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Brief (Transkript)

Familie F. aus Salzkotten an Familie H. nach Leipzig am 25.11.1985

 

Salzkotten, am 25.11.1985

Liebe Frau, lieber Herr H.!

Wir bedanken uns sehr herzlich für Ihre beiden Briefe vom 22.9. und vom 17.11. Leider scheinen Sie zwei Briefe vom Anfang August und vom 6.9. nicht erhalten zu haben. Sie enthielten großbogige Zeitungsartikel ohne Brief. Ich hatte in der Zwischenzeit eine größere Anzahl des „Kulturmagazins“ der F.A.Z. für Sie gesammelt. Ich habe sie aber jetzt in das Altpapier gegeben, da ich keine Möglichkeit habe, diese zu schicken. Eine Fahrt in die DDR bot sich dieses Jahr nicht an. Ich hätte dann dort diese Hefte mit der Post versenden können. Ob ich nächstes Jahr nach Herrnhut fahren kann, ist sehr fraglich. Das Evangelische Bildungswerk Coburg bietet eine solche Tagesreise im Dezember 1986 an. Überhaupt ist die ev. Kirche sehr rührig, Bindungen drüben zu erhalten oder zu schaffen. Mein Gesundheitszustand ist ja nicht der Beste. So war ich vom 18.8. – 3.9. wegen hohen Blutdrucks und hohem Altersblutzucker im Krankenhaus. Die folgende Schlesienreise war damit auch infrage gestellt. Obwohl diese sehr anstrengend war, habe ich doch durch gehalten. Es war ja keine Vergnügungs- sondern eine Studienreise mit vielen Eindrücken und Strapazen. Inzwischen habe ich körperlich stark abgenommen. Unsympathisch ist mir die starke Medikamenteneinnahme. Ich fürchte immer, daß damit Nebenwirkungen auftreten. Meine Lebensweise unterliegt nach meinem Krankenhausaufenthalt ganz bestimmten Bindungen. Sie würden eine Reise nach XSchlesien unter einen anderen Gesichtswinkel sehen als wir. Wir hatten aber dieses Mal einen jungen Historiker als Reiseleiter, der viel Erfahrung aus Ostblockreisen mitbrachte. Es sah die heutigen Dinge nüchtern und kam unseren Auffassungen sehr nahe. Da er geschichtlich sehr versiert war, konnte er manches schiefe Bild bei den Polen zurecht rücken. Ein Mann meiner Generation wäre schon vorbelastet gewesen. Ich kann aber jedoch nicht sagen, daß wir mit ideologischen Scheuklappen durch das Leben gelaufen sind. Dafür hat die Zeit zuviel von uns gefordert. Die Polen sind meiner Ansicht ausgesprochene Individualisten, die sich dem heutigen Regime nicht unterordnen wollen. Dabei unterstützt sie die römische Kirche, ohne die nichts läuft. Ein Nationalismus, der den Deutschen fehlt, verbindet aber alle Richtungen. Ob unter einer anderen Regierung ein wirtschaftlicher Anstieg zu verzeichnen wäre, möchte ich bezweifeln. Die ganze Mentalität ist eben anders. Ein Gewinnstreben deutscher Art ist eben nichtpolnisch und auch nicht erwünscht. Man jagt krampfhaft der DM nach und betätigt sich mit ihr als Lebenskünstler. Es ist sehr viel wert, im polnischen Territorium zu wohnen und eine Westdeutsche Rente zu beziehen, obwohl man nie dort gewohnt hat. Schließlich war Schlesien einmal deutsch und daher die Rechtsansprüche. Ansonsten ist man froh, daß wir harte Valuta ins Land bringen. Weder Engländer noch Franzosen fahren nach Schlesien. Sie fahren bestenfalls nach Warschau oder Posen, um ihre Geschäfte abzuwickeln. Irgendwie sind die Polen zu bewundern. Ich möchte dies aber nicht als allgemeine Bewunderung bewertet wissen. Es gibt auch andere sehr traurige Dinge, die in der Vergangenheit liegen. Dazu möchte ich hier aber nicht Stellung beziehen. Stark sind auch die Gegensätze zwischen Nieder- und Oberschlesien. Während nördlich Breslau nur noch die Steine einer 700 jähr. Kultur deutsch sprechen, spricht die ältere Generation in O.S. noch deutsch, da sie als slawisch-autochthon nicht umgesiedelt wurde. Die Deutschkenntnisse gehen aber zurück. Die jüngere Generation kann auch an höheren Schulen nicht mehr deutsch lernen, so wie wir englisch lernen.
Ich möchte es eigentlich mit diesem Reisebericht belassen. Er ist zudem auch noch unvollständig. Wir haben ja fast alle historisch und kunsthistorisch bedeutenden Orte zwischen Grünberg und Kattowitz bereist.
Vielleicht melden wir uns im Brief vor Weihnachten noch einmal. Jetzt müssen wir erst einmal an die Weihnachtspakete denken.
Wir wünschen Ihnen und Ihren Kindern eine schöne Adventszeit.

Mit herzlichen Grüßen

Ihr Hermann und Brunhilde F.

 

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