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Brief (Transkript)

Jobst Dieter H. aus Eisenach an Hermann S. nach Marbach am 20.09.1966

 

Neuenhof, den 20. September 1966

Liebe Familie S.!

Haben Sie zunächst herzlichen Dank für den ausführlichen Brief vom 12. September . Inzwischen ist das Nachforschungsformular für das Paket hier bei uns gewesen und wieder weitergeleitet worden. Es wäre schön, wenn es sich noch finden würde. 30.- DM sind dafür leider kein ausreichender Ersatz. Wenn das Paket nicht mehr auffindbar sein sollte, brauchen wir von den bestellten Sachen nichts mehr, außer der blauen Hose, die ich auch mitbestellte. Ich weiß nicht, ob Sie die Hose schon mitgeschickt haben. Wenn Sie auch mitgeschickt worden ist, kann es an Stelle der blauen Hose auch eine Cordhose sein? Größe 26 Bundweite: 100 Gesäßweite: 110 Schnittlänge 72
Obwohl ja nun ein Paket weggekommen ist, wage ich es trotzdem, bei Ihnen wieder Wünsche anzumelden. Da der Winter vor der Tür steht und unsere Wohnung schlecht heizbar ist, -Wir sind nicht glückliche Besitzer von Zentral – oder Ölheizung, - hätten wir gern einen Heizkörper für unser Badezimmer . Im Katalog für das Frühjahr war dort einer angeboten. Er nennt sich Infraquarzstrahler und ist für das Badezimmer geeignet. Wir dachten uns das so, daß wir den Heizkörper an der Wand anbringen. Dann bitten wir noch um eine Taschenlampe, deren Batterie an der Steckdose aufgeladen wird. Am besten, wenn Sie die Wünsche erfüllen können, schicken Sie die Dinge als Wertpaket.Hoffentlich können Sie uns die Wünsche erfüllen. – Unser Ulrich hat seinen Geburtstag sehr schön verlebt. Der Pullover und die Hose sehen sehr gut aus. Allmählich bekommt der kleine Kerl seinen eigenen Willen und versucht, ihn auch schon durchzusetzen. Man bekommt jetzt sehr oft „Nein“ von ihm zu hören. Manchmal aber weiß er selber nicht, warum er sich so heftig wehrt.
Beim Schreiben fällt mir noch ein Wunsch ein, über den Sie sich wundern werden. Bitte können Sie mir vielleicht einige Schnellhefter mitschicken. Seit einem halben Jahr versuche ich vergeblich, welche zu bekommen. Jetzt haben bei uns Wahlen zur Synode stattgefunden. Die Wahl der Laien war der reinste Zirkus. Die ganze Sache war schlecht organisiert und schlecht besucht. Von über 400 Kirchenältesten waren nur 76 anwesend. Die Wahl selbst war beschämend. Am darauffolgenden Tag wurde der geistliche Vertreter für die Synode gewählt. Da konnte man wieder feststellen, wie einige Amtsbrüder ihren Komplexen, die sie als Dorfpfarrer gegenüber den Stadtpfarrern haben, freien Lauf ließen. So kam in die Aussprache über einen Kandidaten, der wirklich befähigt ist, ein sehr unschöner Akzent. Leider wurde dieser Kandidat nicht gewählt. Die Synode steht ja nun vor erheblichen Problemen. Sie muß endlich die Dinge in Angriff nehmen, die schon längst behandelt werden mußten. Besonders wäre wohl da das Problem des Strukturwandels zu nennen. Es wird endlich Zeit, das volkskirchliche Denken über Bord zu werfen. Dafür muß versucht werden, eine Gemeindezu bauen, die wirklich Kirche ist. Das, was sie mir aus der Gegend Suhls schrieben, trifft auch auf viele Gemeinden in unserer Landeskirche zu. Daran, an dieser Unmündigkeit der Gemeindeglieder, scheitert zunächst jeder Neuerungsversuch.- Sie scheinen ja in ihrer Gemeinde, lieber Herr S., schon weiter zu sein, wenn sie einen Reformausschuß haben. Mich würde mal interessieren, was sie alles in diese Reform einbeziehen und was sie über Bord werfen. Vielleicht können Sie mir mal darüber schreiben.
Wenn Sie meinen, daß der Luth. Weltbund von uns ausgeladen worden wäre, weil es etwa zu Massenansammlungen hätte kommen können, befinden Sie sich im Irrtum. Die Ausladung erfolgte deswegen, weil dem Luth. Weltbund auch Bischöfe der Bundesrepublik angehören, die den Militärseelsorgevertrag und den Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik unbegreiflicherweise unterstützen. Aus der großen Besorgnis unserer Regierung um Ruhe und Frieden bei einem kirchliihen Komgreß erfolgte die Zurücknahme der Einladung. Ich hoffe, daß Sie nun aufgeklärt sind. Sonst sieht es in der Welt sehr trübe aus. Man ist jetzt langsam in Gefahr, der Meinung zu unterliegen, daß Deutschland nie mehr eine einheitliche Nation wird. Ist es nicht traurig, daß wir schon drei Jahre miteinander bekannt sind und bis jetzt ist noch keine Möglichkeit gewesen, daß man sich kennenlernt. An den persönlichen Schicksal der Deutschen spiegelt sich am deutlichsten die Misere unseres Vaterlandes wider. Nun aber genug der pessimistischen Töne. Trostreich ist es letztlich doch, daß wir über allem Gezänk und über allem Streit die Botschaft des Evangeliums verkündigen können und dürfen. Trostreich aber auch, weil hier eine objektive Wahrheit zu finden ist gegenüber all’ den halben Wahrheiten dieser Welt.
Nun seien Sie und ihre Familie recht herzlich gegrüßt
von Ihrer Familie
H.

 

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