Nach Zeitraum suchen

von 
bis 
SUCHE ZEITRAUM
Bestandskatalog PDF

Brief (Transkript)

Friedrich Spemann an seine Ehefrau am 26.09.1939 (3.2002.7135)

 

Auf Meßstelle vor Modlin 26.9.39



Mein lieber Spatz!

Oder darf ich Dich in diesen ernsten Tagen nicht so nennen? Du siehst höchstens daraus, daß es mir sehr gut geht, vor allem bei Tage. Die Nächte sind nicht so schön, kalt, unbequem, steif. Aber die gehen auch herum und tags schlafe ich dann noch einmal nach. Ich sitze wieder vor dem Instrument, das ständig einer im Auge haben muß. Heute früh ging ein Brief ab, dies ist also heute schon Nr. 2. Es ist ½ 6 und selbst hier schon so frisch, daß man den Atem im Zelt sieht, allerdings ist es noch offen. -
Zunächst kurz von hier: der Hauptmann, der neben uns kampierenden Jägerkompanie - Lieze aus dem Kohlenpütt* stammend - hat mich zum Essen eingeladen, so lange sie da liegen. Sehr nett. Er hat manche Ähnlichkeit mit Ernst Rieck, wird wohl 35 sein. Offenbar mag er mich auch, denn nötig gehabt hätte er das nicht.
Gestern ist dort ein Leutnant von Grothe gefallen beim II. Bataillon. Er hatte einen feinen Betrieb mit seinen Leuten. Heute Sachen in Schuß bringen und morgen wird exerziert. Gestern kam eine Kompanie des III. Bataillons zu Fuß hier vorbei - sehr müde offenbar - abgelöst vorn, geführt von einem Reserve-Hauptmann. Lehrer Wagner aus Harleshausen oder Kirchditmold. Da bei der Infanterie die Feldpost so schlecht klappt, daß ich heute schon Vermittlung gespielt habe, kannst Du vielleicht da etwas übermitteln über Sandrock oder Heide. Ich wußte das nicht, als er vorbei kam, sonst hätte ich es ihm angeboten. Die sind jetzt in Ruhe, also außer Gefahr, da es keine Flieger gibt.
Wie das mit Modlin ist, weiß ich nicht. Die schwersten Batterien scheinen nicht durch gekommen zu sein. Jedenfalls habe ich nichts gehört und heute Nachmittag wurden 3 große Sturzbomberangriffe auf Modlin durchgeführt. Auch wenn wir das Ziel infolge Wald nicht sehen können, war der Anblick fantastisch, riesige Rauchwolken und darüber kreisend 1 Dutzend der schnellen, eleganten Vögel, immer wieder herunterstoßend. Die da drin halten sich tapfer. Der Angriff erfolgt von Norden. Wir riegeln hier nur ab. (Leibstandarte u.a.) Das Feuer drüben ist wesentlich stiller geworden, aber sie schießen noch. - Es soll eine Offiziersschule dort sein. Außerdem machen sie die Soldaten vor dem Angriff besoffen. Ich fragte nach „Öttchen\". Er wäre sehr gut, aber gesundheitlich nicht auf der Höhe und in diesen Tagen vollkommen weiß geworden. Die Hauptsache mache der Adjutant. Das ist so das neuste von hier. Heute kam als einziges Dein Schokopäckchen mit Brief Nr. 22 vom 18.9. in dem Du zum ersten Mal Antwort hast. - So lange wir hier sind - nun schon seit dem 21. wird die Post klappen, dann wird\'s wohl wieder eine Pause geben. Sowie wir etwa zurück gezogen werden nach Deutschland rufe ich an. Aber bestimmt ist das nicht. Man sagt, wir sollen erst wieder nach Süden. - Die Quittung des Geldes ist vom 14.9. - so mußt Du es inzwischen auch haben. - Eben feuern unsere Batterien Antwort hinüber. -
Dummerle, wer wird sich des warmen Bettes schämen! Du hast dafür anderes zu leisten. - Du mußt Dich nicht so aufregen, wenn ich eingesetzt werde. Auf Meßstelle bin ich am allersichersten, weil sie kein Ziel bietet und von allen markanten Punkten wegen der Geräusche abgelegt werden muß. Und gegen Überfälle passen wir schon auf. Meine Pistole steckt mehr im Stiefelschaft als sonst wo - so brauche ich auch nicht immer umgeschnallt zu haben. Daß Eckhardt da war, ist nett. Lisel, faß' es als Stolz und Ehre auf, daß der Deine dabei ist! Auch wenn ich nicht mit Auszeichnungen heimkomme. Das haben die Infanteristen mehr verdient. Daß Du den Klappoltaler Mantel nimmst, ist ja mein einziges Geburtstagsgeschenk an Dich. Grete wollte sich beteiligen. Außerdem schicke ich baldmöglichst wieder Geld. Denn hier ist keine Verwendung dafür und ich behalte immer etwas in Reserve. - Was hat denn Frau Wagner-Heyder mit Heyders Schwester zu tun? Wohnen die schon zusammen? Heyder habe ich lange nicht gesehen. Er ist weiter zurück. Wegen Schokolade mach Dir keinen Kummer. Wir bekommen hier vollkommen genug und braten Kartoffeln im Feuer oder sonst was, wenn es einmal zu spät kommt oder die Brüder mit dem Brot geaast haben, weil sie es sich auf unserer „organiserten" Herdplatte rösten. Jetzt ist es ½ 7 und ganz dunkel schon. Um 7 Uhr lasse ich meine Wache aufziehen. Gestern war Parole der Infanterie „Harleshausen"! Von der Abteilung erzähle ich Dir bei Gelegenheit. Man nimmt aus persönlichem Ehrgeiz uns Reservisten nicht voll. Kommandeur, ehemals Polizei, ist brutal und ffkgf. [gemeint ist wohl: feige]. Sowie Schluß ist, geht eine Reihe von Bfschwfrdfn [gemeint ist wohl: Beschwerden] gegen ihn ab wegen ungehöriger Behandlung des Offizierskorps.
Der Vergleich zu dem Infanterie-Hauptmann ist überhaupt nicht zu führen. Neulich tobte er wieder bei einer Lappalie im Gelände herum, weil die Wagen nicht nach seinem Geschmack auffuhren, da hat alles - auch fremde Truppen - gelacht. - Die Gefahr am 13. war keineswegs groß, Liebling. Ich habe kein Feuer bekommen und nichts ist passiert. Aber Dein Ahnungsvermögen ist ja unglaublich. Gott sei Dank, daß ich kein Infanterist bin, Du lebtest nicht mehr! -
Eben bringen sie mir einen Becher Kaffee ins Zelt, der am offenen Feuer heiß gemacht wurde - daher der Fingerabdruck. Überhaupt Reinlichkeit! - Na, ich werde auch wieder sauber werden! -Mit den Taschentüchern ist es schon schwieriger. Das Wasser hier ist sehr weich, so daß man die Seife kaum heraus bekommt. Im Süden, als wir durch die Lysa Gora-Ausläufer marschierten (sehr eigenartig!) war es hart und Kalkboden. Nun für heute Schluß. Ich gehe eben hinüber zur Infanterie und wache dann hier bis 10 Uhr. Morgen mehr. In Liebe und Treue Dein Mann

27. 9. Morgens ½ 7 Uhr
Guten Morgen, lieber Spatz! Ich habe ausnahmsweise gut geschlafen. Gestern Abend bis 8 Uhr bei Hptm. Lieze, der eben mit seiner ganzen Kompanie Laufschritt machend hier vorbeikam (tiefster Frieden!) am Lagerfeuer, dann bis ½ 12 Wache, weil wir in unserem Sender eine Deutsche Welle mit herrlichem Haydn und Mozart Konzert ausgemacht hatten. Und darauf gut geschlafen. Dazwischen hinein nur hie und da ein Kanonenschuß, die drüben waren sehr ruhig heute Nacht. Das Wetter bezieht sich, es tröpfelt etwas. Der Sturm auf M. ist bis zum Eintreffen der schweren Kaliber verschoben. Wir sollen herausgezogen werden, nachdem wir 20 Feuerstellungen erkundet haben. - Aber bestimmt ist nichts. - Ob\'s Euch gut geht und Ihr regelmäßig Post bekommt? Wenn wir marschieren, wird\'s wieder ein paar Tage Pause geben, wenn ich nicht irgend wie schmuggeln kann. - An unserem Feuer sitzt eine alte Polenfrau mit bloßen Füßen und wärmt sich. - Für heute leb wohl, Geliebte. Heute Nachmittag schreibe ich wieder.
In Liebe Dein Mann

 

top