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Brief (Transkript)

Anton Bayer an seinen Bruder am 19.10.1944 (3.2002.7570)

 

Uffz. A. Bayer
28258

Osten, 19.10.44



Lieber Friedrich!

Ich habe Deine Karte mit den bösen Nachrichten bekommen. Es ist jetzt gerade einen Monat her, daß Du sie geschrieben hattest. Wir waren selbst 2 Wochen in einem kritischen Inselabenteuer engagiert, das aber – wenigstens für mich und meine Einheit – glücklich vorübergegangen ist, wenn wir auch einige Verluste hatten. Für mich persönlich war das Schlimmste - ich muss mich ja schämen, Euch das zu schreiben – einige Luftangriffe, die wir auf dem Schiff zu überstehen hatten. Als wir zurück waren, gabs endlich die mit Sorgen erwarteten Nachrichten aus dem Westen: Deine Karte, O. Antons Rundbrief u. Wilhelms Rundbrief mit den Schilderungen seines Schwiegervaters. Wenn dadurch auch wenigstens die Sorge um Mutter und Maria-Regina zunächst genommen ist, so hat es mich doch schwer betroffen, daß Ihr nun Euer Heim und einen beträchtlichen Teil Eurer Habe doch noch verloren habt, nachdem das Unheil so häufig gnädig an Euch vorübergegangen war. Wie gerne denke ich noch an die glücklichen Stunden, die ich, wenn auch leider selten, in Eurem so gastlichen und gemütlichen Heim verbracht habe. Es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, daß sie zu meinen liebsten Erinnerungen gehören.
20.10.
Ein Tag vergangen. Onkel Anton schrieb auch, daß Du durch die vielen Strapazen und Aufregungen gesundheitlich ziemlich herunter seist. Ob Dich das aber vor der Beteiligung am Volkssturm bewahrt? – Ich bin nun noch sehr in Erwartung weiterer Nachricht über Maria-Reginas Entbindung und über das Schicksal von Marlene und Änne sowie von Fendels – Kardinalstrasse. Das Leben muss bei Euch ja jetzt fürchterlich schwer geworden sein, und die Hoffnung, daß es in absehbarer Zeit besser wird, leider äusserst gering. Man weiß deshalb auch kaum mehr, wie man dem anderen Trost zusprechen soll. Das einzig Tröstliche ist, daß Ihr wenigstens noch beieinander seid oder Euch noch erreichen könnt. In dieser Beziehung haben wir Soldaten es ja schwerer und wir wissen nicht, wann wir unsere Lieben noch einmal wiedersehen werden. Davon abgesehen geht es mir aber immer noch ausgezeichnet, unterkunftsmässig, verpflegungsmässig und auch bezügl. des Dienstes (Ich bin seit einiger Zeit Zeichner.) Sehr bewegen mich, wie uns alle wohl, die täglichen Nachrichten über die schweren Kämpfe in und um Aachen. Nichts bleibt von unserer Heimatstadt und der geliebten Landschaft unserer Jugend erhalten. Es ist unmöglich alle Plätze und Gegenden aufzuzählen, an die man dabei mit Trauer denkt, denn mit jedem Winkel und jeder Stelle verbinden einen andere Erinnerungen. Aber am meisten trauere ich doch um das alte ehrwürdige Münster, das die Seele der Stadt war und das einem wie ein persönlicher Besitz lieb war. Wie seltsam, daß gerade Aachen als erste deutsche Stadt den direkten Kampf in dieser Härte erleben muss. Ich muss oft daran denken, daß in Aachen vor über 1000 Jahren das Wiegenlied der europäischen Kultur gesungen wurde. Möge dort jetzt nicht ihr Grabgesang beginnen!
Nun, lieber Friedrich, ich sollte Euch eigentlich den Kopf nicht noch schwerer machen, als er sowieso schon ist. Ich möchte bei Euch sein, dann würden wir doch trotz allem uns freuen und zwischen den Sorgen unsere Spässe treiben. Wann wird das wieder einmal der Fall sein?
Von Marilott habe ich wieder längere Zeit keine Nachricht. Aber es hat bei uns durch den Abstecher mit der Post nicht richtig geklappt. Ich will mich deshalb nicht wieder vorzeitig beunruhigen. Hat M. Dir übrigens die Anschrift, wo man evtl. über Norberts Schicksal etwas erfahren könnte?
Nun möchte ich gerne noch wissen, wie lange Marlene und Änne noch in Aachen geblieben sind. Sie müssen ja allerhand Mut besitzen. Aber ich glaube, es ist dann nachher doch fürchterlicher, als man es sich in jugendlicher Taperkeit vorstellt. Ich hoffe, daß sie doch noch fortgekommen sind, bevor die Kämpfe, die jetzt toben, angefangen haben!
Ja, Ihr Lieben, ich muss schliessen um auf Wachkontrolle zu gehen. Ich drücke Euch im Geiste die Hände und wünsche Euch Stärke die schweren Zeiten weiter zu überstehen.

Der lieben Annelies, Peterle und Dir die herzlichsten Grüsse von
Eurem Tyn.

22.10.
Der Brief ist durch einen Irrtum noch liegen geblieben. Inzwischen habe ich wieder reichlich Post von Marilott. Auch von Maria-Regina u. Mariannes Entbindungen am gleichen Tag erfahren. Auch daß Marlene durch einen Uffz. noch eine Karte aus Aachen geschickt hat und dort bleiben wollte.
Heute habe ich den Namen von einem Kp. Angehörigen von Norbert erfahren (Obgefr. Alfred Dethoff). Norberts Einheit, bezw. die Reste sind jetzt im Westen. D. ist einer der Wenigen, die sich aus M. durchgeschlagen haben. Ich werde an ihn schreiben, ob er irgend etwas von N. weiss oder vermutet. Es ist ja unwahrscheinlich, denn sonst hätte es die Einheit wohl auch gewusst.
Von Mutter habe ich erfahren, daß auch Deiner Schwiegereltern Geschäft zum zweiten Mal ausgebrannt ist. Schrecklich!

 

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