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Brief (Transkript)

Eugen an Hans am 16.4.1940 (3.2002.0210)

 

Am 16. April 1940



Lieber Hans!

Nun ist mein Schicksal im Anmarsch. Ich komme wieder zur Front, habe bereits den festen Bescheid, und es kann täglich soweit sein. Der Termin ist aber noch unbestimmt, und so schwanke ich noch zwischen Ost und West (dorthin komme ich, zu unserem aktiven Regiment. ) Es ist jetzt an einer ganz anderen Stelle als zu Beginn des Krieges! - Ich habe, wenn ich jetzt langsam zu packen anfange, noch meine liebe Not, daß ich alles fortbekomme. Dir erging es ja genau so. Froh, überaus froh bin ich, daß ich letzten Sonntag mir so herrliche Erlebnisse - den einer Stadt wie Danzig, den des Meeres, zum ersten Male - noch mitnahm. Das war gute Voraussicht! Wir hatten (mein Kamerad hier und ich) noch weitere Pläne, so: nach Königsberg zu fahren! Schade, daß wir so spät damit begannen, - Jetzt etwas Wichtiges, was leider durch meine plötzliche Versetzung (wenn auch erwartet!) durcheinander gerät. Pik Ahrens hatte mir in Warschau auf meine Bitten hin noch Sachen mit polnischer Kunst ergattert, d. h. er schreibt mir jetzt, ein Buch für mich sei von seinen Kameraden abgesandt. Ob ich es hier in Konitz noch bekomme? Es soll mit Kunstkarten zusammen, die er mir erstanden hat, 10 Mark (20 Zloty) kosten, ordentlich herunter gehandelt nach meinem Rat: beim Buchhändler nur kein gesteigertes Interesse merken lassen - sonst schrauben die Kerle die Preise entsetzlich in die Höhe! - Also jetzt schreibt er mir noch von einer ganz besonderen Sache, von Bildern des Malers Kramstyk. Ich kenne diesen Menschen nicht- Du? Es handelt sich um eine Mappe von 10 Faksimile-Zeichnungen und 2 Lithographien, je Stück (Größe 80 mal 50) 5 Mark, also 60 Mark. Er sagt, der Buchhändler sei bei diesen geringen Preisen blöde genug, die Sachen nicht richtig einschätzen zu können, die unter dramatischen Umständen vor dem Verbrennen gerettet wurden. Je und je, 60 Mark sind viel, viel Geld, beinah unerschwinglich. Und man will keine Katze im Sack kaufen. Ich schrieb ihm deshalb schon, ob er nicht eine einzelne Zeichnung aus der Mappe ergattern kann. Wenn die Sachen wirklich einzigartig sein sollten, ist mein Interesse hellwach- das Deine auch? Jedenfalls sollst Du von der Sache Bescheid wissen. Die Anschrift von Pik, der augenblicklich noch im Lazarett ist: Funker P. A. Feldp, -Nr. 27718 Warschau C1 Postfach 120. Eventuell könnten wir uns gemeinsam beteiligen. Gib mir mal Nachricht. Schreibe hierher an meine alte Anschrift, solange Du meine neue noch nicht hast. Es kann sich ja auch noch hinziehen.
So, von unserer Sonntagsreise willst Du noch was wissen. Danzig mußt Du selber kennenlernen. Eine Stadt, die trotz allen Alters nicht bloß historisch, gar schon nicht altertümlich wirkt. Über allem die Marienkirche wie ein Schiff, das vor Anker gegangen ist; und vom Hafen aus sind die schlanken Dachreiter unter den Schiffsmasten nur schwerlich herauszufinden! Dieser unübertreffliche Turm, auf dem wir standen, oben hoch, und Umschau hielten. Ganz oben die See, wie ein Gebirge, dunkel. Aber weiße Streifen und Flecken: Eis, das von der Sonne noch nicht geschmolzen. Die Westernplatte, zwei helle Lazarettschiffe. Wir sahen es nachher im Hafen ganz nah. Enttäuscht hat uns der Artushof. In den Rathaussaal durften wir nicht hinein, weil dort Rosenberg sprechen sollte, der, als wir nachmittags im Kasino in Jeppert eine Tasse Kaffee tranken, mit Gauleiter Forster neben uns am Tisch saß. Ich habe mein vis-a-vis natürlich genau gemustert, mit meinen Augen untersucht, - Als sie fortgingen, haben wir ihre Plätze eingenommen. Mein Kamerad wollte sich aus der noch halb vollen Kaffeekanne in seine Tasse gießen, aber da kam der Ober - und er kam nicht mehr dazu! In die See haben wir lange hineingestarrt: Thalatta, Thalatta! Rechts die Westernplatte und links der Vorsprung von Zoppot, dahinter im Blau die Zunge Gdingens- war der Blick noch eingeengt und konnte nicht in vollsten Zügen die ungehemmte Freiheit der See genießen. Der Horizont des Meeres zieht unnachgiebig in die Weite, was dahinter liegt, das nahe Rauschen und Brausen, das Züngeln und Lecken der Wellen, heranrollend und zurückflutend. Oliva, Langfuhr, Neufahrwasser. In Danzig selber die Mottlau, die berühmte Lange Brücke, das Krantor. Das ist sehr schön! Ach nein: es ist schwarz, alt, einfach, massig und ragend. Und doch ist es wohltuend! - Im Dom, in der Marienkirchen meine ich, das jüngste Gericht von Memling. Es läßt mich ziemlich gleichgültig (anders das Kölner Bild von Lochner). Zu glatt, nicht mehr Mittelalter und Neuzeit: die Teufel sind keine Teufel (auch bei Lochner schon nicht mehr, vermummte Schreckgestalten, die zum Lachen reizen). Wie anders Höllenschreck bei Breughel, Bosch- ja noch bei Schongauer, da war die Zerbrechlichkeit und Gewundenheit seiner Figuren, und zeitlich mit Memling zusammengerechnet werden muß. Aber Memling ist zu vollendet, spät, kultiviert. Es ist eine Kunst, die jeder Laie als höchste Offenbarung feiert; hier kann er überall ‘mit’. Aber zurück nach Danzig. Will Dir noch von den unheimlich vielen und schön bemalten Platten erzählen, die es in Danzig überall gibt, alles holländisch. Von dort wurden sie sozusagen als ‘Ballast’ auf den zu leichten Schiffen mitgeführt. Ich war gar nicht davon wegzubringen, - Nun aber Schluß. Laß bald wieder von Dir hören! Tausend Grüße
Dein Eugen

 

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