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Brief (Transkript)

Familie F. aus Salzkotten an Familie H. nach Leipzig am 04.02.1986

 

Salzkotten, am 4.2.1986

Liebe Frau H., lieber Herr H.!

Ich bedanke mich sehr herzlich für das schöne Buch über Leipzigs Vergangenheit und den Brief vom 26.12.1985. Unter dem gleichen Titel des Goethewortes ist im Westen im Verlag Weidlich, Würzburg, ein Buch von Karl Rauch erschienen. Der früher in Dresden beheimatete Verlag bietet noch 6 weitere Bücher über das alte Leipzig, seine Mundart und sein Umland an. Der Schwerpunkt des Verlages lag und liegt noch in Mitteldeutschland. Ich habe aus diesem Verlag eine Menge Bücher, jedoch kein spezielles über Leipzig. Sie füllten eine Lücke. Nach dem Kriege sind sehr viele Sachsen in den Westen gekommen. Hier in Nordrhein-Westfalen sind sie im westfälischen Landesteil nicht sehr heimisch geworden. Dies ist eigentlich verwunderlich da das Land mit heute 17 Millionen Bewohnern – das sind genau so viel wie in der gesamten DDR – sehr aufnahmebereit für unternehmerische Menschen mit liberaler Gesinnung war. Zweifelsohne haben die Sachsen sehr viele Impulse und Leistungen in wirtschaftlicher, juristischer und künstlerischer Hinsicht gebracht. Ein besonderes Staatsdenken, wie es heute in der DDR gepflegt wird, haben sie weder mitgebracht noch wird es von ihnen in irgendwelcher Hinsicht kultiviert. Sie sind eigentlich sehr willig in den anderen deutschen Volksstämmen aufgegangen. Sie verloren auch sehr rasch ihre Identität. Lediglich ihre Mundart, ihre raschen Bewegungen und ein schnelles und konseque ntes Denken lassen ihre frühere Herkunft erahnen. Manchen Spott und manchen Ärger haben sie ertragen, wenn es um die vielen Sachsen in der DDR – Regierung oder an der Staatsgrenze ging. Heute hört man davon nicht mehr viel. Die Sachsen haben sich südwärts bewegt, wenn es möglich war. Bayern, Franken, Schwaben und Alemannen entsprechen als Oberdeutsche ihrem Naturell. Zwei meiner Dresdener Schulkameraden beklagen als wohlbestallte Ruheständler in Hamburg das rauhe Klima der Hanseaten. Ich weigere mich immer, die Deutschen auseinander zu dividieren, siweit es sich um Herkunft, Sprache und Sitte handelt. Ich glaube auch, daß dies bei dem heutigen Rumpfdeutschland sogar unsinnig ist. Aber es gibt in Deutschland – dies ist kein politischer Begriff – sowohl ein Kultur- als auch ein Leistungsgefälle, das leider durch politische Machenschaften verschärft wird. Ich habe ein loyales Verhältnis zu diesem Staat, aber ein Gefühl für ihn habe ich nicht. Auf keinen Fall ist er mein Vaterland. Manchmal frage ich mich mit Ernst Moritz Arndt: Was ist des deutschen Vaterland?
Wie ich in Ihrem Brief lese, haben Sie Ihre Zeit im Urlaub schon verplant. Unter den dortigen Verhältnissen müssen Sie es ja auch. Ich könnte im Juni eine zehntägige Reise nach Böhmen und im September eine 12tägige Reise nach Ostpreußen und Danzig buchen. Beide reizen mich sowohl in historischer als auch kunsthistorischer Hinsicht. Meine Frau hat jedoch eine Abneigung gegen Reisen in den Ostblock. So werden wir wahrscheinlich nach Bayern oder Österreich, das praktisch für uns auch schon Inland ist, reisen.

Mit herzlichen Grüßen Ihnen allen

Ihr Hermann F. und Frau

 

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