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Brief (Transkript)

Anton Bayer an seinen Bruder am 18.11.1944 (3.2002.7570)

 

(68)

18.11.1944



Meine liebe Frau!

Nun muss ich Dir leider wieder einmal eine unerfreuliche Nachricht schicken. Wir sind wieder dahin zurückgekommen, wo wir glücklich fortwaren. Das ist nun mal so. Schön ist es nicht, aber wir brauchen deshalb auch nicht gleich das Schlimmste zu fürchten. Ich habe mir sehr überlegt, ob ich es Dir überhaupt schreiben soll, weil Du Dir dann doch wieder viel Unruhe machst. Aber es kann schon sein, daß die Postzustellung unregelmäßig wird, vor allem wenn es weiter in den Winter geht, und der Schiffsverkehr vielleicht durch Vereisung schwierig wird. Also Du musst Dich dann schon etwas gedulden und darfst nicht gleich unruhig werden, wenn auch einmal eine längere Pause eintritt. Wir nehmen an, daß wir die Post aus der Heimat in einem solchen Falle noch erhalten, evtl. durch Flugzeugabwurf. Also darfst Du mir ruhig weiter schreiben. Im übrigen besorge Dich nicht zu sehr. Wir wollen auch weiterhin auf mein und unser Glück vertrauen. – Leider habe ich vor der Abfahrt keine Post mehr von Dir bekommen, worauf ich sehr gehofft hatte. Der letzte Brief, den ich von Dir habe, ist also immer noch Nr. 59, den ich am 7.11. bekommen habe (50 u. 58 am 9.11.) Vielleicht ist wieder etwas verloren gegangen. – Von Hopp habe ich einen Brief bekommen aus Dresden, wo er in sehr engen Verhältnissen bei den Schwiegereltern haust. Ich hatte ihm ein Gedicht – ich glaube: „Noch einmal breit die Schwingen“ – geschickt. Er schreibt (anscheinend hat er die im Urlaub vorgelesenen lustigen Gedichte vergessen): Mit Erstaunen stelle ich fest, daß Du auch ein Dichter und zwar ein guter bist. Und beim Lesen meines Gedichtes wäre ihm aufgegangen, was ihm an Guidos Gedichten fehle: Das echte Gefühl¯. Das wirst Du ja dann wahrscheinlich bestätigen, wo Du Guido so magst.
In den letzten Tagen habe ich 3 Päckchen an Dich abgeschickt, von denen ich hoffe, daß sie etwa zu Weihnachten ankommen. Wenn auch die Überraschung drunter leidet, will ich Dir doch schon wegen der Kontrolle und der richtigen Verwendung mitteilen, was drin ist. In dem einen Päckchen ist eine grosse Dose, die vermutlich Gullasch enthält, in dem zweiten eine kleine Dose mit Schmierkäse. Die Dose ist seltsamerweise an Deckel und Boden gewölbt. Aber es wurde mir gesagt, daß das nichts zu bedeuten hätte, weil sich die Deckel noch leicht herunterdrücken lassen. Immerhin kannst Du sie vielleicht bald aufmachen. In dem dritten Päckchen ist eine Dose Ölsardinen¯, eine Tube Käse (bei der schneidet man mit einem Messer den Deckel rundum ab und kann sie dann wie eine Zahnpastatube ausdrücken) und etwas Kernseife. Also, hoffentlich kommt alles richtig an. Hat Sabinchen den Geburtstagsbrief zeitig bekommen? Ausserdem habe ich jetzt bei der plötzlichen Abfahrt auch noch 250 – RM an Dich abgeschickt, die ich ja, wie ich schrieb, eigentlich z.T. an Mutter schicken wollte. Bestätige doch bitte, ob das Geld ankommt. Von den 150 – RM, die ich vor langer Zeit abgeschickt habe, weiss ich immer noch nicht, ob sie angekommen sind, ebenso wie Du mir nicht schreibst, wieviel Gehalt Dir eigentlich ausgezahlt wird.
Ja, liebe Frau, jetzt liegt es also wieder einmal ziemlich dunkel vor uns. Überraschungen zum Bösen aber auch zum Guten sind jederzeit möglich. Niemand könnte es mir verargen, wenn ich in einer solchen Lage Dir wehmütige Worte schreiben würde. Aber ich kann mich nicht dazu entschliessen. Vielleicht, weil es mir im Augenblick noch so gut geht, und weil ich das Gefühl, daß es doch wieder gut ausgehen wird, doch stärker ist, als die verstandesmässige Überlegung, was alles passieren könnte. Nur eines möchte ich einmal aussprechen: Sollte einmal der Fall eintreten, daß Du wirklich sehr lange Zeit nichts mehr von mir hörst, oder ich vermisst gemeldet werde, Du aber nicht weisst, bin ich in Gefangenschaft oder tot, und sollte dann, - es ist alles konstruiert und hört sich schrecklich an, aber ich meine, ich müsste es doch einmal ruhig aussprechen – dann sollst Du jedenfalls alle Entschlüsse für Euer weiteres Leben frei von Hemmungen treffen, so wie es Dir zu Deinem und der Kinder Wohl dünkt. Wenn Du auch vielleicht entrüstet bist oder mich töricht findest, so könnte doch einmal der Fall eintreten, wo Dir meine entschiedene Willensäußerung helfen kann. Komme ich dann doch später wieder mal zurück, so würden wir uns schon irgendwie zurecht finden. Du brauchst mir nicht zu schreiben, daß Du Dich hiernach richten willst, denn vorläufig ist ja zum Glück keine Veranlassung dazu. Aber es wäre mir eine Beruhigung zu wissen, daß Du es gegebenenfalls tätest. Vielleicht würde ich für mich einmal dasselbe Recht in Anspruch nehmen müssen. – Aber nun Schluss damit, es quält mich schon, so viele Worte darüber zu machen. Inzwischen ist übrigens wieder ein Tag vergangen. Und bis der Brief in Deinen Händen ist, sind wir vielleicht auch schon längst wieder heraus. Das möchte ich Dir gerne zu Weihnachten miteilen können.
Ich grüsse und küsse Dich, meine liebe liebe Frau von ganzem Herzen und auch die herzigen Kinder, das anhängliche und das gewissenhafte Sabinchen und den kleinen Frechdachs, den goldigen Thomas
Euer Tyn und Vati

Ich vergass schon immer Dir zu schreiben daß in dem „Requiem“ die letzte Zeile eigentlich heissen sollte: „Den Geist des Abendlands“ (anstatt „Ursprung“)

 

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