Nach Zeitraum suchen

von 
bis 
SUCHE ZEITRAUM
Bestandskatalog PDF

Brief (Transkript)

Eugen an Hans am 18.7.1942 (3.2002.0210)

 

Am 18. Juli 1942



Lieber Hans!

Gestern abend hatte ich die große Freude, nachdem ich lange gewartet habe, die erste Post von Dir zu bekommen. Seit wir im Kalender nachsahen, wissen wir erst, daß wir 9 Tage unterwegs sind. Uns ist die Zeit, da es nicht nach Tag und Nacht zählt, völlig unkontrollierbar. Gestern - nein seit vorgestern nacht waren wir auf dem Marsch - einem langen, langen Marsch durch Staub und Hitze. Wir sind nach dem ersten Angriff und Durchbruch überraschend zurück, liegen jetzt hier wohl einen Tag, um nun an anderer Stelle eingesetzt zu werden. Das heißt wieder: Marschieren! In unsern Raum rückten Italiener nach - ungeheuer lange Züge. Sie waren leicht, fast wie Pfadfinder gekleidet, weshalb wir ihnen in unseren Patent-Sommer- und Winter-Wehrmachtsröcken beinah neidische Blicke zuwarfen. Aber nachts ist es draußen immer sehr kühl. Die Italiener machten einen guten, unbekümmerten Eindruck, sangen hie und da übermütig - und hatten ein Tempo wie Kinder, die spazieren gehen. Keine Spur von unserem berühmten Tempo 114.
Nun hocke ich hier, vor einer dürftigen Hütte, der wir ein schreibtischähnliches Gebilde entlockt haben; die Nacht war es uns als Bett willkommen. Eben eine Szene, wie ich sie zum erstenmal hier erlebt habe: ein Russe bat mit unverständlichen Worten um ein Stück Brot. Wir hatten vom Frühstück noch eine fertige Schnitte liegen. Er nahm sie demütig lächelnd und schlug zweimal mit der Hand ein Kreuz. Rußland, unverständliches mit deinen beiden Gesichtern: dem demütigen glaubensvollen Antlitz und der erbarmungslosen Maske des Teufels. War es nicht immer so zwiegesichtig veranlagt? Hoffen wir, daß wir mithelfen können, auf daß die grausamen Züge sich entzerren zu friedevollem Aussehen. Unsere Opfer sollten sich zutiefst auch in diesem Sinne auswirken - denn sind sie sonst nicht zu schwer: allein um politische oder ‘weltanschauliche Dinge’ ein solch schwerer opfervoller Kampf? Diese Äußerung ist eine unmaßgebliche - denn die ‘maßgeblichen Stellen’... ! Wie hart dieser Krieg auch ist, wie hart und zum Äußersten bereit hat er auch uns schon gemacht-: welche Gedanken erfüllen mich um jedes Toten willen, der durch ein Stück Eisen getroffen, ausatmet, dem, ein Stück roher Materie entgegen geschleudert, ein ganzes Leben zu einem Krüppeldasein wird. Der Sinn des Leidens - ich denke da an meine seinerzeitige Lektüre im Buche Job. Dort ist alles vorbedacht, behandelt und schließlich ‘gedeutet’, warum Leiden und Tod auf der Welt ist. Aber wir brauchen ja nicht auf’s Alte Testament zurückgreifen, wenn wir nur Seine Sohnschaft, Sein Erdenwallen und Seinen fürchterlichen Tod vor Augen stellen. Der Sinn des Leidens ist im Leiden selbst beschlossen, weil es hindeutet nach oben. Muß man nicht staunen, wie dem Menschen, der von solchem nichts wissen will in gewollter Diesseitigkeit, alles ertragbar wird, wie er mutig ohne Bedingung ist. Man durchschaut so wenig die Kameraden, was sie denken. Ich wenigstens habe nicht so eine tiefe gleichgerichtete Gemeinsamkeit mit den Kameraden, die ich zumeist erst kurz kenne. Und verschließt man sich nicht selber mit allen diesen Gedankengängen in sich selbst? Ist das Wort, das zwischen uns hin- und herpendelt, nicht mal die äußere Seite des inneren Getriebes - ist unser Gesicht nicht oft wie ein Zifferblatt ohne Zahlen? - Aber man darf nicht nach Zeigern und Zahlen suchen. Schon das Pendel zeigt uns, daß Bewegung ist. Bewegung ist Leben - und Leben ist immer ausgerichtet auf den Tod. Uns selber sind solche Gedanken ja wie ein Wagnis - aber man muß wagen. Auch hier wollen wir erst unser Herz über die Schranke nach drüben werfen, dann kommen wir selber leichter hinüber. „Herz, mein Herz, was soll das werden!“ Man denkt ja vielmehr an die Füße, das Laufen, das Gepäck, den Schweiß, das Fluchen - aber das andere soll nicht als Gedanke, es soll als Weisheit in uns sein, es soll uns erfüllen - auch im Gleichgültigen, wenn wir nicht mehr zu denken vermögen. Denken ist eine Bewegung des Hirns. Auch dies wird müde. Aber das Herz schlägt ‘von selber’, es schlägt, wir denken gar nicht mehr daran, und wenn es aufhört zu schlagen, soll doch die Weisheit bleiben. Indem ich dies schreibe, gehe ich selber erst dem nach: wie alles zusammenhängt. Und wenn wir überall auch nur ein Zipfelchen oder ein Tüpfelchen erwischen können - es muß das Ganze sein!
Dein Brief, der lange Brief, weckte vieles in mir auf. Ich danke Dir sehr herzlich. Er ist am 17. Juni begonnen vor genau einem Monat. Ja, der Briefverkehr zwischen uns läßt noch zu wünschen übrig. Es muß Verschiedenes entweder verloren gegangen oder noch unterwegs sein. Das Manuskript schicke ich Dir hiermit nochmals. Es ist wirklich manu scriptum, von Walz, der es als mein Schreiber damals aus meinem durcheinander gequackelten Geschreibe ins Reine schrieb. Es ist stellenweise wohl schlecht zu lesen? Ich bin mir über alles selber noch nicht im Klaren. Maaßen hat mit seinem Urteil noch zurückgehalten. Habe ich zu wenig oder zuviel gesagt? Es soll Text zu Bildern sein - ist es dazu zu selbständig? - Ich lasse Dir die Lektüre und vernichtende Kritik. Er wäre ja eine schöne Geschichte, wenn aus dem geplanten ‘Bilderbuch’ was würde. Um der Bilder willen hätte ich ja nicht solche Bange. Walz hat nicht die Tiefe und Meisterschaft wie Berke, hat auch nicht seine Metaphysik. Aber ich habe ihm seinen Naturalismus herausgetrieben, ganz allmählich - und bin erstaunt über seine Bilder, die wahrhaft künstlerisch geworden sind. Es ist eine Lust, sich seine Entwicklung vorzustellen. Ich fürchte um ihn, er ist bei dem Angriff verwundet worden. Meine ehemalige Kp hat schwer bluten müssen (09534 D) bei dem Angriff, während wir mit unserer Kp. ein unwahrscheinliches Glück hatten. Wir sind gar nicht mehr richtig reingekommen. Ich habe Dir ja geschrieben, daß wir wegen unserer anderen Aufgabe erst später kamen und wegen des Art. Feuer nicht nach vorn konnten. Während unserer Ablösung aus der Sicherung, wo wir auch schwer Zunder bekamen, hatten wir ebenfalls viel Glück oder richtiger: die Stellungen der Russen. Das war also der Beginn. Heute bekam ich das Verwundetenabzeichen - seinerzeit in der Stellung hatte mir doch ein Posten die Handgranate entgegengeworfen. Die Wunde trage ich noch dick verpackt; sie will nicht zuheilen - und bei den dauernden neuen Bewegungen hat sie auch keine Ruhe. Der Kp. Fhr. meinte, hoffentlich werde ich das Abzeichen heil in die Heimat zurücktragen - solcher Hoffnung bin ich auch.
Um Dir aus meinem Alltag noch ganz erschütternde Dinge zu berichten, so soll - patienti sat - mein Durchfall nicht vergessen werden. Bei uns kennt man ja den schönen und trefflich treffenden Vergleich mit dem Reiher... ! - Freue mich, daß es Dir so gut geht und Du zu tollen Streichen aufgelegt bist. Ach ja - wenn man von uns ‘Vernunft’ und gesittetes Betragen erwartet. Lieber die Maske Eulenspiegels und noch etwas dünner aussehen als man ist, (fällt uns ja nicht schwer!) So halte ich’s auch. Militärisch gesprochen kann man von ‘taktischen Vorteilen’ reden. Aber nicht darum, keine Maske und Absichten: Freude um der Freude willen! - Ich muß sofort Schluß machen. Gerade erhalte ich Botschaft - gleich ist Abmarsch. Heil und Sieg herzlich
Dein Eugen

 

top