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Brief (Transkript)

Heinz Sartorio an seine Schwester am 10.5.1942 (3.2002.0827)

 

d. 10.5.42



Liebe Elly,

ich habe Deinen Brief vom 1.05. am 8.5. erhalten und bin erstaunt, dass Du so schlecht meine Post erhältst. Ich wiederhole deshalb: Briefe von mir sind abgegangen am 4.-6.-12.-20.-23.-26.4. und 2. + 5.5. Ich verstehe gar nicht, dass meine Post so lange unterwegs ist, denn Deine Briefe kommen pünktlich nach 8-10 Tagen an. Ebenso die Päckchen. Bisher habe ich von Dir bzw. von Onkel Alex erhalten: 1. das große Osterpaket (nochmals recht vielen Dank. Es war wundervoll). Dann 2 x Puddingpulver, 1 x Keks und Drops und der Speck von Onkel Alex kam gestern an. Päckchen dauern oft sehr lange, manchmal geht es aber auch sehr schnell. Hoffentlich ist noch viel von Onkel Alex unterwegs, der ja die Marken dafür von mir bekommen hat. - Und nun erst mal zu dem wichtigsten Thema Verpflegung: die letzte Woche habe ich ganz gut gelebt. Im Soldatenheim hatte ich einige Zigarren bekommen und sofort einen schwunghaften Handel angefangen. Brot ist jetzt sehr knapp, dafür gibt es aber in großen Mengen Eier. 1 Zigarre + 1 Zigarette = 2 Eier. Ich hatte insgesamt 9 Eier. (Der Preis ist sehr gut) Gestern habe ich die letzten 2 mit dem Speck gebraten und das hat fabelhaft geschmeckt. Als Nachtisch 4 Apfelsinen (!) 2 gab es zur Portion, die anderen habe ich gegen 5 Zigaretten eingetauscht. (Insgesamt haben wir bisher 2 Tafeln Schokolade, 6 Apfelsinen + 1/8 l Rum bekommen.) Das war also ein guter Tag. Allerdings habe ich kein Mittag gegessen, denn es gar warmes Sauerkraut (Sauersauersauerkraut) ohne Beilage. Ungenießbar. Die es gegessen haben, mussten mit schweren Magenschmerzen büßen. Sonst hat sich an der Verpflegung nicht viel geändert. Ab + zu bekommen wir auch zur Portion Eier, die zusätzlich von der Kolonne auf dem Dorf eingehandelt werden. Tauschartikel sind Tabakwaren, Zucker, Sacharin und das Talmischmuck. Wenn möglich, schicke mir doch bitte echt aussehende Ketten und Ringe von Epa. Im Vertiko rechts oben liegen noch alte 3-RM-Uhren, die nicht mehr gehen. Vielleicht kann man sie reparieren, sodass sie wenigstens noch 1 Std. gehen. Man bekommt hier dafür 40,- bis 80,- RM. oder entsprechend Lebensmittel. Derartige Handel sind üblich, wie bei den Negern. Allerdings muss man aufs Dorf gehen. Vielleicht habe ich mal Gelegenheit. Jetzt ist nun meine Zusatzverpflegung alle und ich bin auf das Mitleid eines Kameraden angewiesen, mit dem ich auch immer geteilt hatte. -
Heute ist Sonntag und die Glocken läuten. Wie Bolle! 4 kurze, schnelle Schläge. Er zwar g a a a. Schon 1/4 Stunde lang. Manchmal verhaspelt sich der Klöckner und das gibt dann eine angenehme Abwechslung. - Nett sind auch die Beerdigungen. Erst kommt der Sargdeckel, dann der offene Sarg in dem die Leiche hin und her schaukelt, dann der Pope in abenteuerlich grünem Talar und dann noch 5-6 Leidtragende, die durch den Dreck stolpern. Gestern sah ich einen Krankentransport. 1 Panjewagen, auf dem auf Stroh und in Decken der Kranke lag und stöhnend das Stolpern des Wagens auf dem Kopfsteinpflaster ertrug. Russland! Nach viel Kälte, Regen und Hagel ist heute nach langer Zeit wieder mal Sonnenschein und wunderbares Wetter, dass mich so recht an schöne Tage bei Euch erinnert. Halt! Post es gekommen + Mittagessen + Abendportion. 1 Fleischklops + Quetschkartoffeln (gibt es nur sonntags). 1/3 Brot, 2 Eier, 5 Zigaretten + 1 Rolle Drops. 3 Zigaretten habe ich sofort gegen ein Ei eingetauscht. Zigaretten sind nämlich eben mit der Post bekommen. 25 Laurens + 10 K.C (R.C.?). Hurra. Dazu Dein Brief vom 20.4.42 (!). Das ist das 1 x, dass Deine Post so spät kommt. Ein Klebezettel war auf dem Brief \" Briefsammelstelle Berlin \". War aber nicht geöffnet. Das ist auch noch nie vorgekommen. - Zunächst will ich Dir also auf den Brief antworten, für den ich auch recht schön danke. Also: auf die Neuigkeiten betr. Papa, habe ich ja schon ausführlich geantwortet. Ich habe übrigens Papa geschrieben, dass ich seinen Entschluss richtig finde. Zu seiner Beruhigung u. für ihn ist es ja auch tatsächlich gut. Nur um Onkel Alex tut es mir leid. Er wird sich sehr einsam fühlen schreibt mir doch mal, wie er sich mit der Tatsache abgefunden hat. In der Wohnungsangelegenheit bin ich mir noch nicht im klaren. Vielleicht ist es doch besser, wenn ich zu Onkel Alex ziehe + mich als Mieter eintragen lassen. Dann habe ich wenigstens meine Küche, was ja in der Lenaustr. sehr fraglich ist. Ich schreibe dazu noch einmal. Will mir das erst noch mal überlegen. Eilt auch nicht so. - Übrigens habe ich sehr gelacht. Ich habe nicht die Absicht nach Ffm. zu ziehen. Das geht wahrscheinlich schon aus beruflichen Gründen nicht. - Ist die Ostland-Angelegenheiten nun schon klar? Nach Frankreich würde ich Dir schon raten, wenn es befristet ist und Du dann jederzeit zurück kannst. Allerdings würdest Du von dem Ton, der auf solchen Dienststellen herrscht, auch nicht gerade begeistert sein. Die Erfahrung kann aber nichts schaden + Du bist der von der ACG her auch nicht gerade verwöhnt. Nur nach Russland oder Polen lass Dich nicht verladen. Auch nicht für Stunden + wenn man Dir Millionen bietet. Du würdest es ewig bereuen! - Mit der Artillerie haben wir beim Vormarsch nichts zu tun. Gefährlich sind nur Tieffliegerangriffe. Aber 1 Toter während des ganzen Einsatzes in der Kolonne ist nicht viel. Das kann einem im Westen bei Fliegerangriffen auch passieren. Da scheint sich überhaupt allerhand zu tun. Bekomme manchmal recht unangenehme Nachrichten. Fest steht für mich aber, dass dieses Jahr, das entscheidende für den Krieg ist. Wenn es nur erst vorbei wär !
Und nun noch ein kurzer Stimmungsbericht: Ich habe Wache 2-3 x in der Woche. Es ist zum Verblöden. Man steht auf Posten + döst, denn irgendwie beschäftigen kann man sich nicht, da man ständig auf den \"inneren Feind\" aufpassen muss. Und der ist schlimmer als der Russe. Jetzt hat er es fertig gebracht, die Wachen so garnisonsmässig aufzurichten, dass man sie nur noch als Strafwachen auffassen kann. 3 - 5 Stunden Schlaf d.h. Ruhe in der Nacht. Am Tage darf nicht geruht werden, nicht abgeschnallt werden, das [...] nicht verlassen werden etc. Dafür dürfen wir Holz hauen, ausfegen, aufräumen etc. Wenn man von Wache kommt, ist man so müde, dass man nicht einmal mehr ins Soldatenheim gehen kann, sondern nur noch schlafen will. Die Möglichkeit, tagsüber mal ins Soldatenheim zugehen um Tabakwaren zu besorgen, fällt weg, da wir ständig bewacht werden. Und abends gibt es nichts. Auch keine Marmeladenstullen. Man ist eben ständig bemüht, uns jede Freude zunehmen, bzw. auch diese Möglichkeiten, uns Zusatzverpflegung zu beschaffen. Ob das die Stimmung der Truppe hebt bzw. auch ihre Einsatzkraft? Auch Tauschhandel mit den Russen ist verboten und man riskiert oft für eine Scheibe Brot den Kopf! (Im wahren Sinne des Wortes und nicht übertrieben!) Die Arbeitseinteilung ist prima. Gestern haben wir zu 17 Mann einen Anhänger + 4 Flohsäcke innerhalb von 5 Stunden gewaschen!! Die Arbeitszeit ist aber um 1 Std. verlängert worden. Es ist zum Kotzen. Da bin ich doch zu sehr an Arbeit gewöhnt, allerdings nur an geistige und dazu hat man fast keine Gelegenheit. Im Kino + Theater war ich schon ewig nicht. Zwischen 7 + 8 Uhr gehe ich zu Bett und lese dann noch 1 Std. Das ist die schönste Zeit des Tages. (Außer den Mahlzeiten.) Wir haben jetzt einige hundert Bücher, die z.T. sehr gut sind. Hoffentlich kann ich noch recht viel davon lesen. Na, über das Militärleben habe ich ja schon genug erzählt + Ihr könnt Euch evtl. ein blasses Bild davon machen, wie es einem dabei zu Mute ist. Man kommt sich eben vor, wie ein ausgeblasenes Ei. - Nun genug für heute. Nochmals recht schön danke für die viele Post, recht herzlichen Gruß auch an Fred und alles Gute
Heinz

Dass es keinen Urlaub gibt, habe ich vor schon geschrieben.
Die Briefe braucht ihr nicht mehr auszutauschen da ich auch an Papa + Onkel Alex ständig schreibe. Unserem lieben Schwesterlein schreibe ich natürlich nicht.

 

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