Brief (Transkript)
Heinz Sartorio an seine Schwester am 21.6.1943 (3.2002.0827)
O.U., den 21.6.43
Liebe Elly!
Nun ist ja wohl wieder einmal ein Brief von mir fällig. Ich habe Deinen Brief vom 11.6.zu beantworten, der vorgestern hier ankam. Sonst ist der Posteingang wieder mal recht gering. Nun zunächst noch einmal zu Deiner Anfrage über meine Meinung: Die Kriegslage bei uns: Wie der Wehrmachtsbericht gemeldet hat, hat der Ruße vorgestern auf unserem Abschnitt angegriffen. Der Angriff wurde völlig abgeschlagen, die 2 angreifenden Batl. fast völlig vernichtet. Eigene Verluste sehr gering. Häufigere kleinere Vorstöße haben immer dasselbe Ergebnis. An den übrigen Abschnitten der Ostfront ist es mit wenigen Ausnahmen ebenso. Die Rußen laufen in großer Zahl über und ergeben sich. Sie leben in deutscher Kriegsgefangenschaft besser und haben vor allem bessere Verpflegung. Wenn sie sich gut führen haben sie außerdem die Aussicht, als Hilfswillige bei der deutscheu Wehrmacht eingesetzt zuwerden. Sie werden dann wie deutsche Soldaten behandelt und verpflegt und sind dann sehr zufrieden und treue Helfer für uns. - Partisanen gibt es immer noch in großer Zahl. Es sind immer noch Versprengte, die sich bis jetzt gehalten haben, oder aber Zivilisten, die von den organisierten Banden zum Partisanenkampf gezwungen werden. Z.T. sind es vielleicht auch Luftlandetruppen Da die Front jetzt steht, sind größere Kräfte für den Einsatz gegen die Partisanen frei geworden, die bereits große Erfolge erzielt haben. Ich nehme an, dass durch diese Aktionen die Bedeutung der Partisanen bald gering geworden sein. wird. Es wäre immerhin begrüßenswert. - Nun meine Meinung über die Kriegslage im Westen: Die Art der englischen und amerikanischen Luftangriffe ist unglaublich gemein. Sie haben nicht die Absicht, unsere Rüstung zu behindern oder zu vernichten, sondern wollen nur das Volk demoralisieren. Sie gehen dabei mit einer Rücksichtslosigkeit und Brutalität vor, die ihnen keine Ehre macht. Die deutsche Führung dagegen leitet den Kampf zielbewusst um den Sieg zu erringen und vermeidet alle unnötigen Härten. Auch hier wird die Zivilbevölkerung weitgehendst geschont und ist uns auch im allgemeinen dankbar dafür. Dazu habe ich ja schon geschrieben. - Wer nun Schuld an diesem Krieg hat, ist jetzt eine müßige Frage. Die Frage ist wichtig: Wer hat das richtige Ziel in diesem Krieg, war kämpft für die Zukunft und wer kämpft für ein vergangenes Zeitalter. Und diese Frage ist insofern leicht zu beantworten, als die Alliierter für eine kapitalistische Weltanschauung kämpfen, die überholt ist und keine Daseinsberechtigung mehr hat. England war einmal mit Hecht die Weltmacht, ist es aber nicht mehr, weil es. konservativ geblieben ist und sich mit seinen Ideen nicht mehr den Erfordernissen der Zeit anpassen kann. Wie der Krieg auch verlaufen mag, England kann und wird nicht der Sieger sein, denn sonst war der Krieg vergebens und den nächsten Krieg würden wir noch erleben. Deshalb meine Meinung, dass wir England gegenüber nie kapitulieren dürfen, da sonst die Opfer umsonst gewesen sind und noch viel größere Opfer die Folge wären. Wenn England und Amerika siegen, sind die Folgen für eine fernere Zukunft unabsehbar. Das Könnte möglicherweise den Untergang Europas bedeuten, da wir dann in dem nächsten Krieg so geschwächt sein würden, dass wir für junge Völker eine leichte Beute wären. Für die nächste Zukunft würde ein Sieg der Alliierten die Vernichtung Deutschlands bedeuten. Wenn England bisher immer gesagt hat, dass es nicht gegen das deutsche Volk, sondern nur gegen seine Führung und den Nationalsozialismus kämpft, so geben sie heute andere Ziele für sich zu erkennen. Sie tarnen sich scheinbar nicht mehr hinter falschen Versprechungen, da sie annehmen, dass das deutsche Volk bereits so demoralisiert ist, das der Sieg für sie nicht mehr fern sein kann und an ihrem Sieg nichts mehr zu ändern ist. Folgendes verkünden die Engländer, was ich selbst gehört habe: Der deutsche Soldat kämpft mit einer Zähigkeit und Verbissenheit die erkennen lässt, dass das Volk mit seiner Führung und deren Ziele einverstanden ist. Es gibt sicher in Deutschland mehr Nationalsozialisten, als wir bisher angenommen haben. Die Anhänger Hitlers sind jedenfalls weit in der Mehrheit, seinen Feinden gegenüber. Wenn wir den Sieg errungen haben, muss deshalb das ganze Volk zur Rechenschaft gezogen werden, für die Schrecken des Krieges, die sie über die Menschheit gebracht haben. Das deutsche Volk muss so gründlich vernichtet werden, dass es nie mehr eine Gefahr für England -bedeuten kann. - So spricht England. Du wirst nun vorstehen, dass ich der Meinung bin, dass wir den Krieg bis zur letzten Konsequenz durchführen müssen. Ich bin bestimmt nicht begeistert von diesem Krieg und hätte vielleicht eine andere Losung der wirtschaftlichen und politischen Fragen vorgezogen. Ob das möglich war, kann ich allerdings nicht beurteilen. Ich bin aber Fatalist genug um mir zu sagen, dass schließlich alles so gekommen ist, wie es vorher bestimmt gewesen ist. Dieser Fatalismus darf aber allerdings nicht soweit gehen, dass man einfach sagt. wir können ja sowieso nichts ändern, es kommt ja doch so wie es kommen soll. Das ist mir ein zu bequemer orientalischer Standpunkt. Es bekommt doch immer der den Sieg, der Recht hat, die Frage ist nur, wer hat Recht. Vielleicht irre ich mich, wenn ich sage, dass wir bestimmt mehr im Recht sind, als die Alliierten kapitalistischen Staaten, ich glaube das aber kaum. Schließlich ist diese Entwicklung nicht von heut auf morgen gekommen, sondern dauert ja schließlich in ihren Anfängen schon ein Jahrhundert an. Während dieser Zeit hatte England die Weltmacht. Sicher waren sie dazu berufen. Heute sind sie es aber nicht mehr, weil sie sich nicht den Erfordernissen der Zeit anpassen, - Ich will aber nun nicht zu weitschweifig werden. Das Buch das Du mir geschickt hast, gibt ja viele Anregungen. Ich habe es noch nicht ganz gelesen, da ich es ziemlich langsam lese um es auch wirklich so zu verstehen, dass ich mir dann auch eine Kritik erlauben kann. Sobald ich das Buch ganz gelesen habe, schreibe ich noch dazu. Nun nur noch meine Voraussage für die Zukunft: Ich nehme an, dass hier im Osten in diesem Sommer nicht viel passieren wird. Dagegen erwarte ich im Westen eine Entlastung. Die Ankündigungen sind ja schon da. Und bisher war es ja immer so, dass unsere Revanchen recht reichlich ausgefallen sind. Ich glaube, dass es auch diesmal so sein wird. Ich hoffe es, im Interesse der Zivilbevölkerung die diese Art von Kriegführung ja bestimmt zu stark belastet. Die schlechte Stimmung kann ich bestimmt verstehen, nur ist die Stimmung in den Gebieten die am meisten betroffen sind, meist noch besser, als in den übrigen Gauen. Das liegt wahrscheinlich daran, dass die Bevölkerung im Westen bereits zu Soldaten geworden ist und alle zivilen Interessen abgelegt hat. Sie haben nichts mehr zu verlieren und denken nur noch an Rache. Hier ist bei einer westdeutschen Division eine Umfrage gehalten worden, wer sich freiwillig zu einem Einsatz gegen England meldet. Das Ergebnis war großartig, denn die Division hat sich fast geschlossen gemeldet, ohne dass ein Zwang ausgeübt wurde. Du kannst Dir also vorstellen, wie es bei einem Einsatz gegen England aussehen wird. Ich glaube jedenfalls, unter diesen Umständen können wir ganz beruhigt in die Zukunft sehen. Wenn es auch bis zu diesem Einsatz noch etwas lange dauern sollte, dafür sind die Vorbereitungen dann um so gründlicher, sodass der Erfolg wahrscheinlich ist. Ich habe Rückschläge vorausgesagt und sie sind auch gekommen. Und jetzt sage ich Erfolge voraus und glaube auch, dass sie kommen werden. Ehe Amerika nach Italien kommt sind wir in England. Sonst wird die Lage allerdings für uns bedrohlich. Aber in einem Krieg kann man nie für lange Zeit Vorhersagen Es können noch viele Umstände, sowohl zu unseren Gunsten, als auch zu unseren Ungunsten eintreten, die das Bild völlig verändern. -Ich wünsche nun nur, dass man in der Heimat auch dieser Ansicht ist und Keine Dummheiten macht, die wahrscheinlich schreckliche Folgen hätten. Überlege Dir nur, ob es nicht vielleicht gut ist, wenn alle auch einmal diese Meinung hören. Wenn einer Meckert, dann muss er auch Vorschläge machen, wie er es besser machen will. Revolution ohne Ziel ist jedenfalls Selbstmord. Wenn wir eben diesen Krieg nicht allein gewinnen können, dann müssen wir uns eben einen Verbündeten suchen.
Das wäre nun alles was ich zu diesem Thema zu schreiben hatte. Ich hoffe nun, dass Du mich richtig verstanden hast. Falls Dir aber meine Ansichten unverständlich sind, dann schimpfe nicht, sondern schreibe wieder. Ich werde dann so verständlich wie nur möglich antworten.
Neuigkeiten ist ja nun eigentlich zuviel gesagt. Es ist nämlich weiterhin hier so ruhig und friedlich, wie bisher. Ich habe mir nun nochmals eine große Arbeit gemacht und die ganze Schreibstube umorganisiert. Es ist jetzt alles so, wie ich es haben will. Der Erfolg der Sache ist der, daß ich in Zukunft nur noch 10 Minuten bis 2 Stunden (bei Hochbetrieb) täglich zu arbeiten habe. Ich muß mich wirklich nach einer anderen zusätzlichen Arbeit umsehen, denn sonst wird es mir doch noch zu langweilig. Da sein muß ich ja trotzdem, wenn ich auch nichts zu tun habe. Man hat aber meine Arbeit anerkannt und merkt, daß es jetzt alles tadellos klappt. Nur mein Personal arbeitet noch nicht zu meiner völligen Zufriedenheit. Sie sind noch nicht an die peinliche Ordnung gewöhnt, die unbedingt erforderlich ist, wenn man ein leichtes und schönes Arbeiten in einem Bürobetrieb haben will. Aber das wird schon noch werden. Eben bin ich unterbrochen worden, da die Post kam. Von Dir war das Päckchen mit dem Geburtstagskuchen dabei. Recht schönen Dank. Wir haben gleich gekostet. Der stellv. Spieß hat dazu Kakao gestiftet den wir mit frischer Vollmilch (eben gemolken) zubereitet haben. Es war ein Festessen und ich kann nun nicht einmal mehr das Mittagessen runterbringen, so satt bin ich. Der Kuchen schmeckt recht gut. Er ist auch etwas hart, aber gut zu essen. Durch die Zutaten schmeckt er viel leicht sogar etwas besser, als Dein Kuchen. Es ist sehr reichlich Zitronat dran, was sehr vorschmeckt. Sonst würde er vielleicht nach gar nichts schmecken. Ich bin jedenfalls schon zufrieden, wenn ich Bäckerkuchen bekomme. Es ist immer eine schöne Abwechslung. Da wir hier in der Schreibstube immer teilen, muß ich auch schon ab und zu mal etwas bieten. Ich komme bestimmt nicht zu kurz dabei, denn die Kameraden bekommen manchmal ganz leckere Sachen. Ein Kamerad bekam heute aus seinem Geschäft ein Päckchen mit vielen Tauschartikeln. Vor allem Kämme, die sehr gefragt sind und im Wert von 10,-RM stehen. Wir sind also für die nächste Zeit wieder gut versorgt und können immer Lebensmittel eintauschen. Es kommt allerdings nur Butter und Eier in Frage. Etwas anderes bekommt man ja auch nicht. Von einer benachbarten Einheit bekommen wir jetzt auch öfter Vollmilch. Sie weiden eine große Herde. Wir stehen uns mit den Leuten ganz gut und machen so allerhand Geschäfte miteinander. – Andere Kameraden halten sich Hühner und Karnickel und aus Liebhaberei Hunde. Wir haben jetzt 6 Hunde in der Kolonne, viel Hühner und Karnickel und eine zahme Elster. Wenn wir einmal abrücken, dann gibt es sicher ein großes Schlachten, denn wir können ja das ganze Viehzeug nicht mitschleppen. Allerdings habe ich auch schon Panzer auf dem Marsch gesehen, da waren hinten Hühnerstelle aufgebaut. Andere Einheiten schleppen wieder Rinder, Schafe, Ziegen und allerlei Kleintier mit. Der Krieg wird immer gemütlicher. Sonst ist von hier nichts neues zu berichten. Wir leben weiterhin so gemütlich, wie bisher. Von den Angriffen die jetzt häufiger in unserem Abschnitt stattfinden, hören wir nur immer den Geschützdonner. Gestern war auch wieder mal allerhand los. Direkt bei uns ist aber tiefster Frieden. Ja, das wäre nun alles für heute. 4 Päckchen-und 4 Luftpostmarken lege ich wieder bei. Du kannst sie nach Belieben verwenden. Hebe Dir aber vorsichtshalber eine Reserve auf. Von den Päckchenmarken kannst du wieder einige an Frau W. geben. Sie bietet Dir vielleicht auch etwas dafür. Und nun SChluß. Der Brief soll noch mit der Post mitgehen. Ich wünsche Euch allen nun weiterhin alles Gute, Fred recht gute Besserung und allen herzliche Grüße
Heinz
Ansicht des Briefes
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