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Brief (Transkript)

Friedrich Spemann an seine Ehefrau am 14.09.1939 (3.2002.7135)

 

14. 9. 39



Mein Liebstes.

Nachdem nun eben ein Brief weg ist und wir in Ruhe liegen, will ich einmal versuchen, den ersten Satz Briefe zu beantworten und einiges zu fragen. Vor allem: wie geht es mit dem Gehalt? Hast Du es voll bekommen? Hast Du gestern wohl an den Wechsel von Hanomag gedacht? Oder ist der Wagen geholt worden? Ich habe Dir vorhin 100 RM geschickt, die ich übrig hatte. 100 habe ich noch hier. Mit denen kann ich doch nicht viel machen. Hier in der Nähe der Stadt kann man wenigstens Tomaten, Pflaumen und Birnen bekommen. Aber mitnehmen kann man doch wieder nichts. - C'est la guerre, mal Mangel, mal Überfluß, mal Hetzjagd, dann wieder Stunden lange Zeit. Wir lagern neben der ersten Teerstraße, die ich hier erlebte. Ein Riesenverkehr, dazu mehrere Flugplätze in der Nähe mit hundert und mehr Flugzeugen. Überall wird wieder aufgebaut. Brücken repariert, Leitungen gelegt, Straßen geflickt. Vorhin mußte ich fort mit Meldungen, da sah ich so allerhand.
Nun zu Deinen Fragen: 1) Das Glas schickte ich zurück, weil mir eines zusteht, das ebenso gut ist (Zeiß) und wozu dieses Wertobjekt gefährden? 2) der Briefwechsel Heyder-Wagner klappt. Heyder ist rührend zu mir, so freundlich kameradschaftlich und persönlich. R ist ein alter Junggeselle, hat viel bäurisches und entsetzlich umständlich, aber ich komme gut aus mit ihm. - Denk, an Walter Bosses Haus fuhr ich bei Nacht vorbei beim Ausmarsch. Aber es regte sich natürlich nichts nachts um 2 Uhr! 3) wegen Dorles Mandeln sprach ich mit unserem Arzt, einem praktischen Arzt. Der meinte, daß sich das bei sonstiger Heilung ganz plötzlich gäbe, daß die Bakterien weg blieben. Es ist ärgerlich und langweilig. Vater erkannte in seinem Brief ihre Haltung sehr an, wörtlich: Sie hat es ja so schwer, sie ist aber auch so tapfer. 4) Unsere Leute sind zum Teil Hessen, zum Teil Südthüringer. Nicht ganz einfach zu behandeln, die Alten viel besser als die Jungen. In vielem ohne jede Überlegung, ich habe ihnen wiederholt erklärt, sie seien entweder verrückt oder Kinder - das letzte stimmt wohl. So restlos vertrauensselig der Bevölkerung und dem Feind gegenüber. Man muß hinter allem her sein. So hängt sehr viel Kleinkram an den Offizieren. Meine Tätigkeit wechselt ständig, auf dem Marsch helfe ich dem Hauptmann beim Zusammenhalten der Kolonne, Liegengebliebene müssen geholt werden, denn man weiß ja nie, was dem Einzelnen passieren kann. Der Truppe passiert nicht viel, weil sie da Angst haben, wenn so eine entschlossene kampfbereite Truppe durchfährt. Auf meine Meßstellen nehme ich genug Leute zur Verteidigung mit. Wir bilden dann einen „Igel" nach allen Seiten. Das Wetter war bisher heiß und trocken. Eben ging das erste Gewitter schön abkühlend nieder. In unseren Fahrzeugen saßen wir trocken. Was Du mir vor allem schicken kannst: Zigaretten und Kolaschokolade, eventuell auch Kola-Dallmann* gegen das Einschlafen. Alles geht gut in Doppelbrief, solange Päckchen nicht frei sind. Die Feldpostversorgung ist bei unsren schnellen Bewegungen schwierig. Hoffentlich kommt heute wieder was. 6.) Daß ich mit meinen beiden EK zufrieden bin, kannst Du glauben. Ich überlasse das den jungen Aktiven. Ich selbst tue eben, was befohlen wird. Polnische Flieger haben wir bis jetzt 1/2 Dutzend gesehen, vor allem Aufklärer. Bomben gab's noch keine. Auch Artilleriefeuer gab's erst einmal vorn. Bis jetzt war nur Panzerwagen und Infanteriekampf. Wir selbst haben auch Infanterieeinteilung für die Verteidigung, wenn es nötig sein sollte und wir nicht anders eingesetzt sind. - An Abwechslung fehlt es nicht, Feldwache schieben u.s.w. zum Schutz des Biwaks oder der Ortsunterkunft. Aber bald wird ja dieses Gebiet hier gesäubert sein, dann hört das von selber auf, vorläufig wird noch eher zu viel als zu wenig geschossen, aus reiner Krabbeligkeit, so wie die kleinen Buben im Keller singen! -
So, das sind im Wesentlichen Deine Fragen. Die Bildchen stecken in meiner Brieftasche. Von Brita und Bärbel wonnig, beim Hansel schade, daß er so traurig aussieht und offenbar was im Mund hat. Die Bilder mit Bärbel sind meistens die besten von ihm. - Gloßner sitzt jetzt neben mir - immer fröhlich, ein netter Kerl. Er ist V.W., hat gestern früh die Feuertaufe erhalten mit seinen Leuten, aber ohne Schaden. - Gestern Nachmittag kamen wir hierher. Der Abteilungsstab ist wenig erfreulich. Der Adjutant hatte den Platz ausgesucht, einen wasserlosen Heideplatz. So zog ich für meine Männer los und fand auch ein Flüßchen, in dem wir alle gemeinsam badeten und Wäsche wuschen. Jetzt ist eine Garnitur wieder „sauber" und liegt zum Wechseln bereit. - So frisch gewaschen schläft man ganz anders, als verschwitzt. Meinen Schlafanzug habe ich allerdings endgültig im Koffer. Stiefel ausziehen ist schon eine besondere Wohltat oder lang liegen. Im Wagen sitzend ist auf die Dauer nichts. Aber hier haben wir kein Stroh und das war im Zelt bei Ries etwas kalt. Am besten ging's neulich, als es heiß war, da lag ich quer auf dem Rücksitz und habe die Beine zum Fenster rausgehängt! So versucht man's halt auf alle Weise. Am besten schläft man tags bei den kurzen Pausen neben dem Wagen. Dann ist man so müde, daß man tief schläft.
Dem Chef und den Kollegen sag' viele Grüße. Über die anderen ärgere Dich nicht! - Sei stolz auf Deinen Mann und laß' den anderen ihre Feigheit. - Mit dieser Form von „Bürgern" haben wir nie viel zu tun gehabt, gelt? -
Im übrigen haben wir im ganzen Gelände viel Beute gemacht. Der Gegner hat alles liegen und stehen gelassen, Mäntel, Telefon, Geschütze - die Abteilung bekommt 5000 Zigaretten aus Beute! - Kleider sind gut, die Waffen zum Teil deutsche von Versailles, M.G.s, Karabiner, Gewehre, Geschütze mäßig. Feldküchen kläglich. Wenn Aussicht auf Heimkehr ist, will ich sehen, daß ich einen polnischen Stahlhelm erwische. - Aber wie lange wird das noch brauchen? Wir wissen über das Weitere gar nichts, selbst der General nicht, wo ich heute früh war. - Solche Meldefahrten wie heute früh sind ganz schön. Wir hatten kein Brot mehr und kamen bei der Feldbäckerei vorbei, da habe ich schnell 2 Laibe mitgenommen. - Ein ganzes Zelt voll Brot, viele 100 duftende Laibe! - Dann kamen 12 Bäcker an mit einem zusammengewickelten Zelt. Die Bäcker mit hohen weißen Mützen, das sah sehr lustig aus. Grüß mir die Grete und die Kinder. Ihnen extra schreiben kann ich nicht gut. - Es ist so schön, daß Grete bei Dir ist. Ich bin ihr sehr dankbar dafür. So bist Du weder so allein und kannst mit jemandem alles besprechen, noch bist Du so festgebunden. Dem Hansel danke ich für seine köstlichen Briefe und der Brita auch. Das Mäuschen scheint ja ein großes Ereignis gewesen zu sein! Daß er so schön mit den Soldaten spielt, ist richtig. Dann soll er einen Feind in eine Stadt und außen herum setzen und seine Infanterie von der einen Seite angreifen lassen und die Autos fahren in einem großen Bogen heimlich außen herum bei Nacht und Nebel und setzt sich dem Feind hinten in den Rücken, daß er nicht zurück kann. Die bauen alle Dörfer mit Verhau zu und schießen ihm in den Rücken. Da ist dann Vater dabei.
Nun Schluß für heute. Ich will Gerdi noch einen Geburtstagsgruß schreiben. Rechtzeitig bekommen wird sie es ja nicht. Aber immerhin ein Gruß. Für jetzt Schluß! - Liebste, gelt Du bist tapfer. Unsere Verluste sind bis jetzt sehr gering, Beobachtungs-Abteilung gar keine.
Einen lieben lieben Kuß.
Dein Mann

 

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