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Brief (Transkript)

Werner Leendertz am 11.6.1940 (3.2002.7247)

 

11. Juni 40



Mein Liebes,

ich habe ja gar keine Nachricht seit so langem von Dir, es scheint die Post ist gesperrt für die Tage der großen Verschiebungen.
Wir sind tief in Frankreich mit einem großen Rutsch hineingefahren. Eine andere Luft als die belgische Armut und englische Trümmer umgibt uns, und viel erfreulichere Eindrücke gibt es, die anfangen das in meinem letzten Brief angedeutete wieder auszulöschen. Hier war die Bewegung des Krieges so schnell, daß er verhältnismäßig wenig Spuren hinterlassen hat. Wir liegen auf einem große Château – wie sollte es anders sein, hier, wo jedes Nest sein Château hat, und man sich nur das beste aussuchen braucht – sehr französisch eingerichtet, inmitten eines Parks mit Wiesenflächen und Wasserläufen. Es riecht – leider, aber eine witzige Erinnerung ist für mich damit verbunden – nach Zuckerrübenschnitzeln, die sie in Silos haben: Etzweiler, mein Frauchen! Auch der Park ist etwa so, in größer. Das Land, ich durchstreifte gestern auf Motorrad den ganzen Nachmittag einen großen Bezirk, ist gewellt obendrauf mit eingeschnittenen Flußtälern, wo auch die Orte liegen; wo wir sind ist viel Industrie in der Nähe, bald aber wird es ganz [...] und etwa wie Sauerland oder Bergisches Land im Charakter der Mischung von Industrie, Wald und Tal und Landwirtschaft.
Langsam beginnt auch nun Deine Nachricht von Viktors Verlobung in mir zu [...]. Möge er doch nun das Verhältnis zur Frau bekommen, das vor und hinter dem chevalesken liegt und nicht seine wohlabgewogene Mitte als Normalzustand ansehen. Die Katholiken sagen, die Ehe ist ein Mysterium, d.h. sie liegt eben auf anderer Ebene als der des höflichen Verhältnisses oder des Verhältnisses des Geschlechts. In dies dringt man aber nicht ein ohne das Letzere. Sein Verhältnis zu anderen Menschen und bisher zumal zum anderen Geschlecht gibt nur einen Ton wieder der ganzen Fülle, und so könnte tatsächlich ohne einen bedeutenden Ruck mit folgender Aufschließung seine Ehe Gefahr laufen eine „eintönige“ zu sein. Hoffentlich ist der Ruck erfolgt oder erfolgt noch, denn selbst ist Viktor ja irgendwie dies bewußt – weil er drunter leidet. Nun aber habe ich das Bedenkliche zuerst gesetzt und wollte Dir doch sagen, wie ich mich freue. Und da habe ich eben die Punkte, an denen die Hoffnung anknüpft, oben herausgeschält. Marianne Heimann gibt mit ihrem ruhigen Humor wohl viel zu der Sache hinzu. Ist sie auch eine zärtliche Frau – Liebes, wie habe ich das nötig, und plötzlich, wo dieser Gedanke sich schreibt, kann ich nur noch an Dich denken. – Ich kann es mir übrigens bei beiden noch nicht ganz vorstellen.
Ab und zu dringt jetzt zu uns ein Ton davon, was die Heimat macht: sie freut sich und feiert den Sieg an der Küste; sie begrüßt den Kriegseintritt Italiens. Die Ereignisse sind, im großen betrachtet, im höchsten Maße pathetisch, ohne Frage. Hier aber in der Kleinarbeit und wo wir nicht mehr eingesetzt sind, entsteht immer ein kleines Verwundern, wenn mal durch den Radio seltenerweise ein so gehaltenes Résumé durchkommt. Wir spielen zur Zeit keine Rolle in den Ereignissen; in Holland und am Kanal von Gent war es anders. Es wäre beinahe so, daß in unserer feudalen Isolation nur die Flieger – tags die Deutschen, Einheit über Einheit nach Westen und von Westen zurückbrausend – nachts einzelne feindliche – ohne mehr als ihr unterschiedliches Geräusch zu erfassen – uns an den Gang der Operation erinnerten, aber in sich hat man doch das Gefühl, daß wenn in einigen Tagen ein gewisser Abschnitt wieder erreicht ist und Orte bekanntgegeben werden, uns große Nachrichten bevorstehen. Angesichts der hiesigen Lage habe ich auch den Chef nochmals wegen Döberitz angehackt, zumal die fortschreitende Zeit mich beunruhigt. Er gab mir nochmals die Versicherung, daß ich hinkäme, und zwar in den „nächsten Kurs“. Hanspeter scheint mir schon dort zu sein, er wäre dann ohne Einsatz und eigene Kriegserlebnisse bald mehr als ich. Die Feldpost Nr. von Otto hätte ich so gerne, bitte denke daran. Ich bin gespannt, was er macht und wo er steckt. Die CP sandte wieder einen Rundbericht mit netten Briefen, zumal von Klewk [?]. Merkwürdigerweise registriert sie mich schon als Uffz, so früh unterrichtet. –
Nun kommt auf einmal Post von Dir! Ich hörte draußen den Wagen ankommen und beeilte mich, sie abzufangen. Darin also auch die Freude der Heimat, die wir auch haben, aber nicht mit ihr teilen. Und dann die Nachricht von Viktor, die mich so freut und mich vielleicht in Stand setzt, ihm mal zu schreiben. Und gleichzeitig gerät der Radio in meinem gemütlichen Zimmer (Arbeitszimmer!) in Schwung und erzählt den Heeresbericht, ich Karte heraus und mitgezeichnet (es ist immer noch die Dir und Viktor abgeklaute Karte); eben kommt der Chef und ich zeige ihm die neue rote Linie. Wir machen in Strategie, was nun folgen wird und wohin wir wohl kommen, wenn durch Absprengungen von feindl. Teilen und durch neue Schwenkungen die Front ihre jetzige Kürze wieder verliert.
Von Vater hörte ich nun ebenfalls etwas, er erzählte von den Bomben in der Nähe Heilmannshofs. Ist ja glücklicherweise alles gut abgegangen. Hier ist es ruhiger als bei Euch zur Zeit! Ebenfalls kommt Dein Paket Lametta an und soll mich für Freund und Feind etwas bescheidener zieren als es jetzt der Fall ist.
Gehe ruhig nach Frankfurt, wenn Beatrix gut angekommen kann, z.B. mit Dorisx in Sonnenhof. Auch zu dem Arzt zu gehen ist sicher nicht falsch, und alle Reinhard und Ilse und Eugen mußt Du herzlich von mir grüßen – doch wird der Brief wohl zu spät kommen und Du schon selbst den Frankfurter Entschluß fassen. Helene auch grüßen bitte!
Und nun mein Liebes, ist Zeit zu beenden. Wenn Du Marianne Heimann siehst und Viktor, dann grüße beide bitte von mir. Jetzt ist alle Zeit zu Nachrichten verschieden – schon einige Stunden. Die größte Briefschuld habe ich jetzt an Mutter ha!
Es hat Dich sehr lieb, wie Du gut weißt, Dein Werner.

Für Beatrix-Bildchen Danke schön!


x Doris kannst Du auch in einer entspr. Form von mir grüßen – so etwas ist immer sehr schmerzlich.

 

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