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Brief (Transkript)

Werner Leendertz am 18.6.1940 (3.2002.7247)

 

18. Juni 40



Mein Liebes,

wegen der großen Verlegungen habe ich keine Aussicht, in den nächsten Tagen Post von Dir zu bekommen, ebenso wie Du in der Zustellung dies noch spüren wirst. War in einer größeren franz. Provinzstadt 3 Tage. Eine wunderbare und sehr berühmte Kathedrale steht allein unversehrt in der zerstörten bzw. vernichteten Innenstadt wie ein Schiff auf Trümmern schimmernd. Ein frühgotischer Bau, und wenn Du das Buch „franz. Kathedralen“ Dir ansiehst, wirst Du sie vielleicht sie selber nicht, aber ihre Geschwister sehen. Von dort nun sind wir heute über fast 200 km an der Steilküste entlang in die große atlantische Hafenstadt gefahren, die kürzlich in unsere Hand fiel. Das Land etwa wie Sauerland, groß gewellt, wunderbarer Baumwuchs, ganz heller Boden – Farben ganz herrlich. Dies die Nähe des Meeres nur durch den schönen Himmel verratende Land fällt dann plötzlich in einer großen weißen Kreidewand von 20 – 30 Meter Höhe ins Meer – nicht Nordsee, sondern Kanalseite zum Ozean hin und Ozean selber, blau und unendlich, ganz klares Wasser. Gar keine Dünen und ein karger Strand mit großem runden Geröll. Dazwischen in den Stellen, wo durch einen Bach oder Fluß ein Tal zum Meer sich öffnet und die Steilwand mildert, kleinere Städte und Dörfer mit alten, teils noch groben klobigen romanischen Kirchen und auch Burgen. Ich fuhr mit dem Chef und hinter dem Oberst her, der die für einen Militär erstaunliche Marotte hat, an allen bemerkenswerten Kirchen zu halten, rundumzufahren und zu photographieren. So kam ich auf meine Rechnung und hatte, zumal bei dem herrlichen Wetter, einen großen Genuß. Diese Stadt hier ist hügelig, und wir haben eine hübsche Villa über dem Hafen mit herrlichem Blick uns angeeignet – die Leute sind geflohen und haben so schnell fortgemußt, daß alles Inventar brauchbar und vollzählig vorhanden ist – und so schreibe ich Dir in einem netten Wohnzimmer. Wasser und Licht haben wir nicht, schon lange nicht mehr, aber Kaffee, Obst Wein und Schampus in allen nur vertilgbaren Mengen. Viktor schrieb ich gestern, und der kann Dir vom Quartier in der obengenannten Stadt erzählen. – Übrigens, wenn Du Erbsen kochst wie ich es vorgestern tat (selbstgepflückte) so machst Du die Sache mit Butter, Mehl (etwas!) und Würzkräutern an oder ergibt sich das alles mit dem Kochen der Erbsen? Ich habe, wie es mir gerade einfiel, was man daran tuen könnte, und wie ich mit finden und pflücken zurechtkam, die Reihenfolge genommen und die Erbsen sind auch so sehr schön geworden und nicht zu hart und nicht zu weich. Dazu aßen wir selbstgemachte ganz kleine frische Kartoffeln in Fett gebräunt ohne sie zu schälen oder vorher zu kochen, herrlich.
Die Franzosen können die Sache nicht mehr zu ihren Gunsten drehen und ihr Widerstand läßt nach. Schon erreichten uns heute Nachrichten von Kapitulationsabsichten – hoffentlich mehr als Gerüchte. Nur noch mehr als zerstörte Gebiete können sie erben und doch nicht mehr das Schicksal wenden. 30 Tage um Frankreich zu besiegen – alles hätte gesagt man wäre verrückt, wenn das vorher behauptet worden wäre! Welche Fehlschätzung der Kräfteverhältnisse liegt da zugrunde. Petain übernimmt die umgekehrte Rolle Hindenburgs. Jetzt werden die Engländer wohl bald zum ersten Male seit 1099 eine Krieginvasion zu Lande erleben und dann nicht mehr so frivol mit Kriegen in anderen Ländern bei der Hand sein. Nun wird es zu dunkel, morgen weiter
19. Juni 40
Ich denke, daß bald eine Fahrt nach Paris von hier aus fällig wird, obwohl es weit ist, wollen doch alle mal dort gewesen sein: Vielleicht gelingt es, wenn wir hier einige Zeit liegen bleiben. Die Stadt soll gut in Ordnung sein, da sie rechtzeitig sich übergab und das Leben dort wenigstens in dem Äußerlichkeiten einigermaßen normal erscheinen. –
Bin gespannt von Dir zu hören ob Du in Frankfurt warst und alle Geschwister trafst etc. Und was sie alle erzählten. Viktor hat jetzt andere Bindungen und Du wirst wohl unvermeidlicherweise ihn als Essensgast und „Kriegskamerad“ ein wenig abholen müssen. Da ist es doppelt schön, so eine Abwechslung zu finden. Nun beginnt der Dienst einzusetzen und ich muß Schluß machen weil ich so spät aufgestanden bin.
Viele kleine Grüße an Beatrix
und große an Dich!

Dein Werner.

 

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