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Brief (Transkript)

Elisabeth Spemann an ihren Ehemann am 16.09.1939 (3.2002.7135)

 

Nr. 20 Samstag Abend



Geliebter Du,
die 3 Lütten liegen frisch gebadet im Bett, ein Satz Pflaumen steht fertig gekocht unten, das Haus ist sauber - nur ich bin traurig und verlassen. Ach, Liebster, was ist es doch so schwer - allein zu sein! Nicht allein ohne fremde Menschen, sondern allein ohne Dich. -3 lange Wochen ist es nun schon her seit Du fort bist und wie lange noch? Wann nimmt Polen ein Ende? Dann wäre eine Hoffnung, daß wir Dich sähen - - - Aber dann England und Frankreich!
Heute das Wetter hat mich ganz minus gestimmt, trüb, regnerisch und dabei immer der Gedanke, daß Du dabei draußen bist und in all dem Dreck und Kühle und Nässe! Mein geliebtes Leben - ich geb' alles her und will ganz schlicht und still sein - wenn wir nur erst alle - Du und Dorle - wieder beisammen sind! - Ob wohl morgen Post kommt? Ich habe mir nun den Stoff in Klappholttal bestellt, muß einen Bezugschein hinschicken und bekomme auch wohl einen, denn mein grauer Mantel ist in dem Sinn ja kein Wintermantel! Gut, daß ich für Dich noch die 2 schönen Stoffe liegen habe! -
Wie machen wir es nun mit Dorle? Wenn ihre Abstriche negativ sind, kann sie in 2 - 3 Wochen kommen! Ach Liebster - der Traum war zu schön, um wahr zu werden: wir beide allein durch Deutschland im Auto, um Dorle zu holen! - Aber alles das mag sein, wie es will, wenn nur erst Ihr wiederkommt!
Unser Flüchtling Sofie badet, nachdem sie Diele und Küche gewischt und gefettet und fertig gemacht hat. Sie ist ein flinkes, kleines Ding! Ich sitze in der Diele, die am besten verdunkelt ist. Sonst ist nur noch das Bad und Kinderzimmer verdunkelt! Alles andere lohnt nicht! Denn ich sitze abends nicht viel auf allein. Nur zum Briefe schreiben! -
Letzte Nacht sind englische Flieger bei Trier angeflogen, aber zurückgeschlagen worden! Mühlheim/Ruhr hätte Sonntag Nachmittag und Sonntag und Montag und Dienstag Nacht Angriffe gehabt nach einem Brief von Billings Ruth - deren Eltern dort wohnen. Aber nur von den Sprengstücken der Flak sind neugierige Leute verletzt worden. Der Flieger, der hier die Flugzettel geworfen und trotz dicker Nebeldecke richtig nach Kassel gekommen, ist ein ehemaliger Kasseläner: Rapp-Katzenstein, ehemaliger Mitarbeiter von Fieseler und forscher Kunstflieger - Jude! Bei dem Abschießen in Thüringen haben sie ihn dann bekommen! - Weißt Du, mein Herz, immer wieder wird gemeldet, daß der Bandenkrieg so viel Opfer fordert! Ich hoffe, Du bist nicht umsonst der gute Schütze! Schütze das Leben und die Zukunft Deiner Kinder in Dir, Du - Gott helfe Dir, mein geliebtes Leben! Und jetzt hoffe ich, daß Du unter seinem Schutz die Nacht verbringst.
Abends ½ 10 h
Nun habe ich eben noch die Kleine zu Leichers gebracht - er lag auf der Couch, verbittert und verzweifelt; er ist hier im Landesschützenbfataillon als Res. Offiz. und der Batterieführer ist ein Hptm. Krieger (von Kali Wintershall Direktor), der ein seltsamer Mann sein muß! Er tobt und schreit, daß die ganze Kaserne zusammen fällt und einer, der schon mit den Nerven kaputt war, ist schon zusammengeklappt. Ich habe L. gesagt, er solle sich beschweren. Er meint, das nütze nichts, er wolle lieber an die Front! Pröbsting ist in Polen zur Besetzung! - Nun hatten sie den Eberhard Leicher, der ein netter Kerl ist, so zusammen geschlagen, daß er ein unterlaufenes Auge hat! Und wer? Sein Führer von der H.J. und noch einer, im Dunklen über ihn! Diese Jungs sind eine rüde Gesellschaft. Als sie mal alle Mädels hier durch den Kakao gezogen, hatte Eberhard L. gesagt bei Dorle, „die geht doch" - und wenn Dorle nun zu sehen war, so hieß es: „Eberhard, wer kommt da!?" - Soweit Frau Leicher! Daß das so war bis Ostern, hat mir Brita auch erzählt! - Aber das sind Dinge, die Dich lächeln lassen - und das ist mir lieb, dann bist Du mal froh! - Nun aber genug für heut Abend - Geliebter! Morgen mehr!

Sonntag 17. 9. 39
seit 5 ½ h liege ich wach - und rede mit Dir und bete zum Herrgott! Jetzt kann ich grade etwas sehen und möchte Dir da schreiben. Auf dem Tischchen bei unseren Betten liegt immer die Taschenlampe, mein Schreibblock und Füller und Deine Briefe und Bild! - Und so kann ich immer - auch in der Nacht, wenn ich wach liege - Deine Zeilen lesen. -Du schreibst gar nichts von Deinem Herzen! Wie geht es damit? Und Erkältung? Habt Ihr Ahnung, wo Eydam und seine Leute sind? - Wenn ich nur einmal einen Brief bekäme, wo Du von mir Post hättest! Wenn Ihr da irgendwo, z.B. auf der Wiese mit Flüßchen - lagert, ist dann die Art. 29 auch dabei, d.h. vor Euch irgendwo? Denn Ihr habt doch gar keine Maschinengewehre oder doch? Mit Euren Pistolen könnt Ihr die Leute doch nicht in Schach halten! -
10 h Liebster, eben kommt durchs Radio, daß Russland zur Wahrung der Interessen der Weißrussen und Ukrainer in Polen einmarschiert! Gebe Gott, daß es noch nicht zu spät ist, und daß das noch vielen Deutschen das Leben rettet! - Aber es ist ja eine Hoffnung, daß es in Polen schneller zu Ende ist! - Und nun habe ich eben an Gerdi ein Foto von Dir (mit Mütze) geschickt, ich finde sie ganz hervorragend gut und sehe sie jeden Tag X-mal an - und das Bröschle aus Amrum! - Nun will ich alle Post erledigen und dann Wäsche legen und ordnen etc. -Gott behüte Dich, mein Herz!
In Liebe Deine L.

 

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