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Brief (Transkript)

Familie F. aus Salzkotten an Familie H. nach Leipzig am 07.06.1982

 

Salzkotten, den 7.6.1982

Liebe Frau H., lieber Herr H.!

Wir bedanken uns sehr herzlich für Ihre beiden Briefe vom 27.3. und 30.5., sowie für die Osterkarte. Sie sehen, lieber Herr H., daß Ihr Brief auch ohne Absenderangabe uns erreicht hat. Es tut uns sehr leid, daß der Bücherkatalog, den wir aus Dresden an sie sandten, im stark beschädigten Zustand bei Ihnen angekommen ist. Wir waren der Auffassung, daß die Verpackung auf dem kurzen Wege von Dresden nach Leipzig hinreichend sei. Wir hätten das Päckchen noch einmal mit Bindfaden verschnüren sollen, aber es ging alles sehr eilig. Ich hatte wegen dieses Katalogs ohnehin Bedenken. Es wäre für Sie wahrscheinlich nachteilig gewesen, wenn über die Post der Inhalt in falsche Hände geraten wäre. Lieber Herr H., Sie stören sich an den hohen Buchpreisen. Ich hatte Ihnen wohl aber schon geschrieben, daß die Auflagen einer derartigen Buchgesellschaft niedrig sind und durch eine gewisse Anzahl von Subskribenten gedeckt sein muß. Aus Erfahrung der letzten Zeit kann ich bei Auslieferung eines 2bändigen Werkes (kartoniert) feststellen, daß die Subskription 15 Jahre gelaufen ist. Natürlich gibt es heute schon eine große Anzahl guter Bücher aus Taschenbuchreihen, die auch in Leinen etwa 22,- DM bis 27,- DM kosten. Die kartonierten Ausgaben liegen aber weit unter diesen Preisen. Paperbacks im alten Sinne werden hier kaum noch produziert. Billige wissenschaftliche Werke in deutscher Sprache werden auch in den Ostblockländern hergestellt. Für diese ist es natürlich eine Devisenfrage, und wir können mit unseren hohen Löhnen da nicht mithalten. Lieber Herr H., Sie schnitten im vorletzten Brief ein Gespräch an, das Sie mit einem Reutlinger Gast geführt hatten, in dem Sie die Begriffe „Kapitalist“ und „Kapitalismus“ verwendet haben. Darüber unterhält sich hierzulande kaum jemand. Es sei denn, es handelt sich um in ihren Ansichten festgefahrene Ideologen. In einem Staat, der eine freie Marktwirtschaft hat, sind die Menschen viel individueller geprägt als in einem autoritären Staat, der seinen Menschen nur einen gewissen Spielraum gewährt. Es ist bei uns gar nicht möglich, daß Auswüchse des Kapitalismus einfach unter den Teppich gekehrt werden. Unsere Massenmedien sind bei der Geißelung von Mißständen sehr frei und oft wird das persönliche Tabu mißachtet. Aber Sie haben ja recht, wenn Sie sagen, daß Sie seit Kindesbeinen nicht anderes gehört haben. Es wird Ihnen auch niemand übelnehmen. Es kommt leider bei uns vor, daß Besucher aus der DDR oft deswegen kritisch beurteilt werden, weil sie aus einem sozialistischen Staat kommen.
Lieber Herr H., Sie haben in beiden Briefen über ein Zusatzstudium, verbunden mit einer Nachgraduierung, berichtet. Ich kann mir darunter wenig vorstellen, da die Studiengänge an unsern Universitäten ganz anders gegliedert sind. Ich weiß auch nicht, wie Forschungsaufträge z.Zt. vergeben werden. Die großen Automobilwerke haben ihre eigenen Forschungsinstitute und Entwicklungsabteilungen. Selbst der ADAC, ein Automobilclub mit 4 Millionen Mitgliedern, veröffentlicht monatlich in seiner Zeitschrift technische Daten und Forschungsergebnisse in einer für einen Laien oft verwirrenden Form. Da die Verhältnisse in der DDR anders liegen, darf ich wohl sagen, daß es für Sie ein hervorragendes, wenn nicht entscheidendes Vorhaben ist, zu dem ich Ihnen Glück und Erfolg wünsche.
Meine Leistenbruchoperation ist erfolgreich verlaufen.
Die Dresden-Reise hat uns um einige Erkenntnisse reicher gemacht. Der Sonderzug brachte 440 „Touristen“ aus Ost-Westfalen nach Dresden. Wir wohnten in einem Interhotel an der Prager Straße. Wir waren nur sehr überrascht von der leiblichen Fürsorge des Dresdner Reisebüros. Man muß wohl angenommen haben, daß wir Westdeutschen halb verhungert angereist kämen. Wir waren in Dresden, Meißen, Pillnitz und in der Sächsischen Schweiz. Auf dem Königstein und in Pillnitz lag frisch gefallener Schnee.
In der Zwischenzeit haben wir die gute Witterung ausgenützt und mehrere Fahrten innerhalb erreichbarer Grenzen unternommen. Vom 29.4.-2.5. waren wir in Oberfranken und besuchten dort die Städte Kronach (Geburtstadt Lucas Cranach d.Ä.) mit der größten deutschen Festung, Kulmbach mit der Plassenburg aus der Hochrenaissance, Coburg mit der alten Veste, in der Luther während des Reichtags in Augsburg seine Tischgespräche schrieb. Die dortige Luther-Kapelle ist fast noch im alten Zustand. Da Coburg bis Ende des 1. Weltkrieges zum Herzogtum Sachsen-Coburg-Gotha gehörte und sich 1920 für den Freistaat Bayern entschied, ist der jetzige Kreis Coburg der einzige thüringische Teil, der zu Westdeutschland gehört. Unsere letzte Station war Bayreuth, wo wir das Festspielhaus Richard Wagners besichtigen konnten. Der äußerlich nüchterne Bau birgt ja eine fantastische Akustik im Innern. Es soll durch seine fast ausschließliche Verwendung von Holz das Opernhaus mit der besten Akustik der Welt sein. Sämtliche technische Anordnungen hat ja Richard Wagner selbst getroffen. Das Richard-Wagner-Denkmal in der Stadt, das die Stadt Leipzig ihrem großen Sohn in Bayreuth 1932 stiften wollte, ist leider nicht mehr zur Durchführung gekommen. Lediglich 2 Marmorreliefs erinnern daran.
In der letzten Woche waren wir in der Lüneburger Heide – bei der heißen Witterung. Obwohl die Heide ja erst im August blüht, übt sie durch ihre Riesenflächen an Heide und Wacholdergruppen eine große Anziehungskraft aus. Wir haben uns 4 Tage dort sehr wohlgefühlt. Die ganze Nordheide ist ein einziges Naturschutzgebiet, in dem sich nur Wanderer, Radfahrer und Pferdekutschen bewegen dürfen.
Liebe Frau H., lieber Herr H., wir danken Ihnen für die Einladung zur Leipziger Messe. Wir werden ihr aber leider kaum folgen können, da wir vom 19.8. bis zum 2.9. eine Reise ins Baltikum gebucht haben, und zwar schon im November vorigen Jahres. Wir werden kaum in der Lage sein, anschließend so schnell wieder auf Reisen zu gehen, zumal wir uns dann sehr um Haus und Garten kümmern müssen.
Wir freuen uns, daß Sie gesund sind. Ihre beiden Kinder sind inzwischen tüchtig gewachsen. Ob sie uns wohl noch wiedererkennen würden? Vielleicht die Anna-Marie. Matthias war doch noch so klein. Wenn wir Sie doch wieder mal besuchen, freuen wir uns auf die Kinder.

Wir grüßen Sie Alle recht herzlich
Ihre F.s

 

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