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Brief (Transkript)

Eugen an Hans am 14.6.1940 (3.2002.0210)

 

Am 14. Juni 1940



Lieber Hans!

Eben komme ich aus dem Kino und sah die Wochenschau. Ich weiß nicht, wie man sich dazu stellen soll: Der Krieg auf der Leinwand! Ich nehme einfach alles, wie es sich bietet. Es sind Dokumente, und sie sind nicht sentimental, diese Bildberichte. Sie sind oft erschütternd. Es ist natürlich Propaganda; aber der Krieg erscheint doch in nichts versüßt, wenngleich auch das Grausamste nicht gezeigt wird. Das ist auch gut. Unseren Müttern, die ihre Söhne im Krieg haben, möchte ich zu allem übrigen diese Wochenschauen nicht empfehlen, - Zwischen Feuersbrünsten und zerstörten Häusern ragende Kathedralen. Gibt es doch etwas, vor dem selbst das 20. Jahrhundert noch einhält mit Feuer und Zerstörung? Sollen wir hoffen - deswegen!? Jawohl.
Unsere Truppen in Paris. Italien im Krieg. Es geht mit Riesenschritten. Bei allem denke ich an unsere Landser, die braven Kerle, die mit Schweiß und Blut bezahlen. Man müßte ihm ein Denkmal setzen - nein, man kann es nicht. Oder das Denkmal würde man nicht für ein solches ansehen. Denn der Landser hat keinen ‘heroischen Gestus’, hat nicht so ein verbissenes Gesicht, wie die schönen Kriegsgemälde wahrhaben wollen. Er ist einfach, wie im Angesicht des Großen alles einfach ist. Und das ist die Größe.
Dein Brief von gestern. Er war ein graphisches Kunstwerk, dieser Bericht auf der Karte, doppelseitig miniaturgroß beschrieben. Und erst der Bericht selber! Lieber Hans, das sind Erlebnisse, die ewig ihr Gewicht behalten, die den Menschen verändern. Ich freue mich, daß du dabei bist! Aber Du mußt wiederkommen - und Du wirst wiederkommen, das ist bei mir eine unumstößliche Gewißheit. Ich freute mich noch mehr, wenn ich selber dabei wäre! Da mögen sie den Kopf schütteln. Viele unserer Bekannten auch. Aber es ist mir um diese Verrücktheit ganz ernst. Und ich freue mich, daß Du neben der Hitze des Kampfes auch die Muße und Besinnung verspüren darfst.
Heute habe ich Schwierigkeit wegen Deines Geldes gehabt. Gilt es eigentlich nur dort im Kampfgebiet? Die Frau sagte mir im Laden, sie hätten Schwierigkeiten damit. Auch in anderen Geschäften hatte man schon mißtrauisch die Scheine befühlt. - Gleichviel: solange ich sie los werde, ist alles klar, - Die Corot-Bilder und alles andere, was Du mitschicktest, sind gut! Das Bild ‘femme … la mandoline’ ist ganz wunderbar. In dem Buche über französische Kunst, das ich hier habe, wird auf Corots Bedeutung als Bildnismaler hingewiesen: hier sei er noch größer als in der Landschaft. In dieser ist er nicht unbedingt neu, in jener aber ist er einzig. Weißt Du, daß er mit Daumier intim befreundet war? Übrigens kann ich das Französisch ohne weiteres übersetzen. Zuweilen eine unbekannte Vokabel, die man sich oft ergänzen kann. Auch den schönen Aufsatz über Millet übersetzte ich. Aber ich bin damit noch nicht zu Ende.
Nun schickt mir Pik Ahrens nochmal Bücher aus Warschau: illustrierte polnische und russische Bücher. Es sind einige schöne Sachen dabei, leider auch weniger wertvolle. Pik hat wohl nicht den sicheren Blick, aber er gibt sich Mühe, daß es mir Freude macht. Es scheint, daß die Sachen nicht teuer sind. Er fragt nach Dir, und ich werde ihm erzählen. So haben wir bald ‘internationale’ Beziehungen.
Lieber Hans! Du hast Recht! Bei Corot unser Thema! Homer. Die Zeichnungen, die ich davon zu Hause habe, mußt Du noch sehen: Homer unter Bauern. Bei Corot ist er noch nicht schwer genug, so wie ich ihn mir vorstelle. Es muß ein Mann aus Erde sein, der das Leichte, der den Tanz besingt; die Kraft und die Anmut, die Sonne und den Nebel, die Geschichte und die Zukunft. Was meinst Du davon? - Ich lasse nie meine fixe Idee fallen: Bibelillustration! Unbedingt in Holzschnitt! Wenn ich mir überlege, wie es technisch wird (was man sonst nicht darf, aber im Krieg darf man auch phantasieren!) - eine Linie, die von der Rohrfeder her kommt, gleich auf die Holzplatte gezeichnet - beim Schneiden vereinfacht wird, einfach wie bei den frühen Einblattdrucken; aber unübersehbar müßte es modern sein, unserem Zeitgefühl entsprechend ohne archaisierende Reminiszensen. Zu den Bildern selber: Nicht unbedingtes Streben nach Originalität; Benutzung bekannter Motive, die eingeschmolzen werden. Sonst könnte man sich so einzeln gar nicht an solche Arbeit wagen, die einen sowieso das ganze Leben verfolgt. Das Ganze müßte zum Schluß die Kinder nicht weniger befriedigen als die Erwachsenen - und die ‘Kunstkenner’ nicht weniger. Aber ist das nicht wieder Hybris? Das Höchste gewiß, das man erreichen kann! Aber dieses Ziel dürfte man nicht vor Augen verlieren, es muß einen in die Höhe ziehen, damit man möglichst hoch kommt. Aber jetzt denke ich wieder an meine Kaserne hier und falle aus meinen Vorstellungen umso tiefer herab.
15. Juni
Heute morgen vor dem Dienst. Ich muß schließen, damit die Post noch mitgeht. Bald mehr. Sei vielmals gegrüßt
(und sei immer behütet!)
Dein Eugen

 

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