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Brief (Transkript)

Anton Bayer an seinen Bruder am 10.9.1944 (3.2002.7570)

 

Uffz. A. Bayer

Osten, 10.9.1944



Lieber Friedrich!

Vielen Dank für Deinen ausführlichen Brief vom 24.8., den ich am 8.9. erhalten habe. Vorher hatte ich auch schon Deinen Rundbrief und am gleichen Tage einen Brief von Mutter mit Abschrift von Norberts erschütterndem und doch großartigen Abschiedsbrief bekommen. Der gute Kerl mit welcher tapferen vorbildlichen Haltung er seinem Schicksal entgegen gesehen hat. Ich glaube gerne, daß Mutter aus diesem schönen Brief viel Trost und Zuversicht schöpft. Ich selbst rechne sehr mit der Möglichkeit, daß Norbert noch lebt und in Gefangenschaft ist. Ich schrieb Dir ja schon, wie ich zu dieser Vermutung komme. Kaum hat man sich mit der einen Sorge vertraut gemacht, da türmen sich schon wieder neue auf. Diesmal gelten unsere Hauptsorgen Euch im Westen. Seit Deinem letzten Brief haben sich die Ereignisse dort ja so stürmisch entwickelt, daß man das Schlimmste für Euch befürchten muss. Vielleicht seid Ihr schon teilweise evakuiert worden und Du bist vielleicht auch eingezogen und der Brief irrt dann mal wieder in der Gegend herum, so wie es anscheinend immer noch mit meiner ganzen Korrespondenz mit Marilott hin und zurück geht. Besondere Sorge mach einem natürlich Maria-Regina, die doch gerade in diesen Tagen ihr Kind erwartet. Die Ärmste! Stiehl Dir doch bitte mal gleich noch 2 Minuten und schreibe mir nur eine kurze Postkare, wie es geht. – Gerade kommt im Wehrmachtsbericht die Nachricht von Kämpfen südlich Maastricht und bei Verviers sowie von nächtlichen Bombenwürfe auf M.-Gladbach. Also überreichlich Grund zur Sorge! Ich will mal gleich eine fertig gemachte Feldpostkarte beifügen. Im Vergleich zu Euch führe ich z.Zt. ja sicher ein ruhiges und friedliches Leben. Du vermutest mich ungefähr in der richtigen Gegend. Von dem Ort, den Du im Brief nanntest, bin ich ca. 35 km in nordwestlicher Richtung entfernt. Aber wer weiß, in was für Lebensumständen Dich der Brief erreicht. Einen Atlas hast Du dann vielleicht nicht mehr zur Hand. Ja, das Leben meint es nicht mehr gut mit uns. Aber wir haben doch auch schon viel Schönes erlebt. Ich beschäftige mich seit einiger Zeit in stillen Stunden, z.B. auf Wache, gerne damit, mir erfreuliche Erlebnisse wieder ins Gedächtnis zurückgerufen. Und ich finde sehr viele und immer wieder fallen mir neue ein. Es fehlt einem nur jemand, der sich miterinnert und sich mitfreut. Aber ich kann auch, solange ich lebe, die Hoffnung nicht aufgeben, daß wir uns unseres Lebens doch noch einmal, wenn auch vielleicht unter veränderten Verhältnissen – denn dasselbe Leben kann es ja nicht mehr werden, schon weil alles, was uns an Städten und Bauten vertraut und ins Herz gewachsen ist, zerstört ist – daß wir uns also unseres Lebens doch noch einmal in herbstlicher Stimmung gemeinsam erfreuen werden.
Hoffentlich kannst Du doch Deiner guten Annelies mit Peterle in diesen schweren Tagen noch zur Seite stehen. Jetzt seid Ihr es, denen man Mut zusprechen muss. Meine Gedanken sind jetzt viel bei Euch, bei der armen Mutter, den Schwestern vor allem Maria-Regina und all den Lieben im bedrohten Westen.
Mir selbst geht es immer noch sehr gut. Wir liegen zu wenigen in einem Arzthaus, dessen Bewohner (er prakt. Arzt, sie Zahnärztin) weitergezogen sind. Das Haus ist für hiesige Verhältnisse sehr sauber und komfortabel. Es liegt in der Nähe eines großen Gutes frei auf einem sanft ansteigenden Hang. Ich bin jetzt ein Zeichner, und habe damit eine mir zusagende Beschäftigung, wenn auch ohne Aufstiegsaussichten, auf die ich aber mit Rücksicht auf meine mangelhafte militärische Vorbildung sowieso verzichtet hatte. Meinen Arbeits- und Schlafplatz habe ich allein in einer sehr grossen ganz verglasten Veranda, in der ich mir wie in einem Atelier vorkomme. Ich habe einen ziemlich weiten Blick über Wiesen und reife Felder bis zu einem Waldstreifen der im Süden in 1 km Entfernung das Bild begrenzt. Ich sehe die Gutsgebäude und auf einem Hügel abseits die von Bäumen umstandene Kirche. Der Tagesverlauf ist regelmässig und auch regelmässig mit viel Arbeit gesegnet. Etwas störend empfinde ich die grosse Nähe meines hohen Herrn, denn das ist leider nicht mehr der mir sehr gewogene, aller Kunst und allem Schönen so sehr aufgeschlossene Major. Den haben sie leider versetzt. Aber Du siehst, daß ich mich trotzdem nicht beklagen darf.
Also, einen herzlichen Gruss Dir und der lieben Annelies nebst Peterle und allen Lieben, mit denen Du in nächster Zeit in Verbindung kommst.
Euer Tyn

(So, und nun gleich die Karte geschrieben, 10 Worte genügen!)
Von Marilott habe ich, nachdem die letzte Nachricht vom 17.7. gewesen war, einen ganz kurzen Brief vom 20.8. erhalten, hauptpostlagernd aus Regensburg. Ich warte jetzt sehr auf weitere Nachricht.

 

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