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Brief (Transkript)

Anneliese H. aus Neu-Kosenow an Paula M. nach Hamburg am 29.02.1948

 

Kosenow, den 29.II.48

Meine liebe, süsse Tante Paula!
Nun bin ich mal wieder bei meinem Mütterlein über Sonntag und Du sollst von uns beiden liebe Grüsse bekommen. Zunächst möchte ich Dir erst einmal Deine Päckchen Nr. 87, 88 und 89 und Deinen Brief 27.I. bestätigen und Dir mit vielen dicken Küsschen innig dafür danken. Der Käse hat herrlich geschmeckt. Ich habe bei jedem Haps dankbar an Tante Emmy gedacht. Den Zucker spare ich schon für mein Püppi, damit es nachher schöne süsse Breichen bekommt. Ach, ihr armen lieben Menschlein nun mache ich euch mit meiner Puppe solche Kopfschmerzen. Und meinem süssen Päulelein stehen sogar die Haare zu Berge. Nun, das kann ich wirklich gar nicht wieder gut machen. Aber mein Püppi wird euch für alle euer Sorgen einmal genauso lieb haben wie seine Mutti und Oma. Ach, Päule, der liebe Gott hat es bis jetzt doch noch immer recht gut gemeint, da denke ich dass er mir schon helfen wird, mein Lüttes gut gross zu kriegen. Im Augenblick weiss ich allerdings auch noch nicht, wo ich das Lütte lasse. Tante Lene und Onkel Karl verwehren sich ganz energisch dagegen, dass Mutti das Kind zu sich nimmt. Nun ist Bruno auch seit 8 Tagen zu Hause. Er ist noch ein genauso verzogener Flaps wie früher. Über das Essen meckert er in geradezu versündigender Weise. Seine Eltern schnauzt er noch ebenso an wie immer. Na, und er würde ja wohl am meisten dagegen sein, dass Mutti das Kind zu sich nimmt. Nun hat Mutti auch zu allem Unglück noch Selbstversorgerkarten bekommen, so dass sie ganz von Tante Lenes Gnade abhängig ist. Bruno frisst immer doller in der Speisekammer und Mutti wird knapp das trockene Brot gegönnt. Ich weiss nun auch nicht, ob es besser ist, wenn ich Mutti zu mir nach Stralsund hole, oder ob ich sie in Kosenow lasse und das Kind vorerst ins Heim gebe. Wenn ich nicht bange wäre, dass sie es dort nicht ordentlich pflegen, würde ich es ohne langes Überlegen tun. Aber ich habe Angst, dass ihm dort etwas geschieht. Na, wir müssen mal sehen wie sich alles entwickelt. Es hat ja in heutiger Zeit, wo alles so wacklig steht, gar keinen Sinn lange vorher etwas zu planen und zu überlegen. Da muss man immer erst alles so weit gedeihen lassen und dann handeln. Also wollen wir mal abwarten. Nach Behrenhoff gebe ich mein Kind auf keinen Fall. Ich bin jetzt im Februar 6 Tage da gewesen. Alle meine mühselig erkämpfte Ruhe ist da wieder flöten gegangen. Mama hat nicht ein Wort über die ganze Sache verloren. Es war überhaupt eine merkwürdige Stimmung in Behrenhoff. Kurtl scheint mit seinen Eltern irgend eine Aussprache gehabt zu haben. Er benahm sich dermassen gereizt ihnen gegenüber, dass ich einfach sprachlos war. Päule, ihr müsst mit meinen Kurtl nicht so beschimpfen. Er ist so lieb zu mir und wir haben uns beide noch nie so gut verstanden wie seit ein paar Wochen. Es tut mir weh, wenn ihr ihn als „Schlappstiebel“ bezeichnet. Er kann doch wirklich nicht so wie er möchte. Ich habe ihm auch gesagt, dass ich damals den Brief von seinem Vater gelesen habe und dass mir seine Eltern damit solch ein seelisches Leid angetan haben, das sie nie wieder gut machen können. Ich habe ihm auch gesagt, dass ich innerlich mit seinen Eltern restlos fertig bin. Glaub mir, ihn quält das Betragen seiner Eltern auch ganz unsagbar. Darum müsst ihr nicht so bitter von ihm reden. Kurtl und ich haben uns beide lieber als vorher und Du kannst bestimmt glauben, dass Kurtl mich nie im Stich lässt. Ihr dürft nicht so schlecht von ihm denken. Es wird schon alles wieder gut werden. Er muss sich nur erst innerlich in allem zurechtfinden Und ich glaube, Päule, dass es besser ist, wenn Du die Bemühungen einstellst, Mama und Papa zu einem anderen Benehmen zu bekehren. Ich habe Kurtl gebeten, das Bild von mir an sich zu nehmen. Ich mag es nicht in ihren Händen wissen. Es ist alles zwecklos, die beiden ändern zu wollen. Ich frage auch nichts mehr nach ihnen nach. Päule, versuche jetzt nicht mich zur Vernunft zu bekehren. Ich kann in diesem Fall nicht vernünftig sein. Bei mir ist Kurzschluss. Versteh’ es doch ein bisschen. Mir ist die Hauptsache Kurtl bleibt mir gut und treu. Alles andere ist halb so wichtig. Und auf meinen Kurtl lass ich nichts kommen, wenn ihr auch noch so auf ihn schimpft. Habt ihr verstanden? Über das Bild von Vati und Mutti habe ich mich schrecklich gefreut. Mein lieber Vati! Ich könnte ihn immer wieder ansehen. Wenn er doch zu uns kommen möchte. Ich träume fast jede Nacht von ihm. Einmal kommt er bestimmt. Na, wer weiss was uns noch alles bevorsteht. Es sieht mal wieder verflixt mulmig aus. – Christel Qu. schrieb mir neulich, dass sie sich wieder entloben wolle. Ihr Heinz belügt und betrügt sie mit anderen Frauen. Ausserdem liebt er etwas den Alkohol zu sehr. Nur gut, dass sie es noch rechtzeitig gemerkt hat. – Die Schutzärmel sind prima. Wie schön hast Du nur wieder alles gemacht. Das Nachthemd kam mir gerade recht. Ich habe mir bei einem nämlich den ganzen Rücken aufgerissen. Das hast Du wohl geahnt. Ich möchte am liebsten gar nichts anziehen, nur um alles heil und sauber zu behalten. Das Stopfen macht mir jetzt richtig Spass, wenn ich nur immer viel Zeit hätte. Aber es gibt ja dauernd etwas zu belaufen. Meine Zeit ist immer knapp und Mama meint, ich hätte doch jetzt so viel Zeit. Ja, so denken die lieben Menschen. – Über das Aspirin war Mutti sehr glücklich. Die Kalktabletten futtere ich eifrig. Du sollst mal sehen was das für ein kräftiges kleines Wesen wird. Mir geht es körperlich noch immer gut. Essen und Trinken schmeckt gut. Bloss etwas kalt ist es in meiner Bude. Aber das soll ja ganz gesund sein. Mir bekommt es jedenfalls ganz gut. Ich habe mich ja köstlich amüsiert, was Du alles für Namen herausgefunden hast. Mutti sucht auch krampfhaft. Ich will nun erstmal hören, wie Kurtl sein Kind nennen will. Vielleicht findet er ja den schönsten Namen. Ja, Päulchen, im Augenblick weiss ich gar nichts mehr. Am 6. Februar war ich mit Kurtl in Greifswald, ins Theater und haben uns „Pygmalion“ angesehen, von Shaw. Es war sehr nett. Am nächsten Tag kam Kurtl mit nach Stralsund. Er musste zu einem Vortrag von Prof. D. Klavier spielen. 50 RM hat er dafür bekommen. Das ist doch ganz schön. Im Sommer will er mit Dr. G. zusammen in Schwerin ein Konzert geben. Mein Kurtl wird schon für sein Kind das Geld verdienen. Also, Päulekind, sei lieb zu meinem Kurtl, er ist und bleibt doch der beste. Deta hat mich auch ganz schön im Brief ausgezankt, so dass mir beim Lesen die Tränen kamen. Habe ich denn wirklich so eine schwere Sünde begangen? Na, es wird schon wieder alles gut werden. Und wenn sie mich alle kreuzigen wollen. In Stralsund vom Gesundheitsamt haben sie mir einen schönen Schreck eingejagt, als ich Bescheid bekam dass meine Blutprobe die ich für die Zusatzkarte machen lassen musste, schwach positiv auf Syphilis wäre. 4 Wochen habe ich in Ängsten verlebt, bis sich nach 2 weiteren Blutproben herausstellte, dass alles eine heillose Verwechslung war. Ich hatte eine schöne Wut auf die ganze Blase. So, und nun muss ich aufhören. Es gibt Abendbrot.
Tausend liebe Grüsse
sendet Dir mit einem dicken
Küsschen Deine Anneli.
Den drei E’s herzliche Grüße und vielen Dank.

Mutti wollte noch einen Gruss dazu schreiben, aber sie ist zu müde. Ob es dort Tischlerleins gibt.

 

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