aus der Kinderzeit voll Stolz den Michael vorzuführen. Aber ich darf auch ihren Dank dem meinigen g leich hinzufügen.
Die Festzeit ist wieder vorüber. Etwas ausgepumpt ist man schon, wenn in so kurzen Abständen einen Gottesdienst nach dem andern hat und ohne rechte Vorbereitungsmöglichkeit, Pre igt auf Predigt hält. Zwar will ich jedes Jahr schon etwas früher mit den exegetischen Vorarbeiten beginnen. Aber es ist noch nie etwas darau s geworden. Der Gottesdienstbesuch war einigermaßen erfreulich. Aber die Leute hatten bei dem schlechten Wetter ja auch sonst kaum Möglichkeiten, um etwas zu unternehmen.
Diese Wiche sind noch Osterferien. Ich genieße es sehr, ein paar vorm ittage und Nahcmittage zu haben, wo man nicht immer wieder eine Stunde halten muß und darum zu keinerlei zusammenhängender Arbeit kommt.
Das neue Schuljahr, das nächste Woche beginnt wird wieder eine Menge Schulstunden bringen und wenig Zeit übrig lassen. – Sie wären ja manchmal froh, wenn unsre Möglichkeiten in der Schule bei euch offenstünden. Aber wir haben damit eine Unmenge Arbeitslast zu tragen, die der Gemeindearbeit Zeit und Kraft nimmt. Bei dem katastrophalen Lehrermangel, der in der Bundesrepublik besteht, werden Religionsstunden kaum noch von Lehrern übernommen und müssen ganz von den Pfarrern gehalten werden. Wenn er nicht dafür bereit ist, dann fallen sie eben aus oder werden gekürzt. In solchen Situationen wird einem immer wieder klar, wie sehr alles christliche Gerede eben doch nur Tünche ist und kein Engagement dahinter steht.
Aber im nächsten Atemzug predigen diese Schulleute bei Entlassfeiern etc emphatischen Antikommunismus, ohne konstruktive Ansätze damit zu geben.
Wir haben in den nächsten Wochen unsere Landtagswahlen für Baden-Württemberg. Zwei Wahlveranstaltungen konnte ich besuchen. Die Referate waren teilweise ordentlich. Aber was kam in der Diskussion: Antikommunistische Ressentiments und grauenhaft Darstellungen über die Zustände in der DDR. Ich wagte es, auf den grundsätzlichen Fehler jeder Art von Antihaltung hinzuweisen und die DDR Berichte auf Grund der Briefe, die ich von Ihnen und anderen Freunden bekomme, richtigzustellen. Aber das genügt bereits, um den Verdacht aufkommen zu lassen: Unser Vikar ist rot.
Wenn sooche Leute vom höchsten Gut ihrer westlichen Freiheit reden, dann möchte man am liebsten fragen, ob sie Freiheit nicht mit ihrer Bierflasche und ihrer Schinkenwurst verwechseln.
Nach solchen Abenden möchte man am liebsten die ganze Welt umkrempeln. Aber dann erschrickt man über die eigene Ungeduld, weil man sich darüber klar wird, daß Gott sich noch zu dieser Welt bekennt.

Aus Treunbrietzen erhielt ich ein interessantes Programm über eine Tagung des Friedensrates am 19. April in Berlin. Pfarrer Gerhard Bassarak wird dort leitend dabei sein. Wie kann man diesen Friedesnrat wohl beurteilen?
Sehr gespannt bin ich ja, ob nach der Affäre von Prof. Havemann nicht doch eine liberalere Welle in der DDR lebendig werden wird vergleichbar mit den Vorgängen in der CSR.

Ja ich könnte mir vorstellen, daß die Gemeinde bei Ihnen vielleicht aufmerksamer zuhört als bei uns, weil sie ja viel weniger von Namenschristen durchsetzt ist. – Allerdings ist die geschichtliche, konkrete Ausrichtung ihrer Predigt unvergleichlich schwerer, weil sie mit einer ganz anderen Situation konfrontiert wird. Und gerade darin, könnt Ihr für uns einen ganz wichtigen Dienst tun, wenn ihr zeigt, wie man in einer nichtchristlichen Welt das Evangelium glaubwürdig predigt.
Wegen der Bücher will ich versuchen, in den nächsten Wochen etwas zu bekommen. Bis dahin herzliche Grüße Ihnen und Ihrer Frau

 

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