Nach Zeitraum suchen

von 
bis 
SUCHE ZEITRAUM
Bestandskatalog PDF

Brief (Transkript)

Werner Leendertz am 24.5.1940 (3.2002.7247)

 

24.5.40.



Mein Liebes,

wir ziehen immer weiter durch das wechselnde Land – einmal in Holland alles reich und sauber, in Belgien alles dichter und ärmer bevölkert und Menschen unfreundlicher. Antwerpen nächtlich durchzogen, im Kern eine alte stilvolle Stadt. Teils tiefer Friede, teils zerstörte Dörfer und Feuersbrünste, die den Nachthimmel flackernd erleuchten. Große und herrlich frühgotische Kirchenanlagen - oft weit das Land beherrschend schwer zerstört. Zwar treffen die darauf schießende Artillerie und die Fliegerbomben hier weniger Menschen, die als Zivilisten ein Opfer werden – aber auch Geschichte kann man totschießen, meine ich. Die Flußübergänge. Die Flüsse gleichen Meeresarmen und sind sehr breit. Entsprechend sind die Passagen über Brücken oder Pontons immer ein besonderes Erlebnis. Durch schnelles Nachziehen haben wir den weichenden Feind nun bald erreicht und kommen wohl gelegentlich wieder zum Einsatz. Die sich zurückziehenden franz. und belgischen Truppen - besonders wohl nach Aussagen der Einwohner die ersten – haben sehr gehaust und sich an den armen Leuten, die schon genug Opfer beklagen, noch einmal sinnlos gerächt. Sie plündern das Land, das sie verteidigen sollten. Nun ist Tag und Ruhe. Große Rauchwolken stehen am Horizont und dumpfe Erschütterungen und Donner zeigen unsere Annäherung an die Front an. Gestern übernachteten wir im Park eines Schlosses fast in der Stadt. Ich ging mit Taschenlampe durch das schöne und maßvolle Anfang 19. Jhh. Gebäude, wo wunderschöne und viele wertvolle Bilder aus der großen Zeit der Niederländer hingen. Ein uralter Herr mit weißem Bart saß stumm und ohne Gruß für uns in einem Ohrensessel im Bibliothekszimmer bei einer Kerze die ganze Nacht durch. Sein alter Diener wies den Offizieren reserviert und sachlich die Quartiere an. Empire- u. Louis XV. Möbel in gelblichem Schleiflack. Das ganze stilvoll und unzerstört. Spätes Abendessen in einem kleinen Lokal, wo ein reizendes trauriges Mädchen mir Spiegeleier machte. Sie sprach französisch und hatte den ganzen Charme der Westländer. Ich unterhielt mich lange mit ihr, sie haben alle soviel Angst ausgestanden und haben sie eigentlich noch. Für heute nacht, falls wir hier bleiben, wo wir sind, habe ich ein Bett ergattert und freu mich sehr darauf. Gestern Nacht im bewußten Park. Vorgestern Nacht – soweit einige Stunden blieben zum Schlafen, zusammen mit dem Hauptmann in einem kleinen sauberen Zimmer übernachtet mit friedlichen Gesprächen. Unsere Stellung zueinander ist respektvoll und sehr nett. Rhododendron blüht wunderbar in den alten Parks, derer es im fruchtbaren Land viele gibt, und Ginster – eine gelbe Eifelerinnerung, in den Teilen des Landes, die Geest, d.h. sandig und unfruchtbar sind. In hohen Kornfeldern stehen mittendrin alte Bäume oder Pappelreihen begrenzen gegen Kanäle – Fabriken und kleine Schlösser, Wasser und Sand und fruchtbare Erde, Holländische und Belgische Charaktere wechseln dauernd wie wir auch ständig die Grenze hinüber und herüber wechseln. Langsam fühlte man heute beim Fahren, wie nach Zeeland und dem Antwerpengebiet Flandern sich nähert, die Kirchen, die gotischen Rathäuser und die aus alten Schlachten seit der Befreiung der Niederlande und der Geschichte Burgunds bekannten Namen zeigen es an. Wieviel Tote hat dies Land gefressen und wie herrlich hat es sich über alle Zerstörungen hinweg erhalten. Bald geht es weiter. Straßen, Kanäle – Brücken, Pontons, große Granat- und Bombentrichter mit Umgehungen, Strohgehöfte. Ruisdael und van Gogh und der Krieg. Darüber unsere Flieger, hin und her fliegend, abwerfend und neue Bomben holend. Lange Kolonnen Fahrzeuge und Pferde und Menschen, ab und zu Flüchtlinge mit Packen belanden. Gott sieht sehr das alles und ist uns stumm; ich liebe Dich sehr.

Dein Werner

 

top