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Brief (Transkript)

Anneliese H. aus Behrenhoff an Paula M. nach Hamburg am 18.08.1946

 

Behrenhoff, d. 18.8.1946

Mein liebstes, süsses, einziges Päulilein!
Sooo lange hat Dir Deine böse „Strühn“ nun nicht geschrieben. Ich habe auch darum schon keine ruhige Minute mehr. Und wieviel habe ich Dir doch zu berichten und zu beantworten. Da reicht ja der Sonntagnachmittag heute gar nicht aus. Papa und Mama schlafen nebenan und Kurtl macht hier auf der Coutsch ein Schnarchkonzert. Kurtl hat ein paar Tage mit Hals- und Zahnschmerzen gelegen. Erkältung. Vorigen Sonnabend/Sonntag waren wir beide in Cosenow. Ach Paulelein, bei all meinen unsagbar reichen Glück habe ich doch oft solch grosses Heimweh nach meiner süssen, kleinen Mutti. Es gibt doch nun mal nur eine Mutti auf der ganzen Welt und die ist durch nichts zu ersetzen. Ich hoffe ja so sehr in Greifswald ins Fernamt zu kommen und dann hole ich Mutti ja zu mir. Wer weiss, wie lange ich sie noch habe. Meine Musch gefällt mir gar nicht. Dauernd die Geschwüre und dann so mager. Sie schuftet ja zu viel. Du glaubst gar nicht, in was für einer Lage ich mich befinde. Wie sehnlich möchte ich bei Mutti sein und ihr die schwere Arbeit abnehmen und hier ist mein Kurtl der mich so fest hält. Weinen möchte ich manchmal. Mich einmal richtig ausweinen. Ich möchte meinen Kopf in Deinen Schoss legen und mir alles vom Herzen weinen. Päulelein, wie brauche ich Dich, Mutti und Väti jetzt. Aber keiner ist bei mir. Alle habt Ihr mich allein gelassen. Aber nächsten Sonntag muss ich wieder zu Mutti. Ich halte es sonst nicht aus. Ich bin doch noch ein rechtes Kind, das ohne Mutti sterben will. Aber ich kann doch nichts dafür. Wenn doch mein Väti endlich wiederkäme. Ach, Päule, ich bin heute in einer scheusslichen Verfassung. Aber lass nur, das geht auch mal wieder vorüber. Nun lass Dir zunächst einmal mit tausend lieben Küsschen für Deine inzwischen eingetrudelten Briefe und Päckchen so recht von Herzen danken. Was bringen sie alle für Glückseligkeit und Freude. Die Schlüpfer und Schürzen wurden von uns beiden mit Indianergeheul begrüsst. Ich war gerade in Cosenow. Wir haben uns beide übrigens herzlich amüsiert, dass Du mir immer noch die kleineren Schlüpfer zu diktierst. Das Blatt hat sich darin erheblich gewendet. Die weissen Schlüpfer passen mir man noch gerade. Du solltest mich bloss mal sehen. Kurtl zieht mich jeden Tag mit meiner Fülle auf. Na, wer weiss wann ich das mal wieder zusetzen muss. Vorläufig esse ich noch. Dass Du uns so viel Noten gekauft hast ist ja goldig von Dir. Wir müssen ja jetzt auch ganz von vorn anfangen. Und mein Päulelein legt gleich den Grundstein zum Anfang. Wenn ich Dich und die drei E’s nicht hätte! Dann könnten Mutti und ich glatt einpacken. Möchte doch bald die Zeit kommen, wo es für uns ein Wiedersehen gibt. Wie ist es jetzt nur alles schwer. Ich hab’ mir das Leben nie so bitter und schwer vorgestellt. Was hatte ich nur für ein liebes, schönes Elternhaus. Und das soll nun alles vorbei sein?!......Dass ich in meinem Brief ganz vergessen habe mich über die Holländer Klumpen zu äussern ist ja gar nicht wieder gut zu machen. Armer Onkel Erich! Aber ich werde es sofort nachholen. Also sie kamen beide schön zusammen anmarschiert. Ich habe sie selbst von der Post geholt. Unterwegs habe ich sie schon ausgepackt. Anprobiert habe ich sie aber erst auf dem Hof. Mutti zog sie mir gleich aus und sich an. Da war ich sie los, denn ihr passen sie besser. „Lass Dir man von Tante Paula andere schicken!“ sagte sie. So, Tante Paula und nun schick’ man. In den Holzpantoffeln verlier ich immer das Gleichgewicht wenn ich die Kuh im Regen aus der Koppel holen muss. Neulich habe ich die Tüffel einfach stehen lassen und bin barfuss weitergelaufen. Illustriert Euch das und dann muss Onkel Erich noch nachträglich lachen. Schade, dass ich es nicht sehen kann. Ich möchte ihn so gerne mal wieder lachen sehen. Vielleicht wird mir dann etwas fröhlicher ums Herz. Aber ich schicke Onkel Erich sofort ein Telegramm, wenn ich das erste Mal mit den Klumpen auf eine Sandbank auflaufe und Strandgut werde. Dann kann er mich in den Hamburger Hafen abschleppen lassen und wir dinieren dann mal kurz auf St. Pauli. „Schlösser die im Vollmond liegen! Na, lass nur, einmal kommt auch das wieder. Also weiter. Jetzt muss ich erst mal tief Luft holen. Und nun für Erika speciell. Liebe, liebe Erika, was hast Du nur für ein goldenes, mitfühlendes Herz, dass Du mir solch ein wundervolles Kleid schenken willst. Als ich neulich in Cosenow war zeigte Mutti es mir gleich als ich knapp in der Tür war. Ich musste es gleich anprobieren. Es ist nur etwas zu lang und in den Schultern zu breit. Sonst passt es fein und steht mir ganz ausgezeichnet. Mutti und Kurt waren auch ganz begeistert. Wie schwer mag es Dir gefallen sein das schöne Kleid fortzugeben. Arme Erika. Ich werde es aber sehr in Ehren halten und immer, wenn ich es anhabe, unendlich dankbar an die Spenderin denken. Frau Kraack wird es mir passend machen. Die Farbe ist ganz entzückend. Nun habe ich doch etwas um mich für meinen Kurt schön machen zu können. Mit der Hochzeit wollen wir bis nächstes Jahr Mai warten. Dann werde ich das Kleid zum Standesamt anziehen. Und Verlobung werden wir wohl an Papas Geburtstag am 25. September ein wenig feierlich begehen. Mutti hat mir ihren Ring gegeben, weil ich meinen doch verloren habe. Sie will sich dann später aus der goldenen Uhrkette wieder einen machen lassen. Das ist heute ein Theater. Wär man doch 100 Jahre früher geboren. Na, hilft nichts. Es ist passiert. Ja, mein Päulekind, wir sind ja so glückselig über die lieben Päckchen die immer bei uns eingetrudelt sind. Wie hilft doch jedes immer ein Stückchen weiter. – Wie nett, dass Lottchen so gern und oft zu Dir kommt. Aber wer kommt nicht gerne zu Dir. Aber dass Ihr beide neulich ½ Stunden am Telefon geklönt habt, ist toll. So belastet Ihr nun die Leitung! Das sind ja paradiesische Zustände. Nach Ohlsdorf zur Rosenblüte dürft Ihr mich auch ruhig mitnehmen. Und vom Herzen möchte ich mir auch so manchen Zentner herunterbeichten. Also süsses „Beichttantchen“ „nimm mich mit, nimm mich mit in Dein Kämmerlein!“ – Tante Emmy danke ich lieb für das Backpulver. Es wird uns fein helfen. Zu Mamas Geburtstag bin ich wegen Hefe 8 km hin und 8 km wieder zurück nach Gützkow gelaufen. Gott sein Dank nicht umsonst. Dass hier im Dorf kein Kaufmann und kein Bäcker ist, ist nicht schön. Wegen den paar Lebensmitteln muss man sich die Hacken ablaufen. – B.s sind wohl nicht mehr in Ahrensburg. Den Geburtstagsbrief an Frau B. bekam ich mit dem Vermerk zurück: Empfänger unbekannt verzogen. Inge schrieb mir, dass sie in einem Ausflugslokal in Hbg. Langenhorn II Tangstedter Landstr. 230 arbeitet. Und zwar hat sie das Ausschenken der kalten Getränke zu überprüfen. Sie schreibt recht zufrieden und freudig. Ich weiss nun gar nicht, wo B.s stecken. Detas Adresse ist Karlstadt a/Main (13a) Neuer Berg 475 ¼ bei Dürr. Sie wirtschaftet dort einem 58 jährigen Witwer. Sie fühlt sich aber nicht sehr wohl und möchte gerne andere Arbeit haben. Ihre Tante Martha wohnt in Holstein. Onkel Willi ist auch von den Russen verschleppt worden. Deta lässt Dich liebe grüssen. Schreib ihr nur mal. Ihr Brief ist 5 Wochen bis zu uns gegangen. Einfach unfassbar. In was für einem Lager Bruno ist, weiss ich nicht. Er schreibt eigentlich immer recht gut. Ja, Päulelein, wie gerne würde ich Dir die Mutti schicken. Dann wüsste ich sie in guten Händen und wäre so meine grösste Sorge los. Aber jetzt möchte sie erst mal, dass Du ihr ein paar Haarnadeln und eine Pincette organisierst. Die Wünsche sind doch typisch Mutti. Nun siehe Du zu. Und gibt es dort Heftpflaster? Mutti braucht für ihre Geschwüre und hier gibt es rein gar nichts. – Neulich war ich bei Annemarie R. in Greifswald. Die will auch bald heiraten. Sie ist restlos glücklich. Wie schon so oft. Christel Qu. will im Oktober heiraten. Sie will aber zur Vorsicht ihre Eltern mit zu sich nehmen. Die hat ebensolche Angst vorm eigenen Haushalt wie ich. Christels verheiratete Schwester ist jetzt auch mit ihrer Familie dort. Nun hat Frau Qu. ihre reichliche Arbeit und Sorge. Du schriebst, dass Du Noten nach hier abschicken wolltest. Bis jetzt sind sie noch nicht hier und wir warten so sehr darauf. – Inzwischen ist nun schon der 20. geworden. Vor lauter Arbeit bin ich nicht mehr zum Schreiben gekommen. Wir haben heute ein wenig gewaschen. Mir fällt eben ein. Hat Mutti Dir schon den Empfang der Gummischürze bestätigt? Das ist ja eine feine Sache. Das kann Mutti fein gebrauchen. Wie geht es Euch denn nun so? Was machen Deine Ärmchen und Beinchen? Sind sie immer noch so schlimm? Meine arme Süsse? Ja, Kurti mückert augenblicklich auch reichlich rum. Bloss ich bin recht quietschvergnügt. Das ist doch fein. Wie viele Jahre habe ich mich so rumquälen müssen. Jetzt ist es gleich 10 Uhr. Kurti liegt auf der Coutsch und liest. Mama stopft und Papa erzählt. Ich habe auch so viel zu stopfen und noch mehr zu schreiben. Die Post liegt bei mir haufenweise. Aber jetzt wo Kurtl hier ist, interessiert mich ausser Dir und Deta die übrige Menschheit herzlich wenig. Ich mag gar nicht schreiben. Am liebsten erzähle ich mit Kurtl oder höre ihm zu wenn er Klavier spielt. Ja, mein Liebling, und für heute will ich nun aufhören.

Tausend liebe, innige Küsschen
sendet Dir Deine
dankbare Anneli.

Mama, Papa und Kurti lassen Dich auch recht, recht lieb grüssen.

 

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